Darmstadt/Hamburg. Sportvorstand Boldt hat “noch einige Dinge“ zu tun. Bei Trainer Hecking ist der Ärger über den verpassten Sieg in Darmstadt verflogen.
Es war auf Höhe Bad Fallingbostel, als Dieter Hecking am Sonntagmittag seinen Frieden mit den Geschehnissen des Vortags gemacht hatte. „Der vermeintliche Siegtreffer ist abgehakt. Im Großen und Ganzen fahre ich mit einem guten Gefühl nach Hause“, sagte der HSV-Trainer am Telefon.
Einen Tag nach dem ärgerlichen 2:2 in Darmstadt hatte er seine Mannschaft morgens noch einmal in den Volkspark gebeten und ein paar aufmunternde Worte verloren, ehe er am späten Mittag Ehefrau Kerstin in Bad Nenndorf abholte. Das gemeinsame Ziel: Grünkohlessen in Heckings Heimat Soest.
HSV-Transfers: Führung bleibt im Gespräch
Doch bevor am vierten Advent Pinkel, Kasseler und Röstkartoffeln aufgefahren werden konnten, mussten sich Hecking, Sportvorstand Jonas Boldt, Sportdirektor Michael Mutzel und HSV-Chef Bernd Hoffmann auch noch kurz über die gemeinsamen Ziele für die Saison, die Rückrunde und die bevorstehende Transferperiode austauschen.
„In den kommenden Tagen wird eher nichts passieren, aber wir bleiben selbstverständlich im Gespräch“, sagte Hecking, der nach dem achten Auswärtsspiel in Folge ohne Sieg natürlich auch weiß, dass es für ihn und den HSV in der Rückrunde nicht unbedingt einfacher wird: „Der VfB Stuttgart und wir haben den größten Druck. Jeder Fehltritt wird bestraft.“
HSV-Konkurrent VfB vor Trainerentlassung?
Wie groß der Druck schon jetzt ist, musste Heckings Stuttgarter Kollege Tim Walter schon am Sonntag erfahren. Denn obwohl der HSV und der VfB mit jeweils 31 Punkten Tabellennachbarn sind, droht dem Schwaben nach seinem 2:2 gegen Hannover 96 noch vor Weihnachten das Aus.
Fast gleichzeitig zum Chefgipfel im Volkspark saßen auch in Stuttgart die Verantwortlichen zusammen, um mit dem Noch-Trainer die Hinserie „knallhart zu analysieren“ (O-Ton Sportdirektor Sven Mislintat).
HSV-Boss Hoffmann mit versöhnlicher Ansage
In Hamburg wurde die Analyse bereits vor dem letzten Spiel des Jahres in Darmstadt abgehakt – und das 2:2 gegen die Lilien sollte daran auch nicht viel ändern. „Das Glas ist ganz eindeutig halb voll“, sagte Clubchef Hoffmann am Sonntag dem Radiosender NDR 90,3.
Ein halbes Jahr nachdem er bemängelte, dass im vergangenen Winter das Sportsystem kollabiert sei, ist und bleibt Hoffmann auch nach dem Remis in Darmstadt zufrieden: „Wir haben eine stabile Gruppe zusammenbekommen im Sport.“
Mit Jonas Boldt, Dieter Hecking und der Mannschaft sei der Sport in besten Händen, so Hoffmann. „Trotzdem müssen wir in der Rückrunde noch eine Schippe drauflegen und ein paar Punkte mehr holen.“
Ärger über "Torklau" gegen Darmstadt
Dass es am Sonnabend in Darmstadt nur einer statt drei wurde, lag vor allem an der 78. Minute, über die im Anschluss an das Spiel noch sehr lange gefachsimpelt wurde. „Für mich war das ein klares Tor“, sagte Hecking, als er direkt nach der Partie auf das zunächst gegebene und dann doch zurückgenommene Siegtor Rick van Drongelens angesprochen wurde.
Noch deutlicher war nur der Nicht-Torschütze selbst: „Ich nenne es auch weiterhin ein Tor. Das wurde uns und mir heute weggenommen“, sagte der bediente Niederländer. „Wenn du so ein Tor zurückpfeifst, dann machst du den Fußball kaputt. Dann kann man bei jeder Scheiße nur noch Video gucken.“
So spielte der HSV in Darmstadt
Van Drongelen findet seinen Treffer weiterhin "schön"
Gleich dreimal habe er sich die Szene direkt nach dem Schlusspfiff in Zeitlupe angeschaut, als er nach einer Ecke mit großer Wucht von hinten kommt und unhaltbar zum vermeintlichen 3:2 einköpft.
„Und jedes Mal bleibt das Tor schön“, sagt van Drongelen, der auch nach der dritten Zeitlupe nicht einsehen wollte, dass Bakery Jatta seinen Gegenspieler entscheidend behindert hätte: „Baka steht zwar im passiven Abseits, aber er springt nicht hoch, blockt den Gegner auch nicht“, so van Drongelen.
Expertenportal gibt dem Schiedsrichter Recht
O du Ärgerliche. Doch so verständlich der Ärger der Hamburger auch am Sonntag noch war, so umstritten blieb die Entscheidung des Kölner Kellers. Das Onlineportal „Collinas Erben“, das die Perspektive von Schiedsrichtern beleuchtet, kommt beispielsweise zu einer ganz anderen Bewertung und zitiert dabei die Abseitsregel.
Demnach habe Referee Arne Aarnink im Nachhinein korrekt entschieden, da der bei der Ballabgabe von Vorbereiter Timo Letschert im Abseits stehende Jatta die Möglichkeit des Darmstädters Immanuel Höhn, den Ball zu spielen, beeinflusst habe.
Van Drongelen sprang zwei Etagen höher
„Um das Tor zurückzunehmen, muss ein klarer Fehler vorliegen“, sagte dagegen Boldt. „Wenn du suchst und suchst und suchst, wirst du immer etwas finden. Van Drongelen springt zwei Etagen höher. Ob da einer steht oder nicht, der Gegenspieler kann nicht eingreifen“, sagte der Sportvorstand, der auch auf der emotionalen Ebene argumentierte.
„Auf dem Platz hat sich keiner beschwert, Darmstadt hat das Gegentor hingenommen, und dieses Gefühl musst du als Schiedsrichter haben. Wir müssen das so akzeptieren, aber ich sehe es anders.“
Boldt mit positiver HSV-Gesamtbewertung
Lirum larum, trotz des Ärgers über den nicht gegebenen Siegtreffer, das mangelhafte Abwehrverhalten beim zweimaligen Ausgleich und Ewertons erneute Verletzung überwog auch bei Boldt das Positive bei der Gesamtbewertung.
„Wir sind auf einem echt guten Weg, wenn man sieht, was hier im Verein und innerhalb der Mannschaft zusammenwächst“, sagte der Manager, der über die Feiertage mögliche Wintertransfers vorbereiten muss. Am 1. Januar öffnet das Transferfenster. „Einige Dinge sind eben noch zu tun.“
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Hinterseer liefert Argumente gegen Skrzybski-Transfer
Ob neben dem gesuchten Rechtsverteidiger tatsächlich auch noch ein Stürmer geholt wird – Schalkes Steven Skrzybski gilt nach dem sich abzeichnenden Wechsel Michael Gregoritschs nach Gelsenkirchen als Kandidat –, ist noch immer nicht endgültig entschieden.
Beste Argumente dagegen lieferte am Sonnabend Lukas Hinterseer, der nach seiner Verletzungspause zum zweiten Mal in Folge treffen konnte. Zu 100 Prozent zufrieden war der Österreicher trotz seines sechsten Saisontors aber nicht: „Wir müssen als Team besser verteidigen.“
Van Drongelen bleibt angriffslustig
Besonders bei Serdar Dursuns erstem Treffer (32.) stimmte das Defensivverhalten beim HSV so gar nicht. Martin Harnik und Khaled Narey ließen Fabian Holland unbedrängt flanken, und der gerade erst eingewechselte van Drongelen kam gegen den gebürtigen Hamburger Dursun zu spät. „Das war ärgerlich“, sagte van Drongelen, der bei allem Ärger aber doch noch in Feststimmung kam.
Den ersten Weihnachtstag werde er mit seiner Familie im südholländischen Axel verbringen, am zweiten Weihnachtstag ist dann ein Familienausflug zu einem Escaperoom in Antwerpen geplant. Und sportlich? Da sei die Flucht nach vorne fest eingeplant: „Wir sind noch immer oben – und da wollen wir bleiben.“
Die Statistik
- Darmstadt: Schuhen - Patrick Herrmann, Dumic, Höhn, Holland - Stark, Paik (46. Schnellhardt) - Skarke (62. Heller), Mehlem (90.+2 Honsak) - Dursun, Tobias Kempe. - Trainer: Grammozis
- HSV: Heuer Fernandes - Narey, Letschert, Ewerton (29. van Drongelen), Leibold - Gideon Jung - Fein, Kittel (87. Samperio) - Jatta, Hinterseer, Harnik (56. Dudziak). - Trainer: Hecking
- Schiedsrichter: Arne Aarnink (Nordhorn)
- Tore: 0:1 Hinterseer (18.), 1:1 Dursun (32.), 1:2 Jatta (45.), 2:2 Dursun (58.)
- Zuschauer: 14.875 (ausverkauft)
- Gelbe Karten: – Jatta (3)
- Torschüsse: 11:15
- Ecken: 2:4
- Ballbesitz: 43:57 %