Hamburg. Nach zehn Spieltagen jubelte der HSV schon so oft über späte Punktgewinne wie in der ganzen letzten Saison. Die Gründe für den Wandel.

"Eine heiße Minute, ich bin drin" heißt es im Hit "One hot Minute" der Red Hot Chili Peppers. Ob die kalifornischen Funk-Rocker zum musikalischen Repertoire der HSV-Profis zählen, darf bezweifelt werden. Die in dem Song transportierte Botschaft taugt aber zweifelsohne zum Rothosen-Soundtrack dieser Spielzeit.

Denn schon dreimal in der erst zehn Spieltage jungen Fußball-Bundesligasaison genügte dem HSV eine heiße Minute, um aus zwei Zählern plötzlich neun Punkte zu machen. Die Mannschaft mutiert unter Trainer Bruno Labbadia zum Last-Minute-Spezialisten.

Lasogga ist Last-Minute-Experte

Zuletzt sorgte beim Auswärtsspiel in Hoffenheim Pierre-Michel Lasogga durch seinen Siegtreffer in der 88. Minute für späte Glücksgefühle. Lasogga ist inzwischen Experte für Treffer kurz vor Toresschluss. Beim ersten Heimspiel gegen den VfB Stuttgart riss der Stürmer den HSV nach seiner Auswechslung noch zum Sieg.

1:2 lagen die Hamburger zurück, als Lasogga in der 58. Minute ins Spiel kam. 30 Zeigerumdrehungen später war eben dieses plötzlich gedreht - durch ein Lasogga-Tor in der 84. Minute und eine Vorarbeit auf Siegschütze Johan Djourou in der 89. Minute.

Die HSV-Kurve stand Kopf - wie auch vier Runden später beim Auswärtsspiel in Ingolstadt. Dort war es Michael Gregoritsch, der - ebenfalls erst kurz zuvor eingewechselt - mit einem Freistoßtreffer in der 87. Minute einen nicht mehr für möglich gehaltenen Sieg herausschoss.

HSV siegt dank spätem Lasogga in Hoffenheim

Schiedsrichter Daniel Siebert zeigt Ermin Bicakcic (Hoffenheim) die gelb-Rote Karte nach Notbremse gegen Sven Schipplock
Schiedsrichter Daniel Siebert zeigt Ermin Bicakcic (Hoffenheim) die gelb-Rote Karte nach Notbremse gegen Sven Schipplock © WITTERS | ThorstenWagner
Ivo Ilicevic verpasst den Ball
Ivo Ilicevic verpasst den Ball © WITTERS | ThorstenWagner
Oliver Baumann und Ilicevic können nicht mehr eingreifen
Oliver Baumann und Ilicevic können nicht mehr eingreifen © WITTERS | ThorstenWagner
Torwart Oliver Baumann hält einen Kopfball von Lasogga
Torwart Oliver Baumann hält einen Kopfball von Lasogga © WITTERS | ThorstenWagner
Michael Gregoritsch und Ermin Bicakcic (r.) im Duell
Michael Gregoritsch und Ermin Bicakcic (r.) im Duell © imago/Jan Huebner | imago sportfotodienst
Schiedsrichter Daniel Siebert redet mit Lewis Holtby (r.)
Schiedsrichter Daniel Siebert redet mit Lewis Holtby (r.) © WITTERS | ThorstenWagner
1/6

Rigoroser Wandel in den Halbzeit-Tabellen

Das späte Erwachen schlägt sich auch in der Extra-Tabelle für die zweite Halbzeit nieder. Dort rangiert der HSV mit imaginären 14 Punkten derzeit auf Rang neun. Wäre nach 45 Minuten Schluss, stünde der Dino mit aktuell nur neun Punkten auf Relegationsplatz 16, natürlich.

Was auffällt: Die Platzierungen stellen eine fast 180-Grad-Wende zur Vorsaison dar. Damals hätte der HSV nach 34 zweiten Halbzeiten mit mickrigen 29 Punkten als Schlusslicht abgeschlossen. In der Tabelle der ersten Hälfte stand der damalige Krisenclub dagegen auf einem sicheren elften Rang (39 Punkte).

Mit Labbadia kam die Wende

Nur drei späte Punktgewinne sind aus 2014/15 in Erinnerung geblieben, darunter aber immerhin ein umso schönerer: Das 2:0 im Derby gegen Werder Bremen unter Trainer Joe Zinnbauer stand am 12. Spieltag erst durch Treffer von Artjoms Rudnevs (83. Minute) und ein Eigentor des Werder-Keepers Raphael Wolf in der Nachspielzeit fest.

Daneben gab es in Mainz (2:1-Siegtreffer durch Gojko Kacar in der 87. Minute) und gegen Freiburg (1:1-Ausgleich durch Kacar in der 90. Minute) Zusatzpunkte auf den letzten Drücker. Für letztere Last-Minute-Erfolge zeichnete schon Bruno Labbadia verantwortlich.

Den Höhepunkt unter dem "Last Man Standing" bildete schließlich das Relegationsdrama, das in Karlsruhe standesgemäß mit einem Freistoßtreffer von Marcelo Díaz verlängert wurde, ehe dann der erlösende Klassenerhaltschuss durch Nicolai Müller fiel.

Fitness und Konzentration verbessert

Ist der Trainer also Hauptfaktor für den Wandel? Fakt ist, dass Labbadia ein glückliches Händchen mit seinen Jokern beweist. Denn an den Last-Minute-Zählern hatten jeweils Einwechselspieler maßgeblichen Anteil. Neben Lasogga und Gregoritsch tat sich dabei auch Sven Schipplock hervor, der bei seinem Kurzeinsatz in Hoffenheim (kam in der 64. Minute) als entscheidender Vorbereiter glänzte - und vom Fachmagazin "Kicker" prompt zum "Spieler des Spiels" gekürt wurde.

Ebenso dürfte die verbesserte Fitness und erhöhte Konzentration der HSV-Profis eine Rolle spielen. Seit sich der HSV im vergangenen Herbst nach der Demission von Nikola Vidovic die Athletiktrainer Daniel Müßig und Carsten Schünemann ins Boot geholt hat, haben sich Ausdauerwerte der Spieler noch einmal verbessert. Während des Trainings werden seither sämtliche Fitnessdaten erhoben.

Darüber hinaus wirkt sich die Ruhe und Gelassenheit, die Labbadia austrahlt, auch auf die Mannschaft aus - die sich aufgrund einer klareren Spielstruktur nicht so leicht nervös machen lässt und auch einmal geduldig auf einen Lucky Punch warten kann.

Hannover ist quasi Tabellennachbar

Diesen erhoffen sich Spieler und Fans nun auch am Sonntag (17.30 Uhr, im Liveticker auf abendblatt.de) gegen Hannover. Die 96er (acht Punkte, Platz 15) sind übrigens Tabellennachbar des HSV - allerdings nur, was die nach erster und zweiter Halbzeit aufgeschlüsselten Platzierungen angeht.

Nach den ersten 45 Minuten stünde der Nordrivale mit fünf Pünktchen ganz am Ende, in der zweiten Hälfte dagegen mit immerhin zwölf Zählern nur drei Plätze hinter dem HSV (12.). Es deutet also auch am Wochenende wieder vieles auf die von Labbadia so oft beschwörte "enge Kiste" hin.

Mit der entscheidenden heißen Minute hoffentlich auf Seiten des Gastgebers. "Komm und hol sie dir" singen die Red Hot Chili Peppers. Sollte sich das Schlussphasen-Glück doch einmal vom HSV abkehren, könnte Labbadia ja immer noch den Ghettoblaster in der Mannschaftskabine mit neuen Tönen bestücken...