Rafael van der Vaart soll den HSV retten – und dann Platz machen für einen Neubeginn. Der Glanz des Fußballers ist jedoch längst verflogen. Der Kapitän stand lediglich bei zwei HSV-Siegen mit auf dem Platz.
Hamburg. Wie eigentlich immer ging der Kapitän auch am Dienstag nach dem Vormittagstraining voran. Kaum war die Einheit beendet, stapfte Rafael van der Vaart, der erstmals nach seiner Wadenzerrung wieder mit der Mannschaft trainieren konnte, mit schnellen Schritten vom Trainingsplatz. Während sich der eine oder andere Spieler noch mit Pass- oder Schussübungen beschäftigte, stürzte sich der Niederländer als erster HSV-Profi in die bereits wartende Menge. Knapp 20 Meter sind es zwischen Trainingsplatz und dem abgezäunten Aufgang zum Stadion, wo sich die Spieler nach dem Training umziehen. Und diese 20 Meter, das weiß van der Vaart, können bei gutem Wetter eine gefühlte Ewigkeit dauern. Hier ein Autogramm, dort ein Handyfoto, mal ein kurzes Lächeln, dann wieder eine konzentrierte Unterschrift. Van der Vaart ist Profi, nach zwei Minuten hatte es der Mittelfeldregisseur geschafft.
Nur auf dem Fußballplatz hat der 31-Jährige zuletzt nicht wirklich viel geschafft. In der Rückrunde, der schlechtesten der HSV-Geschichte, wollten van der Vaart gerade mal zwei Torvorlagen gelingen. Der Kapitän, der vor knapp zwei Jahren als Heilsbringer verpflichtet worden war, stand lediglich bei zwei HSV-Siegen mit auf dem Platz, einen Treffer konnte er nicht beisteuern. „Es ist doch fast logisch, dass ich der Sündenbock bin. Ich kam für viel Geld aus Tottenham. Nach dem bisherigen Saisonverlauf ist es normal, dass sich die Kritik auf mich konzentriert“, sagte er vor Kurzem der „Bild“-Zeitung, mit der er in der Vergangenheit oftmals ansehnlicher Doppelpass spielte als mit seinen Kollegen auf dem Spielfeld.
Der Glanz des Fußballers, der mit Ex-Frau Sylvie als Glamourpaar vom Boulevard gefeiert wurde, ist längst verflogen. Wer als Messias im Erfolgsfall gefeiert wird, der wird bei Misserfolg eben gerne verteufelt. Experten oder Ex-Fußballer, die sich gerne Experten nennen, nahmen sich den „kleinen Engel“ zuletzt immer häufiger zur Brust. Ob Lothar Matthäus („Van der Vaart war eine Zumutung“), Uli Stein („Was van der Vaart auf dem Platz abliefert, hat mit Fußball und mit Mannschaftssport nichts zu tun“) oder am vergangenen Wochenende auch Jimmy Hartwig („Van der Vaart hat die Mannschaft im Stich gelassen“) – für das Gros der Beobachter ist van der Vaart der Schuldige an der miserablen Gesamtlage des HSV.
Und obwohl es selbst ohne van der Vaart, der bei den desaströsen Niederlagen gegen Augsburg und Wolfsburg (jeweils 1:3) verletzt fehlte, zuletzt keinesfalls besser lief, wurden auch die Fans zunehmend kritischer. So dauerte es nicht lange, ehe am Sonntag das Gerücht die Runde machte, dass van der Vaart auf dem Amsterdamer Flughafen gesichtet worden sein soll, noch während der HSV in Augsburg um das Überleben in der Bundesliga kämpfte. Auch Sohn Damian soll bereits von der Schule abgemeldet worden sein. Und der Papa, der als einziger HSV-Profi keinen leistungsbezogenen Vertrag, sondern ein mit knapp 3,5 Millionen Euro dotiertes, leistungsunabhängiges Arbeitspapier unterschrieben hat, soll mit Lebensgefährtin Sabia bereits ein Haus in Amsterdam gefunden haben.
Richtig ist, dass der Wahl-Eppendorfer am Sonntag tatsächlich nicht das Spiel seiner Kollegen in Augsburg verfolgte, weil er zeitgleich auf dem Amsterdamer Flughafen war. Falsch ist jedoch, dass er dort mit Verantwortlichen von Ajax, seinem ersten Profiverein, verhandelte. Der Nationalspieler, der noch immer von der WM in Brasilien träumt, war mit Sabia auf Familienbesuch in Beverwijk. Dort war am Wochenende das Haus seiner Eltern Ramon und Lolita abgebrannt. Auch die Abmeldung seines Sohnes aus der Schule habe nichts mit einem angeblichen Wechsel zu Ajax zu tun, schließlich habe ja auch Mama Sylvie noch ein Wörtchen beim Sorgerecht mitzureden. Und auch beim HSV ist kein Angebot aus den Niederlanden eingegangen. „Ganz ehrlich: Davon weiß ich nun wirklich nichts“, sagte Sportchef Oliver Kreuzer.
Dabei hat der Manager allerdings nur die halbe Wahrheit verraten. Denn richtig ist genauso, dass die Verantwortlichen des HSV lieber heute als morgen über ein ernsthaftes Angebot für den formschwachen Topverdiener verhandeln würden. Mit einer Ablöse von 13 Millionen Euro, wovon der Hauptteil von acht Millionen Euro erst in den kommenden Jahren an Darlehensgeber Klaus-Michael Kühne zurückgezahlt werden muss, ist van der Vaart nicht nur der teuerste HSV-Spieler aller Zeiten. Er ist, da ist man sich angesichts der exorbitanten Gehaltszahlungen im Verein mittlerweile einig, das teuerste HSV-Missverständnis aller Zeiten.
Dass nun ausgerechnet van der Vaart, der in Rekordzeit vom Superstar zum Sündenbock gemacht wurde, den HSV vor seinem angedachten Abschied ein zweites Mal vor dem Abstieg bewahren soll, darf man schon als paradox bezeichnen. „Ich freue mich sehr, dass Rafael ins Team zurückgekehrt ist“, sagte Trainer Mirko Slomka eine halbe Stunde, nachdem van der Vaart in die Kabine geeilt war: „Rafael hat eine gute Trainingseinheit hinter sich gebracht, er macht einen fitten Eindruck.“ Doch vom ersten Eindruck, das musste man beim HSV wohl erst lernen, sollte man sich lieber nicht täuschen lassen.