Ahrensburg/Travenbrück. 18-Jähriger verursacht Frontalcrash auf L83, bei dem ein Senior (85) stirbt. Die Unfallfahrt wirft Fragen auf. Das sagt die Richterin.
Den Rettern bietet sich ein Trümmerfeld, als sie am 6. November 2023 am Unglücksort auf der Landesstraße 83 zwischen den Travenbrücker Ortsteilen Sühlen und Schlamersdorf (Kreis Stormarn) eintreffen. Über mehrere Hundert Meter liegen auf der Fahrbahn Fahrzeugteile verstreut. Im Graben steht der bis zur Unkenntlichkeit zerstörte blaue VW Up! von Manfred K. (Name geändert). Die Frontseite ist eingedrückt, der Motorblock herausgerissen. Manfred K. hatte keine Chance. Der 85-Jährige war sofort tot.
Auf der anderen Straßenseite steht das leuchtend blaue Audi A5 Cabriolet, an dessen Steuer Erik P. (Name geändert) gesessen hat. Auch bei diesem Wagen ist die Front zerstört, das linke Vorderrad fehlt. Erik P., damals 18 Jahre alt und seit wenigen Monaten im Besitz einer Fahrerlaubnis, soll den tödlichen Unfall durch sein riskantes Fahrverhalten verursacht haben.
Stormarn: Illegales Autorennen? Prozess in Ahrensburg nach tödlichem Unfalldrama
Die Staatsanwaltschaft hat den heute 19-Jährigen aus Nordstormarn wegen fahrlässiger Tötung und Gefährdung des Straßenverkehrs angeklagt. Der Fall wurde am Montag, 4. November, vor dem Amtsgericht Ahrensburg verhandelt.
Der Vorwurf: Erik P. soll deutlich zu schnell unterwegs gewesen sein, als er an dem Novembertag gegen 14.30 Uhr mit dem Audi seines Vaters von Sühlen aus kommend in Richtung Schlamersdorf fuhr. Laut einem Gutachter der Dekra, der nach dem Unfall vor Ort war, hatte das Cabriolet zum Zeitpunkt der Kollision zwischen 125 und 145 Kilometer pro Stunde auf dem Tacho.
Illegales Autorennen? 19-Jähriger war mit mehr als 150 Kilometern pro Stunde unterwegs
Wenige Sekunden zuvor habe der 19-Jährige abgebremst. Noch etwa 100 Meter vor der Stelle, an der es zum Zusammenprall kam, war er demnach mit mehr als 150 km/h auf der Landstraße unterwegs, auf der in dem Bereich Tempo 100 gilt. Direkt hinter dem schwer einsehbaren Kurvenbereich folgt ein Bereich, in dem wegen einer Baustelle nur 70 km/h zulässig sind.
Der VW Up! fuhr demnach in der Gegenrichtung mit gerade einmal 45 bis 75 Kilometern pro Stunde. Die Geschwindigkeiten hat der Gutachter anhand des Schadensbildes, von Reifenspuren und der Positionen der Fahzeuge sowie mittels der ausgelesenen Daten aus dem Bordcomputer des Audi rekonstruiert.
Illegales Autorennen in Stormarn? 85-Jähriger hatte laut Rechtsmedizinerin keine Überlebenschance
Knapp 800 Meter nach dem Sühlener Ortsausgang geriet Erik P. laut Anklage mit seinem Wagen auf der durch herbstliches Regenwetter feuchten Fahrbahn ins Schleudern, als er im Bereich der starken Rechtskurve abbremsen wollte. Der Audi rutschte auf die Gegenfahrbahn, wo es zu der tödlichen Kollision kam. Der Zustand der beiden Fahrzeuge lässt unschwer erahnen, mit welcher Wucht sie aufeinanderprallten. Manfred K. habe keine Möglichkeit gehabt, dem entgegenkommenden Audi auszuweichen, so der Gutachter.
Der Senior wurde durch den Aufprall in dem Up! eingeklemmt. Eine Überlebenschance habe der 85-Jährige nicht gehabt, sagte eine Rechtsmedizinerin des Universitätsklinikums in Lübeck, die den Leichnam untersucht hat. Dieser wies demnach diverse Knochenbrüche an sämtlichen Körperteilen sowie schwere Verletzungen mehrerer Organe und Arterien auf. „Wir haben es mit massiver Gewalteinwirkung zu tun, die zahlreiche Verletzungen zur Folge hatte, von denen mehrere schon einzeln nicht überlebbar sind“, so die Sachverständige.
Angeklagter räumt die Schuld zu Beginn des Verfahrens in Erklärung seines Anwalts ein
Erik P. erlitt lediglich leichte Verletzungen, konnte selbst aus dem Auto steigen. Ein Zeuge berichtete, der 19-Jährige habe zu dem zerstörten Up! laufen wollen, um dem Fahrer zu helfen. Er habe ihn davon abgehalten. „Der Anblick war nicht schön. Das musste er nicht sehen“, so der Mann vor Gericht.
Warum Erik P. so schnell unterwegs war, blieb in dem Prozess unklar. Zu Beginn verlaß Verteidiger Christian Dannhauer im Namen seines Mandanten eine Erklärung, in der dieser die Schuld vollumfänglich einräumte. „Mein Mandant ist gefahren, und auch die Geschwindigkeit stellt er nicht in Abrede“, so der Anwalt.
Der 19-Jährige spricht von „riesen Schicksalsschlag“ und „extrem schwerer Zeit“ danach
Dannhauer sprach von einem „Fahrfehler mit fatalen Konsequenzen“. Zu den Fragen, warum sein Mandant so schnell fuhr und wohin er an jenem Tag unterwegs war, wollte der Verteidiger auf Nachfrage von Richterin Silke Freise keine Auskunft geben.
Falls Erik P. nach wie vor unter dem Erlebten leidet, wie es sein Anwalt beschrieb, so ließ er sich das vor Gericht nicht anmerken. Den Prozess verfolgte der schlanke, junge Mann mit dem kurzen, braunen Haar aufmerksam, aber ohne äußerlich erkennbare emotionale Regung. Auch als der 19-Jährige später doch noch selbst das Wort ergriff, sprach er ruhig und distanziert, fast schon nüchtern, über das Geschehene. Für ihn sei der Unfall „ein riesen Schicksalsschlag“, die Zeit danach „extrem schwer“ gewesen, ließ er wissen. „Mir ist klar, dass ich es nicht ungeschehen machen kann.“
Zeuge des Unfalls musste in psychiatrischer Klinik behandelt werden
Es steht der Verdacht im Raum, dass sich Erik P. an jenem Tag mit einem Bekannten ein verbotenes Autorennen geliefert hat. Dafür sieht die Polizei mehrere Anhaltspunkte und stützt sich dabei auf andere Verkehrsteilnehmer als Zeugen. Jener Bekannte, der heute 23 Jahre alte Christopher V. (Name geändert), war vor dem Unfall mit seinem grauen VW Passat direkt hinter Erik P. gefahren und hatte den Unfall mit angesehen.
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Im letzten Moment hatte er nach eigenen Angaben bremsen können, erlitt dabei ein Schleudertrauma. Der 23-Jährige war es, der als Erster zu dem eingeklemmten 85-Jährigen rannte, um Erste Hilfe zu leisten. „Er war nicht bei Bewusstsein. Er hatte keinen Puls“, erinnerte V. sich vor Gericht, der nach dem Unfall aufgrund des Erlebten in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden musste. Da habe er gewusst, dass der Senior tot sei.
Zeugen nähren Verdacht, dass es sich um illegales Rennen gehandelt haben könnte
Andere Autofahrer wollen beobachtet haben, wie der blaue Audi und der graue Passat vor dem Unfall hintereinander her mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit die Landstraße entlangrasten. Zeitgleich sollen sie kurz vor dem Unglücksort mehrere in Kolonne fahrende Autos überholt haben.
Eine Polizeibeamtin hatte Christopher V. nach eigenen Angaben noch am Unfallort mit dem Verdacht konfrontiert, sie seien ein Rennen gefahren. Das habe der 23-Jährige bestritten. Vor Gericht stritt er den Vorwurf erneut ab. V. gab an, den blauen Audi seines Bekannten zufällig auf dem Rückweg von der Arbeit erkannt und ihm dann gefolgt zu sein, weil sie in dieselbe Richtung gemusst hätten.
Illegales Autorennen? Der 19-Jährige fiel schon vorher wiederholt durch eine riskante Fahrweise auf
Die jungen Männer besuchten demnach regelmäßig dieselbe Jugendgruppe der evangelischen Kirchengemeinde in Bad Oldesloe. Gekannt habe man sich nur vom Sehen. Als Freund würde er Erik P. nicht bezeichnen, sagte der 23-Jährige. Nach dem Unfall hätten sie nur noch einmal miteinander gesprochen. Zunächst behauptete Christopher V. auch, sie beide seien niemals schneller als 150 km/h gefahren. Nach einem Verweis von Staatsanwalt Dirk Godthardt auf die Feststellungen des technischen Sachverständigen zog der 23-Jährige diese Darstellung aber wieder zurück.
Fest steht, dass Erik P. zum Zeitpunkt des Unfalls nicht unter dem Einfluss von Alkohol oder Drogen stand. Das ergab ein Bluttest. Durch eine riskante Fahweise und Geschwindigkeitsverstöße soll der 19-Jährige aber schon vorher mehrfach aufgefallen sein.
Staatsanwalt will Arbeitsauflage und sechs Monate Fahrverbot für den Angeklagten
Eine Polizeibeamtin berichtete von einem Mann aus dem Wohnort des Angeklagten, der sich nach dem Unfall auf dem Revier gemeldet und von mehreren Vorfällen in der Nähe zu erzählen gewusst habe, bei denen ihm das blaue Audi-Cabrio aufgefallen sei. Begonnen hätten die Vorfälle im Frühjahr 2023 – im März hatte P. seinen Führerschein erworben.
Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Anklage wegen Fahrens illegaler Kraftfahrzeugrennen. Dafür reichten die Indizien nicht aus, so Anklagevertreter Godthardt. Er forderte die Verurteilung des 19-Jährigen nach Jugendstrafrecht zu 150 Stunden gemeinnütziger Arbeit sowie die Einziehung seines Führerscheins und eine Sperre für weitere sechs Monate.
Unfalldrama in Stormarn: Richterin sieht Anwendung von Jugendstrafrecht als geboten an
Diesem Antrag folgte das Gericht. Der Angeklagte sei zum Zeitpunkt des Unfalls noch nicht so verselbstständigt gewesen, wie man es von einem Erwachsenen erwarten würde, begründete Richterin Freise die Anwendung von Jugendstrafrecht, die bis zu einem Alter von 21 Jahren möglich ist. Erik P. lebe noch bei seinen Eltern, sei finanziell nicht unabhängig und habe einen engen Bezug zur Familie.
Die Verteidigung hatte sich der Argumentation der Staatsanwaltschaft zuvor in weiten Teilen angeschlossen, plädierte lediglich für eine kürzere Fahrsperre von maximal drei weiteren Monaten. Direkt nach der Verkündung des Urteils erklärten sowohl Erik P. über seinen Anwalt als auch die Staatsanwaltschaft, auf Rechtsmittel zu verzichten.
Richterin zum Angeklagten: „Etwas, das Sie Ihr Leben lang beschäftigen wird“
Richterin Silke Freise schloss die Verhandlung schließlich mit eindringlichen Worten in Richtung des 19-Jährigen. Strafrechtlich sei der Fall nun zwar abgeschlossen, „aber dieser von Ihnen verursachte Unfall, der mit dem Tod eines Menschen die schlimmstmögliche Folge hatte, ist etwas, das Sie Ihr Leben lang beschäftigen wird.“