Hamburg. Die Sonne scheint, 50.000 Menschen sind in ekstatischer Stimmung, ein riesiger Rasen: Doch statt getanzt werden Bälle gekickt. Schade.
Fremde Körper verschwimmen zu einer einheitlichen Masse, die Luft ist stickig. Es ist warm an diesem sommerlichen Sonnabend, und mit jedem sich reindrängenden Körper wird es ein wenig kuscheliger. Eine Geruchsfusion aus Alkohol und Schweiß zieht durch die Nase. Die Atmosphäre ist geladen, voller Energie und freudvollen Erwartungen.
Was klingt wie die Beschreibung einer durchzechten Nacht in einem der (noch übrig gebliebenen) Hamburger Clubs, ist in Wahrheit eine gequetschte Sardellen-Szene aus einer mit HSV-Fans vollgestopften S-Bahn. Ziel: Das Volksparkstadion in Hamburg-Bahrenfeld.
Volle Dröhnung Fankultur: Festival-Stimmung am Bahnhof Stellingen
Faszination Fußball: Ein Planet, der sich bisher ohne mich gedreht hat, und den ich, wenn überhaupt, nur aus weiter Ferne und mit ein wenig Verwirrung beobachtet habe. Nun mein erster Stadionbesuch beim HSV. Statt einem anfängerfreundlichen, samtweichen Einstieg, bekomme ich direkt die volle Dröhnung: Am Bahnhof Stellingen ist Festivalstimmung angesagt, Party-Schlager pumpen aus den Musikboxen, hier und da und dort und überall zischt eine Bierdose. Die Sonne erwärmt die blau-weißen Trikots, während sich eine wahre Pilgerschaft ihren Weg zum Stadion bahnt.
Zugegeben - ein wenig höher pocht der Puls schon, als ich mich von der Masse mittragen lasse. Ob wohl jemandem auffällt, dass ich keine Ahnung habe? Und dass ich erst recht kein Fan bin? Dass ich bei den gerufenen Parolen nicht mitsinge, sondern stattdessen verzweifelt versuche, den Text zu entziffern?
Fan-Feindschaft gegnerischer Clubs? Doch gar nicht so schlimm...
Noch höher pocht der Puls, als ich in rot gekleidete Kaiserslautern-Fans erblicke. Was nun? Werden sie angefeindet? Bespuckt? Bekommen sie direkt Schläge? Warum diese Annahmen in meinem Kopf umherschwirren, ist mir schleierhaft. Irgendwie verbinde ich Fußballfans häufig mit aggressivem Auftreten gegenüber gegnerischen Mannschaften. Wohl zu viele Hooligans-Dokus geschaut.
Die Fans vom HSV belehren mich eines Besseren: Ein Kaiserslautern-Fan wird gewitzelt angepöbelt von einem Herrn in Blau-Weiß – und zehn Sekunden später liegen sie sich in den Armen. Und dann auch noch das: Ein offensichtlich erkennbarer HSV-Fan in voller Montur trinkt Astra! Whaaat? Ein wenig zu lange und zu auffällig starre ich auf die Dose, auf der ein Totenkopf und ein „St. Pauli im Herzen“ prangt. Aha, beim Bier hört bei manchen also selbst die innerstädtische Fußball-Feindschaft auf.
Im Stadion angekommen fühle ich mich überwältigt von der schieren Größe des Riesenkoloss und der omnipräsenten Begeisterung, die von den 50.000 Fans ausgestrahlt wird. Verdammt, wie gut würde sich dieser Rasen als Location eines ausgelassenen Open-Air-Raves machen… Aber nein, hier geht es um Füße. Und um Bälle. Und um die Liebe zu Hamburg.
Als tausende Menschen mit voller Inbrunst den Song „Mein Hamburg lieb ich sehr“ und die Zeilen „Sind die Zeit auch oft schwer, weiß ich doch, hier gehör’ ich her“ singen, kommen mir vor aufrichtiger Rührung fast die Tränen. Ich bin mir sicher, dass es auch den härtesten HSV-Knochen ein Mal so geht. Am liebsten würde ich in diesem Moment den Dino „Hermann“ mal ordentlich knuddeln – da dies aber als erwachsener Mensch im besten Fall peinlich und im schlimmsten Fall äußerst suspekt ist, verwerfe ich diesen Gedanken sofort wieder.
Fankurve: Sehen die Menschen hinter den riesigen Fahnen überhaupt etwas?
Überraschend unspektakulär startet das Spiel. Während meine Kollegen das Treiben aufmerksam beobachten und schlaue Worte über ein Foul oder einen Spieler austauschen (natürlich nicke ich dabei wissend), beobachte ich fasziniert die Ultra-Blöcke rechts von mir. Dort ist Ganzkörpertraining angesagt: Springen, die Arme in die Höhe werfen, klatschen, singen, Fahnen schwenken. Ein kleiner Hauch von Mitleid überkommt mich für diejenigen, die das ganze Spiel hinter den riesigen Fahnen verbringen. Sehen die überhaupt etwas?
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Nach zehn Minuten bin ich mir endlich sicher, welche Mannschaft welche ist. Ich hatte mich auf blaue Trikots eingestellt, stattdessen tragen die HSV-Spieler weiße – gemein. Getraut zu fragen habe ich mich natürlich nicht, ein wenig Restwürde wollte ich behalten.
Fazit: Der nächste Stadionbesuch kommt bestimmt!
Die 90 Minuten gehen ziemlich schnell vorbei: Am Ende des Spiels habe ich im Kopf meine Einkaufsliste geschrieben, mir ein Geburtstagsgeschenk für meine Mutter überlegt und bin meine To-dos der nächsten Tage durchgegangen. Weiterhin habe ich mit großer Neugier die Choreos der Fans angesehen und überlegt, ob ich alternativ zum Journalisten-Beruf nicht auch Animateurin mit Megafon auf Fußballspielen werden könnte – nur um dann zu erfahren, dass die das gänzlich unentgeltlich machen. Mist.
Fazit: Meine Kenntnis und mein Interesse von und an Fußball röchelt immer noch am Boden – doch die pulsierende Stimmung im Stadion hat es mir wahrlich angetan. Das nächste Mal möchte ich besser vorbereitet sein: Text- und choreosicher, und natürlich ein, zwei, drei Bier intus. Aber ein nächstes Mal, das wünsche ich mir auf jeden Fall. Vielleicht bei St. Pauli?