Hamburg. Berater Noack erklärt, weshalb sein Schützling im zweiten HSV-Jahr plötzlich aufblüht. Diaz' Wadenprobleme fordern Holtby noch mehr.
Lewis Holtby strahlt. Der Mund zu einem breiten Grinsen geformt, die Augen weit aufgerissen. „Man lebt nur einmal“, sagt das 1,76 Meter kleine Energiebündel. Bloß nicht still stehen. Holtby wippt von rechts nach links und von links nach rechts. „Ich bin dem Herrgott dankbar für meine Energie“, sagt die rheinische Frohnatur. Wippt. Und lacht. Und wippt und lacht. „Meine Kollegen in unserer Truppe nervt es schon ein bisschen, wie ich da immer so herumhüpfe“, sagt Holtby, den das so gar nicht nervt. „Ich muss eben meine überschüssige Energie loswerden. Aber ich wäre gerne mit einem wie mir zusammen“, so der 25-Jährige. „Ich habe gerne Spaß.“
Besonders auf dem Platz. Zehn von zehn Spielen machte Holtby mit dem HSV in dieser Saison. Immer von Anfang an. Fast immer als einer der fleißigsten. So gut wie immer als einer der besten. „Irgendwie fühlt sich alles gerade richtig gut an.“
Doch irgendwie kann die ganze Lila-Laune-Stimmung auch schnell wieder vorbei sein. Stichwort: Letzte Saison. „Ich denke nicht mehr an die letzte Saison“, sagt Holtby und legt die Arme über Kreuz. „Letztes Jahr ist letztes Jahr. Und dieses Jahr ist dieses Jahr.“ Kein Strahlen mehr. Kein Grinsen. Nicht mal ein Lächeln. „Ich denke nicht mehr an das letzte Jahr. Und das war auch das letzte Mal, dass ich zum letztes Jahr noch etwas gesagt habe.“
Die missratene Saison ist abgehakt
Das letzte Jahr also: abgehakt. Die 6,5 Millionen Euro für Tottenham, die schwere Anfangszeit, die schlimme Schulterverletzung, der Dauer-Abstiegskampf und der Ärger über ein teures Kabinenbild mit einer Mütze vom falschen Ausrüster. Abgehakt. Abgehakt. Und abgehakt. „Ich habe einen Cut gemacht“, sagt Holtby, der schon zum Saisonbeginn die ollen Kamellen wieder aus dem Gedächtnis kramen musste. Erst berichtete die „Bild“-Zeitung über einen angeblichen Kabinen-Streit mit Emir Spahic, dann berichtete Holtby selbst über eine angebliche Aussage von Schiedsrichter Deniz Aytekin. Dementiert wurde in beiden Fällen.
Doch genug ist genug. „In der öffentlichen Wahrnehmung kam vieles anders rüber, als ich es in Wahrheit gemeint hatte“, sagt Holtby, für den vorerst Schluss mit lustig war. Die Konsequenz: Bis zu dieser Woche keine Interviews mehr, keine Medientermine. „Ich wollte nicht mehr zu allem was sagen. Ich wollte nur noch meine Leistung auf dem Platz für sich sprechen lassen.“
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Und die Leistung sprach für sich. 557 Ballkontakte hatte Holtby in dieser Saison. HSV-Bestwert. Keiner passt so viel, keiner läuft so viel. Und keiner trifft so viel – neben das Tor. „Ich weiß, ich weiß. Ich muss endlich mal wieder ein Tor machen“, sagt Holtby, der vom Sprung aus der Vergangenheit in die Gegenwart sofort wieder gute Laune bekommt. „Vielleicht treffe ich ja schon am Wochenende im Nordderby“, sagt er. „Dann bekommt ihr von mir den Stinkefinger als Gruß.“ Gelächter.
Glaubt man Trainer Bruno Labbadia, dann könnte aus dem Spaß schon bald Ernst werden. Denn ein bisschen Ernst muss sein, das habe auch Spaßvogel Holtby verstanden. „Lewis ist das beste Beispiel dafür, welche Entwicklung man machen kann, wenn es auch in der Mannschaft stimmt“, sagt Labbadia, der in der Saisonvorbereitung noch ganze andere Töne angeschlagen hatte: „Ich wünsche mir konkrete Ergebnisse von ihm“, hatte Labbadia noch kurz vor Saisonbeginn angemahnt. Doch die Vergangenheit ist ja: abgehakt. Und in der Gegenwart lobt der Trainer: „Der Lewis hat sich unheimlich weiterentwickelt in den vergangenen Monaten.“
Holtby der Kabinen-DJ
Das Thema Rucksäcke ist beim HSV nicht ganz einfach. Doch ausgerechnet ein fehlender Rucksack soll verantwortlich für Holtbys erfreuliche Entwicklung sein. „Lewis hatte sich in der letzten Saison einen sehr schweren Rucksack aufgesetzt“, sagt Berater Marcus Noack. „Er wollte Verantwortung übernehmen, wollte es allen recht machen und zum Ende den HSV vielleicht sogar ganz alleine retten.“
Im Sommer haben Noack und Holtby also den Reset-Knopf gedrückt. „Lewis hat sich darauf konzentriert, was wichtig ist. Für ihn – und für die Mannschaft“, sagt Noack. Auch Trainer Labbadia habe bei Lewis’ Entwicklung eine wichtige Rolle gespielt. „Er gibt ihm das Gefühl der Anerkennung. Und Lewis braucht dieses Gefühl.“
Statt als Mittelfeld-Regisseur auf der Zehn wie ganz früher bei Mainz ist Holtby nun im zentralen Mittelfeld als sogenannter Verbindungsspieler zwischen Offensive und Defensive gefragt, als „Achter“. Er ist die große Konstante im HSV-Mittelfeld, auf den es am Sonntag gegen Hannover noch mehr ankommen wird. Denn neben dem langzeitverletzten Albin Ekdal droht nun auch noch Marcelo Diaz auszufallen. Der Chilene musste am Dienstag das Training mit Wadenproblemen abbrechen. Holtby ist bereit: „Ja“, sagt er ernst. „Ich spiele sehr gerne auf der Acht. Da habe ich das ganze Spiel vor mir. Da bin ich am Stärksten.“
Doch Holtby ist nicht nur als Mittelfeld-Achter unumstritten gesetzt, sondern auch als Kabinen-DJ. „DJ-Duracell“, sagt Holtby, und lacht. Er spiele alles, Schlager, Pop, Latino-Musik für Cléber und Díaz und auch für die Balkanfraktion um Spahic, Kacar, Olic und Ilicevic habe er einiges im Angebot. „Das könnte mein zweites Standbein werden“, sagt er, und lacht.
Ein bisschen Spaß muss sein.