Oststeinbek. Irma Mölck ist ein Ass im Jiu-Jitsu. Und das ist nicht die einzige Disziplin, die die Sportskanone perfekt beherrscht.
Sie kann sich noch genau an den Tag erinnern, der Anlass war, eine der ältesten Kampfkünste Japans zu erlernen. Beim Marathon-Training im Öjendorfer Park wurde Irma Mölck von einem Exhibitionisten belästigt. „Ich hatte fünf Monate lang Albträume, wollte für den Fall der Fälle gewappnet sein“, sagt die Rentnerin. Sie meint damit, eine Attacke abzuwehren und den Angreifer außer Gefecht zu setzen, ohne ihm schweren Schaden zuzufügen. Deshalb begann die Oststeinbekerin 1990 mit Jiu-Jitsu, sammelte erst Gürtel in den Farben Gelb, Orange, Grün, Blau sowie Braun und ist inzwischen beim Meistergrad zweiter Dan angekommen. Dieser berechtigt zum Tragen eines schwarzen Hüftriemens. Jetzt, im Alter von 83 Jahren, wurde ihr ein solcher mit Schwarz-Weiß-Design ausgehändigt – verbunden mit einer speziellen Auszeichnung, in deren Genuss nicht jedermann kommt.
Mölck erhielt den Ehrentitel Shidoin vom Verein Yoshinkan-International, Dachverband für Budo und Kampfsport. Übersetzt bedeutet das Lehrer und Vorbild. Grund sind ihre Verdienste für die Sparte im Oststeinbeker SV, die sie 1995 gründete. Zuvor brachte die Frau ihre Trainingspartner fünf Jahre beim TSV Glinde zu Fall ohne großen Kraftaufwand. Es ist alles eine Frage der Technik. Bei der Selbstverteidigungskunst geht es um schnelle Reaktionen. Das erfordert ein hohes Maß an Konzentration. Man weicht Kinnhaken und Tritten aus, nutzt dabei die Kraft des Angreifers, um ihn zu besiegen. Er wird dabei zum Beispiel ausgehebelt, durch Würfe schachmatt gesetzt. Mölck könnte sich auch gegen Menschen wehren, die mit Messer, einer Schusswaffe oder Stock auf sie zustürmen.
Jiu-Jitsu: Kampfsportlerin (83) legt auch junge Männer auf die Matte
Die Seniorin bevorzugt eine sogenannte Drehtechnik. Und die funktioniert so: Läuft der Gegner mit ausgestreckter Faust auf sie zu, greift Mölck ihm beim Ausweichen an Arm und Nacken. Dadurch dreht er sich und verliert das Gleichgewicht. Mit einem Schlag auf dessen Kehle wäre die Sache erledigt. „Im Training treffen wir aber nur auf die Brust“, sagt die Oststeinbekerin. Es gibt diverse Techniken, die man im Ernstfall einsetzen kann. Optimiert hat sie diese auf Lehrgängen mit Trainern auch aus dem Ausland, an 61 solcher Treffen teilgenommen. Das ist in zwei kleinen Heften mit Stempeln dokumentiert. Zweimal pro Woche über jeweils eineinhalb Stunden übt Mölck in der Budohalle des OSV. Sie beherrscht zahlreiche Bewegungsformen.
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Bei den offenen Deutschen Meisterschaften 2015 in Stendal waren die fünf Kampfrichter von ihren Künsten und jenen des Partners schwer angetan. Das Duo sicherte sich Platz eins. Kann sie noch besser werden? „In meinem Alter ist eine große Steigerung nicht mehr drin. Aber der Sport gibt mir viel Selbstbewusstsein.“ Sie sei in der Lage, auch jüngere Männer auf die Matte zu werfen. Mölck nimmt Gurtprüfungen ab bei Kindern und Jugendlichen, war Spartenleiterin. Der Trainer mit asiatischen Wurzeln, den sie vor 29 Jahren zum OSV lotste, ist immer noch da. Die Abteilung zählt 38 Mitglieder.
Jiu-Jitsu: Oststeinbekerin hat auch schon 43-mal das Sportabzeichen abgelegt
Mölck hat früher als kaufmännische Angestellte gearbeitet und zwei Töchter, die sie nicht von der Kampfsportkunst überzeugen konnte. Sportlich ist die Witwe, die 1979 mit ihrem Mann nach Oststeinbek gezogen war und ein Reihenhaus bewohnt, seit jeher. Als Jugendliche ist Turnen im Verein angesagt mit einer schmerzhaften Erfahrung: Armbruch nach Sturz vom Reck. Auch Leichtathletik macht ihr Spaß und das Fortbewegen im Wasser. Mit Anfang 20 macht sie den Rettungsschwimmerschein. Als ihre Kinder aus dem Gröbsten raus sind, packt Mölck der Ehrgeiz. Sie trainiert ein Jahr für die erste Teilnahme an einem Marathon. Den läuft das Sport-Ass 1988 in Hamburg. Die Zeit: vier Stunden und 36 Minuten. Das macht sie noch zweimal in der Hansestadt sowie einmal in Berlin.
Die Prioritäten in Sachen Bewegung verschieben sich. Fortan steht Jiu-Jitsu ganz oben. Es ist ein sanfter Sport, den sie trotz eines künstlichen Kniegelenks auch im hohen Alter ausüben kann, ohne sich zu quälen. Und seit 1992 nimmt Mölck das Deutsche Sportabzeichen ab. Immer montags ab 18 Uhr von Mai bis zu den Herbstferien mit Ausnahme der Sommerpause prüft sie mit ihrem Team in Oststeinbek. Die agile Frau selbst hat das Zeichen vor Kurzem zum 43. Mal abgelegt. Auf dem Programm standen dabei Seilspringen, Liegestütze, 200 Meter Schwimmen sowie 25 mit ordentlich Tempo. Im kommenden Jahr peilt Mölck die Schnapszahl an, und ein Ende ist nicht absehbar. „Ich mache weiter, bis ich umfalle, brauche einfach Ziele.“
Wochenlanges Schwimmverbot wegen Operation an beiden Augen
Früher war das ehrenamtliche Engagement noch umfangreicher: Gründungsmitglied des Vereins Sicherheit für Oststeinbek, der nicht mehr existiert, und Übernahme der Funktion als Kassenprüferin. Dazu die Spartenleitung beim OSV. „Ich bin kürzergetreten, weil ich mehr reisen will.“ Mölck ist kulturell interessiert, war unter anderem in Nepal, Südafrika, Kenia, mehrmals in Südamerika, darunter eine dreiwöchige Rundreise durch Peru im vergangenen November. In diesem Jahr geht es noch nach Teneriffa und für drei Wochen nach Brasilien.
Jiu-Jitsu ist nicht der einzige Sport, dem sie im Oststeinbeker SV nachgeht. Immer mittwochs macht Mölck eine Stunde Gymnastik. Darüber hinaus schwimmt die Seniorin regelmäßig im Öjendorfer See oder Tonteich. Diesem Vergnügen ist derzeit ein Riegel vorgeschoben. Die Seniorin leidet am Grauen Star. Vor wenigen Tagen wurde ein Auge operiert, in vier bis sechs Wochen ist das andere dran. Dass sie nicht ins Wasser darf, wurmt die vielseitige Sportlerin.