Ahrensburg. Eheleute wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. 80-Jähriger im Gesicht verletzt. Wie beide ihr Verhalten rechtfertigen.
Ein Rentnerehepaar aus Stormarn stand am Mittwoch, 25. September, wegen gefährlicher Körperverletzung in Ahrensburg vor Gericht. Die 63 Jahre alte Frau und der 64 Jahre alte Mann sollen in zwei Fällen Hundehalter tätlich angegriffen haben – weil sie sich darüber ärgerten, dass diese ihre Vierbeiner nicht angeleint hatten.
Beide Angriffe ereigneten sich demnach auf öffentlichen Wegen unweit des Wohnortes der Eheleute Gertrud und Karsten H. (Namen geändert) in einer kleinen Gemeinde im Westen Stormarns. Zu dem ersten Vorfall kam es laut Anklage am 9. Juli vergangenen Jahres auf einem Feldweg. Das Paar soll einen 80-Jährigen geschlagen haben, als er ihm mit seinem nicht angeleinten Jagdhund entgegenkam.
Prozess Ahrensburg: Rentnerpaar attackiert Hundehalter brutal
Gertrud H. habe den Senior aufgefordert, seien Hund anzuleinen. Als er der Aufforderung mit der Begründung, keine Leine mit sich zu führen, nicht nachgekommen sei, sei die 63-Jährige auf den Hundehalter zugegangen, habe sich in die Hand gespuckt und ihm ins Gesicht geschlagen, so die Staatsanwaltschaft. Karsten H. sei unmittelbar danach dazugekommen und habe versucht, auf den 80-Jährigen einzuschlagen. Der Senior erlitt demnach eine Platzwunde am Auge und Schwellungen im Gesicht.
Zu einem ähnlichen Vorfall kam es laut Anklage einige Monate später, am 23. Januar dieses Jahres, in einer öffentlich zugänglichen Parkanlage. Diesmal seien eine Frau und ihre 14 Jahre alte Tochter dem Ehepaar mit dem Familienhund entgegengekommen. Auch sie seien der Aufforderung nicht nachgekommen, den Vierbeiner an die Leine zu nehmen.
Angeklagte streut Mutter und Tochter pulverförmige Substanz ins Gesicht
Daraufhin habe Gertrud H. ein silberfarbenes Behältnis aus der Tasche geholt und den Frauen sowie dem Hund eine unbekannte, pulverförmige Substanz ins Gesicht gestreut, die bei Kontakt zur Haut und zu den Augen Reizungen und ein brennendes Gefühl bei den Geschädigten hervorgerufen habe. Das Paar habe in beiden Fällen in der klaren Absicht gehandelt, die Geschädigten zu verletzen, heißt es in der Anklageschrift.
Gleich zu Prozessbeginn räumten beide Eheleute die Taten ein. Gertrud H. begründete ihr Verhalten mit einer Hundephobie, unter der sie schon seit langer Zeit leide. „Vor über 40 Jahren hat mir ein Hund in die Wade gebissen, seitdem hatte ich immer Angst“, so die vom äußeren Erscheinungsbild her eigentlich resolut wirkende Seniorin unter Tränen. Im Frühjahr 2023 habe es eine Situation gegeben, in der ihr auf einem Waldweg ein Dobermann entgegengelaufen sei.
Die 63-Jährige begründet ihr Verhalten mit einer Hundephobie
„Das hat die Phobie noch mal verstärkt. Seitdem hatte ich Panik, wenn Hunde in meine Nähe gekommen sind“, so H. Nach dem zweiten Vorfall habe sie Konsequenzen gezogen und eine stationäre Therapie absolviert. „Inzwischen kann ich Hunden begegnen.“
Die 63-Jährige bestritt allerdings, den 80-Jährigen zuerst geschlagen zu haben. Vielmehr habe der Senior ihr zuerst eine Backpfeife gegeben, als sie ihm nahegekommen sei. „Im Reflex habe ich die Ohrfeige erwidert“, so die Stormarnerin immer noch weinend. Ihr Mann habe den Hundehalter nicht geschlagen, er habe lediglich dazwischengehen wollen, um eine weitere Eskalation zu verhindern.
Angeklagter kann sich Gesichtsverletzungen des 80-Jährigen nicht erklären
Bei der bei dem zweiten Vorfall verstreuten Substanz handelte es sich laut Gertrud H. um handelsüblichen Pfeffer. „Als die Phobie schlimmer wurde, habe ich begonnen, immer einen Pfefferstreuer mitzunehmen, um mich im Notfall gegen die Hunde zu verteidigen“, so die 63-Jährige. „Ich wollte weder dem Tier noch den Besitzern wehtun“, beteuerte sie. Sie sei in der Situation in dem Park „in absolute Panik“ geraten.
Karsten H. bestätigte die Version seiner Frau. Er habe sie schützen wollen, sei deshalb an dem Feldweg eingeschritten. „Ich dachte, er schlägt sie noch mal“, so der 64-Jährige. Es habe ein Wortgefecht gegeben, er selbst habe aber nicht zugeschlagen. Die Schwere der Gesichtsverletzungen des 80-Jährigen konnte sich der Senior auf Nachfrage nicht erklären.
Die angegriffenen Hundehalter stellen das Geschehene vollkommen anders dar
Beide Eheleute gaben zu Protokoll, seit den Vorfällen massiv angefeindet zu werden. Im Dorf habe sich das Geschehene rasch herumgesprochen. „Wir sind als Schläger beschimpft worden“, so Gertrud H., die auch von Mobbing per Telefon und E-Mail erzählt. Aus Angst vor Pöbeleien traue sie sich nicht mehr, in ihrem Wohnort spazieren zu gehen. Zudem habe der Eigentümer ihr das Betreten der Parkanlage verboten.
Die angegriffenen Hundehalter stellten das Geschehene vor Gericht vollkommen anders dar. „Ich wurde gleich angemault, dass ich den Hund an die Leine nehmen soll“, berichtete der 80 Jahre alte Halter des Jagdhundes. Dann sei die Angeklagte strammen Schrittes auf ihn zugegangen und habe ihm ins Gesicht geschlagen. „Im selben Moment kam er dazu und wollte mit den Fäusten auf mich einschlagen“, so der Rentner.
Die 63-Jährige schlug dem Senior mit der Faust gegen die Schläfe
In diesem Moment habe ihm Gertrud H. mit der Faust gegen die linke Schläfe geschlagen. „Ich musste mich gegen vier Fäuste wehren.“ Um die Situation nicht weiter zu eskalieren, sei er weitergegangen. „20 Meter weiter hat mich dann eine Bekannte darauf aufmerksam gemacht, dass ich im Gesicht stark blute.“ Sein Hund sei als ausgebildeter Jagdhund absolut zuverlässig und stelle keine Gefahr dar. „Wären die beiden etwas höflicher gewesen, hätte ich ihn sofort zu mir gerufen, und es wäre gut gewesen“, so der 80-Jährige.
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Die Halterin des anderen Hundes, die zum Zeitpunkt der Pfeffer-Attacke mit ihrer Tochter in dem Park unterwegs war, hat den Vorfall nach eigenem Bekunden noch immer nicht vollständig verwunden. „Das liegt uns in den Knochen“, so die Mutter. Ihre Tochter möge seither nicht mehr allein in den Park gehen.
Richterin schlägt einen Täter-Opfer-Ausgleich vor und stellt Verfahren ein
Trotz der Schwere der Vorwürfe kam es am Ende zu keiner Verurteilung der Eheleute H. – sehr zum Missfallen der Geschädigten, die das weitere Verfahren von den Zuschauerrängen aus verfolgten. Die Vorsitzende Richterin am Ahrensburger Amtsgericht, Gisela Happ, erwog zunächst, einen psychiatrischen Sachverständigen hinzuzuziehen, um zu klären, inwieweit für Gertrud H. infolge ihrer Phobie eine verminderte Schuldfähigkeit angenommen werden könne. „Ihre Beeinträchtigung scheint mir gravierender, als es aufgrund der Aktenlage anzunehmen war“, sagte Happ.
Das Heranziehen eines Gutachters hätte das Verfahren jedoch um Monate verzögert, weshalb die Richterin in Absprache mit der Verteidigung Abstand von dieser Idee nahm. Die Eheleute H. seien zudem bislang nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Stattdessen schlug Happ eine Einstellung gegen Zahlung einer Geldauflage vor und regte außerdem eine Aussprache zwischen Angeklagten und Geschädigten in Form eines von der Gerichtshilfe begleiteten Täter-Opfer-Ausgleichs an.
Ehepaar soll Geldauflage von 1200 Euro an Kinderhospiz zahlen
„Ich bin selbst mit Hundehaltern befreundet und kenne Menschen, die Angst vor Hunden haben“, so Happ. „Da treffen oft vollkommen gegensätzliche Perspektiven aufeinander.“ Das sei zwar keine Entschuldigung für tätliches Verhalten, doch könne es helfen, sich die Wahrnehmung der Gegenseite anzuhören. Die Eheleute H. erklärten sich dazu bereit. Die Mutter aus dem Park zeigte sich skeptisch, erbat sich Bedenkzeit. Der 80-Jährige hingegen lehnte gleich ab. Auch ein Schmerzensgeld wolle er nicht. „Wir haben beide voneinander gelernt, jetzt ist gut“, so der Senior knapp.
Am Ende verkündete Happ mit Zustimmung aller Prozessbeteiligten folgende Entscheidung: Das Verfahren wird vorläufig eingestellt. Im Gegenzug muss das Ehepaar H. binnen sechs Monaten 1200 Euro Geldauflage an das Kinderhospiz Sternenbrücke zahlen und sich zu einem Täter-Opfer-Ausgleich bereiterklären – sofern die Geschädigten einen solchen wollen. „Zwingen kann ich die Opferseite nicht, aber für alle Beteiligten könnte das aus meiner Sicht gewinnbringend sein“, schloss die Richterin die Verhandlung.