Der historischen Bedeutung des Augenblicks war Sabine Lisicki an diesem Tag nicht gewachsen. Im Endspiel von Wimbledon hatte sie gegen die Französin Marion Bartoli keine Chance. Überwältigt von der Situation kamen ihr schon auf dem Platz die Tränen.
London. Sabine Lisicki saß leicht vornübergebeugt auf ihrem Stuhl, ein Handtuch im Rücken und eines auf dem Schoß zusammengefaltet. Wieder und wieder tupfte sie sich die Augen ab und musste mitansehen, wie Marion Bartoli in einer waghalsigen Kletteraktion zu ihrer Spielerbox emporstieg und die Glückwünsche, Umarmungen und Küsse für die neue Wimbledon-Championesse empfing.
Es hätte eigentlich ihr Moment werden sollen. Der Moment von Sabine Katharina Lisicki. Als erste deutsche Tennisspielerin seit Steffi Graf vor 17 Jahren wollte sie sich in die Siegerlisten eintragen beim ältesten und bedeutungsvollsten Turnier der Welt. Doch die 23 Jahre alte Berlinerin musste sich am Samstag im Endspiel der Französin Bartoli klar mit 1:6, 4:6 geschlagen geben.
„Marion war zu gut. Sie hat es verdient. Ich hätte so gern gewonnen und hoffe, dass ich noch eine zweite Chance bekomme“, sagte Lisicki bei der Siegerehrung und brach in Tränen aus. Schon während des zweiten Satzes hatte sie aus Enttäuschung über ihre Leistung feuchte Augen bekommen. In ihrem ersten Finale bei einem Grand-Slam-Turnier wirkte Lisicki lange Zeit hypernervös und konnte nicht an ihre vorherigen Glanzleistungen auf dem Heiligen Rasen anknüpfen. „Ich war überwältigt von der Situation“, sagte sie.
Die 1,78 Meter große Rechtshänderin war die erste Deutsche im Wimbledon-Endspiel seit Steffi Graf 1999. „Sie ist sehr traurig“, berichtete wenig später Bundestrainerin Barbara Rittner auf der sonnengefluteten Terrasse vor dem Pressezentrum. „Aber wenn sie diesen Weg weitergeht, steht sie hier nochmal im Finale. Ich bin saustolz auf Sabine“, betonte die Fed-Cup-Teamchefin.
Auch von anderen Seiten gab es sofort aufmunternde Worte für die geknickte Verliererin. „Kopf hoch Sabine....wahnsinnig toll gekämpft aber Respekt für Bartoli!!!“, twitterte Boris Becker. Die ehemalige Tennisspielerin Kim Clijsters, die unter Lisickis aktuellem Trainer Wim Fissette 2009 die US Open gewann, schrieb: „Glückwunsch an Lisicki und ihr Team ! Großer Lauf !! “ Basketballprofi Dirk Nowitzki ermunterte: „@sabinelisicki wahnsinnsturnier. Kopf hoch.“
Lisicki wird sich in der Weltrangliste von Platz 24 auf 18 verbessern, mit einem Sieg hätte sie sich als Nummer elf der Welt den Top Ten genähert. „Ich verstehe genau, wie Sabine sich fühlt“, sagte Bartoli, die 2007 das Finale gegen Venus Williams verloren hatte und es nun besser machte: „Ich kann es noch nicht richtig glauben. Ich habe so lange von diesem Moment geträumt.“
Die Zuschauer auf dem voll besetzten Centre Court konnten nicht so recht glauben, was sie zu sehen bekamen. Ausgerechnet die bislang so nervenstarke Lisicki schien angesichts der historischen Bedeutung des Moments völlig zu verkrampfen. Einem Turnier voller Emotionen und Tränen, zwei Wochen voller Leidenschaft und aussichtslos erscheinenden Aufholjagden blieb die Vollendung versagt.
Vor den Augen der großen alten Damen des Tennissports wie Martina Navratilova, Martina Hingis, Virginia Wade, Margaret Court, Jana Novotna und Billie Jean King war es Bartoli, die nach 1:21 Stunden ihren ersten Titel bei einem Grand-Slam-Turnier feiern durfte.
Dabei galt Lisicki vor dem Endspiel als Favoritin. Keine andere Spielerin im Feld hatte so schwere Gegnerinnen aus dem Weg zu räumen wie sie. Nacheinander schaltete sie die unangenehme Francesca Schiavone, die auf Rasen exzellente Jelena Wesnina, die frühere US-Open-Siegerin Samantha Stosur, die fünfmalige Wimbledon-Siegerin und Weltranglisten-Erste Serena Williams, Kerber-Bezwingerin Kaia Kanepi und die Weltranglisten-Vierte Agnieszka Radwanska aus.
Doch gegen die unorthodox spielende Bartoli mit der beidhändigen Vor- und Rückhand fand die Reise ein jähes Ende. Zwar startete sie im zweiten Satz eine Aufholjagd von 1:5 auf 4:5 und wehrte drei Matchbälle ab. Doch diesmal schaffte sie keine Wende. Steffi Grafs Sieg 1996 bleibt vorerst der letzte deutsche Wimbledon-Triumph.
„Auch wenn ihr der Titel letztlich verwehrt geblieben ist, hat sie uns allen mit ihrem Kampfgeist und ihrem attraktiven Spiel große Freude gemacht“, sagte der Chef des Deutschen Tennis Bundes, Karl-Georg Altenburg. Lisicki habe „ein tolles Turnier gespielt und kann auf ihre Leistung in Wimbledon stolz sein“, erklärte Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit.