Hamburg. Der Ex-Trainer empfiehlt, auf neuen Hamburger Weg und seine Co-Trainer zu setzen. Kommt nun Grammozis oder Thioune?

Am Sonntagvormittag pustete der Wind Dieter Hecking ordentlich ins Gesicht. Mit bis zu 32 Stundenkilometern blies es dem Fußballlehrer an der Nordseeküste bei Cuxhaven um die Ohren, wobei der erfahrene Trainer spätestens im vergangenen Jahr als HSV-Coach gelernt hat, mit Gegenwind umzugehen. „So ein bisschen Durchpusten tut ja auch mal ganz gut“, sagte also Hecking, nachdem sich am Tag zuvor die Nachricht seiner Trennung vom HSV wie ein Orkan in Fußball-Deutschland verbreitet hatte.

„HSV und Dieter Hecking gehen getrennte Wege“, stand über dem nüchternen Artikel, mit dem der HSV am Sonnabend auf der eigenen Homepage das bestätigte, was sich bereits seit vergangenem Mittwoch angedeutet hatte. Zweimal hatten sich Hecking und Sportvorstand Jonas Boldt getroffen. „Wir haben das angestrebte Ziel nicht erreicht. Dafür übernehme ich die Verantwortung“, ließ sich Hecking schließlich am Sonnabend offiziell zitieren, ehe er bei einem windigen Strandspaziergang am Tag danach ein wenig mehr ins Detail ging.

Dieter Hecking: "Ich wollte die Größe des HSV aufsaugen"

„Natürlich bin ich auch traurig. Ich habe wahnsinnig gerne für den HSV gearbeitet“, sagte Hecking. „Ich wollte von Anfang an die Größe dieses Vereins aufsaugen, und es tut mir schon leid, dass wir unsere Ziele nicht erreicht haben.“ Die anschließende Trennung sei aus seiner Sicht die logische Konsequenz, obwohl er und auch Boldt in den Tagen zuvor immer wieder betont hatten, grundsätzlich einen gemeinsamen Neuanfang wagen zu wollen.

„Vielleicht wäre es schwer, so einen Neuanfang mit den Namen Boldt und Hecking gemeinsam zu initiieren“, sagte Hecking. „Beide Namen zusammen stehen ja irgendwie für die Erwartung Bundesliga. Der HSV darf aber nicht nur von der Hoffnung leben. Er muss nun in der Realität ankommen.“

HSV: Mannschaftsetat soll auf 23 Millionen zusammengestrichen werden

Und diese Realität wirkt derzeit ähnlich düster wie die Wetterprognose für Heckings Kurzurlaubsort Cuxhaven. Montag: Regen, Dienstag: Regen, Mittwoch: Regen. Und auch beim HSV wird man brauchen, um wieder Hoffnung auf eitel Sonnenschein zu haben. Die aktuellen Aussichten: Der Mannschaftsetat soll von 30 auf maximal 23 Millionen Euro zusammengestrichen werden, Hauptsponsor und Stadionnamensgeber müssen gefunden und auch ein neuer Cheftrainer zunächst einmal gesucht werden.

Dimitrios Grammozis als Trainer von Darmstadt 98 beim HSV im Volksparkstadion am 16. März 2019.
Dimitrios Grammozis als Trainer von Darmstadt 98 beim HSV im Volksparkstadion am 16. März 2019. © Valeria Witters

Tatsächlich hatte sich Sportvorstand Boldt bis zur Hecking-Entscheidung mit keinen alternativen Kandidaten getroffen, was nun zeitnah nachgeholt werden soll. Die medial verbreitete Kandidatenliste ist bereits lang. Gespielt werden die üblichen Verdächtigen: An­dré Breitenreiter (arbeitslos/zuletzt Hannover 96), Alfred Schreuder (arbeitslos/zuletzt Hoffenheim), Alexander Zorniger (arbeitslos/zuletzt Brøndby IF) und Tim Walter (arbeitslos/zuletzt VfB Stuttgart), aber auch Ole Werner (Holstein Kiel). Laut „Bild“ soll der Favorit nun Osnabrücks Daniel Thione sein. Der am häufigsten genannte Name war allerdings bislang der von Dimitrios Grammozis (arbeitslos/zuletzt Darmstadt 98).

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Dimitrios Grammozis schwärmte schon vor einem Jahr vom HSV

Mit dem früheren Wahl-Hamburger, der bis 2000 32 Spiele für den HSV absolviert hatte, haben sich die Verantwortlichen nach Abendblatt-Informationen bereits beschäftigt – ein Treffen hat es bislang allerdings noch nicht gegeben.

Nach der abgelaufenen Spielzeit hat sich Grammozis vorerst ins Familienheim im nordrhein-westfälischen Velbert zurückgezogen, um dort die eigene Saison in Ruhe aufzuarbeiten. Mit Darmstadt 98 landete er mit zwei Zählern Rückstand nur einen Platz hinter dem HSV.

Osnabrücks Thioune würde dem HSV Ablöse kosten

Stattliche 14 Punkte hinter dem HSV landete der VfL Osnabrück mit Trainertalent Daniel Thioune. Der frühere Stürmer, der kurioserweise einst unter Hecking beim VfB Lübeck spielte, hat in Osnabrück noch bis 2021 Vertrag. Er würde dem HSV also – wie so viele vor ihm – eine Ablöse kosten.

Der 45-Jährige war auch schon vor einem Jahr als Nachfolger von Hannes Wolf kurz im Gespräch, wurde allerdings im internen Kandidatenranking schnell durchgereicht. Zusammen mit Grammozis, der bereits vor einem Jahr zum Favoritenkreis gehörte, soll er diesmal nun gute Chancen haben.

Ein großer Haken bei Thioune könnte allerdings die Ablöse sein, die erneut Grammozis in die Poleposition bringen könnte. Dort war der gebürtige Wuppertaler auch schon vor einem Jahr, ehe der damalige Vorstandschef Bernd Hoffmann sein Veto einlegte.

HSV-Trainer seit 2010

  • Dieter Hecking – 29.05.2019 bis 30.06.2020
  • Hannes Wolf – 23.10.2018 bis 19.05.2019
  • Christian Titz – 12.03.2018 bis 23.10.2018
  • Bernd Hollerbach – 22.01.2018 bis 12.03.2018
  • Markus Gisdol – 26.09.2016 bis 21.01.2018
  • Bruno Labbadia – 15.04.2015 bis 25.09.2016
  • Peter Knäbel (Interimscoach) – 23.03.2015 bis 15.04.2015
  • Josef Zinnbauer – 16.09.2014 bis 22.03.2015
  • Mirko Slomka – 16.02.2014 bis 15.09.2014
  • Rodolfo Cardoso (Interimscoach) – 17.09.2013 - 24.09.2013
  • Thorsten Fink – 17.10.2011 bis 16.09.2013
  • Frank Arnesen (Interimscoach) – 10.10.2011 - 16.10.2011
  • Rodolfo Cardoso (Interimscoach) – 20.09.2011 - 10.10.2011
  • Michael Oenning – 13.03.2011 bis 19.09.2011
  • Armin Veh – 01.07.2010 bis 13.03.2011

Grammozis würde wohl Co-Trainer aus Darmstadt mitbringen

Ein gutes Jahr später sind sowohl Becker, Hoffmann als auch Hecking Vergangenheit beim HSV. Thioune oder Grammozis, deren Profile zum neuen Weg des HSV mit jungen und hungrigen Spielern passen, könnten allerdings schon bald die Zukunft gehören. Der 41-jährige Grammozis hatte bereits vor Monaten seinen Abgang in Darmstadt zum Saisonende angekündigt, weil der Club ihm lediglich einen Ein- statt eines Zweijahresvertrags anbot. Trotzdem schaffte der frühere Mittelfeldmann einen versöhnlichen Saisonausklang und durfte sich sogar darüber freuen, mit Sprechchören in der Kabine gefeiert zu werden.

Ein weiterer Pluspunkt von Grammozis: Der Deutsch-Grieche würde wohl nur Sven Thur (37) als Co-Trainer aus Darmstadt mitbringen. Das ist insofern nicht unwichtig, als dass die Zukunft von Heckings bisherigen Assistenztrainern noch völlig offen ist. Während Tobias Schweinsteiger ohnehin noch einen Vertrag hat und hohe Wertschätzung beim HSV genießt, soll überraschenderweise auch „Heckings Ehefrau“ Dirk Bremser in Erwägung ziehen, auch ohne seine „bessere Hälfte“ in Hamburg zu bleiben.

Nach HSV-Aus macht Hecking erstmal Urlaub

Den Segen von Hecking hätte Bremser jedenfalls. Und einen grundsätzlichen Ratschlag gibt es kostenlos noch dazu: „Ich kann nur die Empfehlung aussprechen, diesen neuen HSV-Weg konsequent zu gehen. Der Weg wird auch durch die Corona-Krise steinig, aber Jonas weiß genau, was er tut.“

Das kann Hecking von sich selbst nicht behaupten. Er könne sich zwar gut vorstellen, in der Bundesliga wieder einen Club als Trainer zu übernehmen. Aber auch die Rolle als Sportchef würde ihn perspektivisch weiterhin reizen. Aktuell wisse er aber nur eines: „Jetzt mache ich erst einmal Urlaub.“ Da coronabedingt sowohl die Hochzeit seiner Tochter in Österreich als auch die Hochzeit eines Neffen auf Mallorca ins Wasser gefallen sind, bleiben nicht mehr allzu viele Urlaubsziele übrig. „Am Ende bleibe ich mit meiner Frau wahrscheinlich doch wieder an der Nordsee. So ein bisschen Wind kann ja nicht schaden.“