Hamburg. Heckings Nachfolger kommt vom VfL Osnabrück. Der Wunschtrainer des HSV besitzt eine Ausstiegsklausel. Eine Ablöse wird fällig.
Am Montagnachmittag um 15.32 Uhr war es mal wieder so weit. Auf dem Podium des HSV in der ersten Etage des Volksparkstadions nahm der neue Cheftrainer Daniel Thioune Platz und erzählte, wie sehr er für die Aufgabe in Hamburg brenne. Für ihn persönlich sei es „ein großer Tag", der HSV biete eine „riesige Chance", es sei eine „brutale Herausforderung", gar ein „spannendes Projekt". Und: Der HSV verfüge noch immer über eine Strahlkraft. Eine Strahlkraft, die bis nach Osnabrück reiche.
HSV zahlt Ablöse für Thioune
Worte wie diese kennt man mittlerweile in Hamburg. Es stand mal wieder eine Trainer-Vorstellungsrunde auf dem Programm beim HSV. Etwa eine Stunde zuvor hatte der Club die Verpflichtung von Daniel Thioune als Nachfolger von Dieter Hecking offiziell verkündet. In dem Kommuniqé bestätigte der Verein den Abendblatt-Bericht, dass der 45-Jährige eine Ausstiegsklausel in seinem bis 2021 gültigen Vertrag beim VfL Osnabrück besaß. Die Ablöse liegt nach Abendblatt-Informationen etwas höher als die bislang kolportierten 300.000 Euro. Beim HSV erhält Thioune einen Zweijahresvertrag bis 2022.
„Für mich ist die Aufgabe beim HSV eine große Herausforderung, die ich mit viel Fleiß, Teamwork und Herz angehen möchte", sagte Thioune, dessen Handy vor Glückwünschen am Montag explodiert sei. Das Wort Aufstieg will er in Zukunft vermeiden.
„Dass der HSV zurück in die Bundesliga möchte, weiß jeder. Aber davon zu reden, bringt uns den Zielen nicht näher", sagte der neue Coach. „Ich werde vom ersten Tag an mit meinem Team hart daran arbeiten, dass sich alle Spieler weiterentwickeln und wir erfolgreich Fußball spielen.“
Wie Thioune Spieler beim HSV besser machen will
Doch gerade an diesen beiden Ziele waren in der jüngeren Vergangenheit immer wieder die verschiedenen Trainer beim HSV gescheitert. Auch unter Dieter Hecking wurden die Profis nicht besser. Was aber stimmt Thioune optimistisch, diesen Zyklus, dass sich Spieler in Hamburg verschlechtern, zu brechen?
„Das Fundament ist gegeben, ein Maß an Bereitschaft ist vorhanden beim HSV", sagte der neue Trainer. Der Kader verfüge über ein hohes Maß an Qualität. Dann aber folgten die entscheidenden Worte, bei denen klar wurde, dass sich der HSV auf eine schwierige Saison einstellen muss: „Es sieht vielleicht so aus, als würden wir einen Schritt zurückgehen. Aber vielleicht nehmen wir auch nur Anlauf."
Thioune: HSV-Profis haben „brutales Potenzial"
Thioune sehe ein „brutales Potenzial" bei Spielern wie Sonny Kittel oder Josha Vagnoman. „Es liegt an mir, dieses Potenzial zu entwickeln. Wir müssen mit Wille vorangehen", sagte Thioune, der überzeugt ist, in diesem Umfeld beim HSV sehr wohl etwas entwickeln zu können.
Gelingen soll dies, indem die Spieler neue Möglichkeiten erhalten, klare Positionsaufgaben, aber eben auch die Freiheit, Fehler zu machen. „Junge Spieler werden auch mal stolpern, aber es liegt jetzt an uns, ihnen die Steine aus dem Weg zu räumen", sagte er.
Auf dem Platz will Thioune auch mal für Stress sorgen, neue Reizpunkte setzen. „Wir müssen leidenschaftlich brutal gegen den Ball arbeiten. Das ist total wichtig in der Zweiten Liga", sagte Thioune und ergänzte: „Wir müssen aber auch Lösungen gegen Mannschaften finden, die destruktiven Fußball spielen – zum Beispiel durch Überzahlsituationen." Genau solche Lösungen fehlten dem HSV zuletzt im Ligaendspurt.
HSV verhandelte schon länger mit Thioune
Thioune war am Montagvormittag in den Volkspark gereist, um dort letzte Details zu besprechen. Der Sohn eines Senegalesen und einer Deutschen ist seit 2008 bereits der 21. Cheftrainer beim HSV. Er bringt seinen Co-Trainer Merlin Polzin mit in die Hansestadt. Ob darüber hinaus auch die bisherigen Co-Trainer Dirk Bremser und Tobias Schweinsteiger eine Zukunft im Club haben, sei noch offen, sagte Manager Boldt.
„Wir können die sportliche Entscheidung von Daniel nachvollziehen, nun den nächsten Schritt zu einem der größten Klubs in Deutschland zu machen und wünschen für die Zukunft alles Gute“, sagte Osnabrücks Sportdirektor Benjamin Schmedes, der als ehemaliger Chefscout eine HSV-Vergangenheit hat.
Wie zuerst der „Kicker" berichtete, gab es bereits parallel zu den Trennungsgesprächen mit Hecking Ende vergangener Woche einen ersten Austausch zwischen Thioune und Boldt. Mit dem ebenfalls gehandelten Dimitrios Grammozis (bisheriger Trainer bei Darmstadt 98) fand dagegen kein Treffen statt.
Die HSV-Trainer seit 2008
Thioune: HSV sticht St. Pauli aus
Nun können die Hamburger ihre Kaderplanung vorantreiben, denn in diese soll auch der neue Trainer Thioune mit einbezogen werden. So steht vor allem Wehen Wiesbadens 19-Tore-Stürmer Manuel Schäffler (31) auf dem Wunschzettel des HSV.
Mit der Verpflichtung Thiounes hat der HSV kurioserweise den Stadtrivalen FC St. Pauli ausgestochen. Der Kiezclub hatte sich nach der Trennung von Jos Luhukay ebenfalls mit dem Osnabrücker Coach beschäftigt.
- Das sind die größten Baustellen für Thioune und Boldt beim HSV
- Köttgen: So lief das mit Kühne, Hoffmann und Jansen beim HSV
- Langjähriger HSV-Aufsichtsrat Bernd Enge gestorben
Warum Thioune zum HSV passen könnte
Thioune passt ins neue Trainerprofil des HSV, der wegen der angespannten finanziellen Lage in Zukunft verstärkt auf Talente setzen und eine hungrige Mannschaft aufbauen will. Ähnliches gelang Thioune bereits in Osnabrück. Nachdem er den Club zunächst 2018 vor dem Abstieg in die Vierte Liga bewahrt hatte, führte er den VfL ein Jahr später souverän zurück in die Zweite Liga, wo ihm nun mit einem überschaubaren Etat der Klassenerhalt gelang. Das Attribut „Entwicklung" verkörpere Thioune „mit Haut und Haaren", sagte Jonas Boldt.
„Wir wollen einzelne Spieler und damit unser Team als Ganzes entwickeln", ergänzte der Sportvorstand, der die Ausrichtung des Clubs verändern will. „Wir haben mit Daniel Thioune einen Trainer geholt, der in Osnabrück mit überschaubaren Mitteln eine Mannschaft stetig weiterentwickelt hat. Er passt zu unserer den etwas veränderten Möglichkeiten angepassten Ausrichtung. Wir haben von der ersten Kontaktaufnahme an gespürt, dass Daniel für diese Herausforderung brennt.“
Von seinen Spielern erwartet Thioune nicht weniger als vollen Einsatz und Leidenschaft. Es sind Attribute, die der HSV in den vergangenen Jahren und vor allem im zurückliegenden Saisonfinale häufig vermissen ließ. Der Coach gibt sich selten zufrieden, sondern will sein Team permanent entwickeln. Diesen Willen lebt er selbst Tag vor Tag vor, wie er einst im Gespräch mit dem Abendblatt über sich selbst sagte.
Als Thioune die HSV-Schwächen aufdeckte
Thioune war bereits vor einem Jahr beim HSV im Gespräch, letztlich entschieden sich die Verantwortlichen aber für Dieter Hecking. Doch die Mission scheiterte und so heuert Thioune nun im zweiten Anlauf im Volkspark an.
Der frühere Mittelfeldakteur, der beim VfB Lübeck unter Trainer Hecking gespielt hatte, gilt als Motivator und Bessermacher, wie das Abendblatt am 29. November 2019 vor dem Hinrunden-Duell zwischen Osnabrück und dem HSV getitelt hatte.
Das Spiel gewann der Aufsteiger aus Niedersachsen seinerzeit mit 2:1. Thioune deckte damals die Schwächen des HSV-Systems auf. Nun wird er in Zukunft selber an diesen Schwächen arbeiten – und den Club aus dem Volkspark auch besser machen?