Der Vorstandsboss klärt das Gerücht, Beiersdorfer könne Sportchef bleiben, auf. Bei den Spielen wird er nicht im Stadion sein.
Hamburg. "Ich freue mich, wieder in Hamburg zu sein und bin froh, kein Rentner mehr zu sein", sagt Heribert Bruchhagen, der bei seiner Vorstellung als Vorstandsvorsitzender des HSV auf schon zu häufig gehörte Floskeln verzichtet. "Ich muss nicht damit ankommen, dass ich die Raute im Herzen trage und Hamburg die schönste Stadt der Welt ist.“ Vielmehr zeigt er klare Kante – ab jetzt zählt nur noch ehrliche Arbeit. Der langjährige Boss von Eintracht Frankfurt weiß, auf welche schwierige Aufgabe er sich beim Chaos-Dino eingelassen hat. "Die sportliche Situation des HSV ist prekär."
Zu einer seiner ersten Amtshandlungen, das unterstrich Bruchhagen erneut, gehöre es, einen Sportchef zu installieren. Kontakt zu möglichen Kandidaten wie die hoch gehandelten Horst Heldt und Jens Todt habe er noch nicht aufgenommen. "Ich habe aber mehr als 200 Mails mit Bewerbungsschreiben erhalten." Gerüchte, sein Vorgänger Dietmar Beiersdorfer könnte auch im neuen Jahr die Aufgaben des Sportdirektors erfüllen, dementiert der neue starke Mann beim HSV. "Didi bleibt Sportchef bis zum 30. Dezember. Wir haben uns darauf geeinigt, welche Aufgaben er bis dahin zu erledigen hat. Er hat kein Signal gegeben, darüber hinaus zu bleiben."
Gisdol soll seine Wunschspieler bekommen
Bruchhagen, der bereits von 1992 bis 1995 beim HSV als Manager tätig war, macht kein Geheimnis daraus, dass Trainer Markus Gisdol bei der Suche nach einem Sportchef eine entscheidende Rolle spielt. "Ich bin voll auf die Umsetzung von Gisdols Wünschen fokussiert. Der neue Sportchef muss zu 100 Prozent kompatibel mit ihm sein, um ein Vertrauensverhältnis zu entwickeln. Der Trainer und der Sportchef müssen harmonieren."
Gemeinsam mit dem Aufsichtsrat habe Bruchhagen deshalb einen Plan erstellt, "wie wir die Wünsche von Herrn Gisdol erfüllen können". Dazu zählen auch Spielerkäufe, um die wacklige Defensive zu verstärken. Kurioserweise wird der entmachtete Beiersdorfer vorerst die Transferverhandlungen weiterführen. Der neue Sportchef werde seine Arbeit wohl nicht vor dem Trainingslager im türkischen Belek (6. bis 16. Januar) aufnehmen können, mutmaßte Bruchhagen. "Das ist unrealistisch."
Unrealistisch sei auch Bruchhagens in den Medien spekuliertes Gehalt in Höhe von 1,8 Millionen Euro. "Ich war schon erschrocken über die Berichterstattung, was mein Gehalt angeht. Wenn ich das Ziel habe, in vielen Bereichen Wirtschaftlichkeit zu predigen, muss ich selber auch eine gewisse Zurückhaltung praktizieren. Die veröffentlichten Zahlen sind absurd und ein Witz. Es ist für meine Arbeit notwendig, das klarzustellen. Sonst würde ich das nicht erzählen. "
Meier und Bruchhagen fordern Ruhe
Um einen reibungsfreien Übergang zu gewährleisten, sei Bruchhagen im permanenten Austausch mit Beiersdorfer, über den er kein schlechtes Wort verlieren will. "Es ist doch völlig klar, dass es gar keine Spannungen zwischen Dietmar Beiersdorfer und mir geben kann. Es darf keine Nebenkriegsschauplätze im Sinne von Eitelkeit geben. Wir müssen uns selbst zurücknehmen und die Mannschaft in den Vordergrund rücken."
Das war zuletzt nicht immer der Fall bei den Hamburgern. Als Höhepunkt der internen Machtkämpfe trat Aufsichtsratschef Karl Gernandt am Montag verbittert zurück und warf seinen Ratskollegen Indiskretion und Egoismus vor. "Es ist wieder an der Zeit, dass der Aufsichtsrat mit dem heutigen Tag in den Hintergrund rückt, damit wir uns wieder voll auf den Abstiegskampf konzentrieren können. Geredet wurde nun genug, es sollten keine weiteren Geschichten mehr über das Gremium entstehen", fordert e.V.-Präsident Jens Meier, der auf dem Podium von Pressesprecher Till Müller als Vertreter des Aufsichtsrats vorgestellt wurde.
Dass er bei der Vorstellung Bruchhagens dabei war, habe keinerlei Aussagekraft auf die künftige Aufstellung des Aufsichtsrats und wer Nachfolger von Gernandt werde, unterstreicht Meier. "Der Aufsichtsrat wird sich zu gegebener Zeit zusammensetzen und das Geschehene analysieren, damit wir wieder in Ruhe arbeiten können." Für Unruhe sorgte zuletzt aber auch das zögerliche Verhalten des Aufsichtsrats im Umgang mit Beiersdorfer, dessen Ablösung offenbar schon seit Monaten vorbereitet wurde. „Es gab einen Prozess der Findung eines neuen Vorstandsvorsitzenden in den letzten Wochen und Monaten", verriet Meier.
Bruchhagen will auf Kühne zugehen
Nun soll vor allem Bruchhagen für die am Mittwoch mehrfach geforderte Ruhe im Verein sorgen. "Wir freuen uns, einen unaufgeregten Menschen, der für Ruhe und Integrität steht, gewonnen zu haben", so Meier. Doch das alleine reiche nicht, stellt Bruchhagen klar: "Ich möchte den Worten von Herrn Meier ergänzen, dass auch Kompetenz – und diese unterstelle ich mir – nötig für diesen Posten ist." Sein fortgeschrittenes Alter stelle dafür keine Hürde dar. "Trotz meines Alters fühle ich mich immer noch in der Lage, dieses Bundesligageschäft zu durchschauen", sagt der 68-Jährige.
13 Jahre lang agierte Bruchhagen als Vorstandschef in Frankfurt. In dieser Zeit stand er dem finanziellen Engagement Klaus-Michael Kühnes beim HSV oftmals kritisch gegenüber – dies habe er allerdings vornehmlich als Interessenvertreter der Eintracht getan. In Zukunft wolle er eng mit dem Logistikunternehmer zusammenarbeiten. Er habe zugleich immer wieder betont, dass Kühne „Großartiges für den HSV“ tue und ein „Glücksfall“ für den Verein sei.
"Ich werde alles dafür tun, ein gutes Verhältnis zu ihm zu pflegen. Es ist doch selbstverständlich, dass ich als Vorstandsvorsitzender auf den Hauptaktionär zugehe und ihn mit den nötigen Informationen bedienen", sagt Bruchhagen, der um die Bedeutung Kühnes für den HSV wisse. Um die von Gisdol geforderten Neuzugänge für die Defensive zu realisieren, ist der HSV auf erneute Millionen seines Mäzens angewiesen. 20 Millionen stehen wir Wintertransfers im Raum – die erneute Finanzspritze will Bruchhagen nicht aufs Spiel setzen.
Bruchhagen bleibt erstmal bei Sky
Ein erster Gedankenaustausch zwischen ihm und Kühne fand noch nicht statt. Zur Mannschaft wolle Bruchhagen ebenfalls erst im neuen Jahr zum Trainingsauftakt sprechen. Bis dahin werde Beiersdorfer weiterhin eng bei der Mannschaft bleiben und bei den abschließenden Spielen vor der Winterpause in Mainz und gegen Schalke auf der Tribüne sitzen. "Es lenkt nur ab, wenn ich jetzt schon vor die Mannschaft trete", meint Bruchhagen, der aber auch einen zweiten Grund für seine Entscheidung offenlegt. "Gleichzeitig habe ich noch Verpflichtungen für Sky."
Während Beiersdorfer also am Sonnabend in Mainz (15.30 Uhr) auf den Rängen gute Miene zum bösen Spiel machen soll, wird Bruchhagen kurz nach dem Abpfiff live bei Sky als Experte der Partie seines Ex-Clubs Frankfurt in Wolfsburg zu sehen sein.