Norderstedt. In der Norderstedter Haspa-Filiale findet Montag der wohl letzte Gerichtstermin des Jahres statt. Was das für die Betroffenen bedeutet.
Es ist ein ganz zentraler Gerichtstermin. Einer, der letztlich darüber entscheiden dürfte, ob zahlreiche Haspa-Kunden, die viel Geld bei einem spektakulären Einbruch im Jahr 2021 verloren, noch eine Chance auf vollständige Entschädigung haben. Dieser Gerichtstermin findet am Montag, 11. November, statt – und zwar in jener Haspa-Filiale in Norderstedt-Mitte, die damals ausgeraubt wurde. Es ist so etwas wie die lang ersehnte Fortsetzung für viele Geschädigte – denn in diesem Berufungsprozess vor dem Hamburgischen Oberlandesgericht (OLG) gab es fast ein ganzes Jahr lang gar keine öffentlichen Termine.
So weit, so gut. Aber, so viel schon einmal vorab: Der Termin am Montag wird nicht öffentlich sein, über Inhalte oder dort gewonnene Erkenntnisse wird auch danach wohl erst mal nichts bekannt werden. Außerdem ist dieser Termin sehr wahrscheinlich der letzte in diesem Jahr. 2025 wird es weitergehen, die möglichen Ansprüche von allen geschädigten Haspa-Kunden, die bis dahin noch nicht gegen das Geldinstitut geklagt haben, sind dann allerdings verjährt.
Haspa Norderstedt: Die Zeit für Geschädigte zu klagen, läuft ab
Der Rechtsanwalt der Geschädigten, Jürgen Hennemann, wirft der Haspa seit Langem vor, genau darauf von Anfang an abgestellt zu haben. Dass sie also schon ab Ende 2021 das Ziel verfolgt habe, dass binnen der hier relevanten Frist von drei Jahren möglichst wenig Leute klagen. Das habe sie so gemacht, indem sie das Verfahren mit allerlei Tricks immer weiter in die Länge gezogen habe, ohne dass es ein Urteil oder eine erkennbare Tendenz gibt, bis eben die Zielmarke Silvester 2024 erreicht wird. Die Haspa verwahrt sich gegen diese Vorwürfe – die nun allerdings, im Zusammenhang mit dem wichtigen Termin am Montag, erneut laut werden.
Ein Sachverständiger aus dem Rheinland begutachtet den Tresorraum
Warum ist dieser Termin so wichtig? An diesem Tag soll ein extra vom Gericht bestellter, technischer Sachverständiger aus dem Rheinland anreisen, um den Tresorraum in Norderstedt genau unter die Lupe zu nehmen. Er möchte herausfinden, ob dieser im August 2021 den damals geltenden Sicherheitsstandards für solche Räume genügte. Damals, zwischen dem 6. und dem 9. August, drangen die Täter in einem filmreifen Einbruch in die Bankfiliale ein, und zwar aus einer darüber liegenden Wohnung, mit einem Kernbohrer. Alarm wurde nicht ausgelöst, die Täter – die nie gefasst werden konnten – räumten rund 650 Schließfächer aus.
Die Haspa hat die betroffenen Kunden aus ihrer Sicht längst entschädigt, allerdings bis zu einer Höchstsumme von 40.000 Euro, wie das die Verträge auch vorsahen. Hätte die Bank aber „fahrlässig“ gehandelt, also geltende Sicherheitsstandards verletzt, könnten Kunden, die höhere Werte beziehungsweise mehr Geld in ihren Schließfächern liegen hatten, die Bank vor Gericht zur Zahlung der tatsächlichen Beträge verklagen. Bisher hat das nur eine Handvoll Kunden getan – und bekam in erster Instanz vor dem Landgericht Hamburg auch recht. Die Bank wurde zur Zahlung von teilweise sechsstelligen Beträgen verklagt.
Nach Niederlage vor dem Landgericht ging Haspa in Berufung
Sie ging aber in Berufung vor das OLG, das die Sache bisher ganz anders zu sehen schien. Er habe die „deutliche Tendenz“ anzunehmen, die Sicherheit könne „ausreichend“ gewesen sein, sagte der Vorsitzende Richter Ralph Panten bei dem ersten und bisher einzigen öffentlichen Gerichtstermin im November 2023. Geschädigte, die damit nie gerechnet hatten und bei dem Raubzug teilweise ihre Altersvorsorge verloren, wurden kalt erwischt. Rechtsanwalt Hennemann erwirkte dann aber, dass ein unabhängiger Sachverständiger diesen Tresorraum begutachtet. Das wurde im Februar 2024 beschlossen und soll nun passieren.
Die Haspa beantragte vor Kurzem, dass der Termin nicht öffentlich sein soll, das Gericht gab dem statt. Das ist nachvollziehbar, da dort auch zur Sprache kommt, wie genau der Tresorraum hier und heute gesichert ist. So weit, so unstrittig. Warum allerdings findet der Termin erst jetzt statt, Mitte November, quasi kurz vor dem Jahreswechsel? Sicher ist: Ursprünglich war er schon für Anfang September anberaumt worden, wurde dann aber auf Betreiben der Haspa verschoben. Und auch jetzt tut die Bank wenig dafür, dass der Sachverständige sich ein genaues Bild verschaffen kann – so lautet zumindest der Vorwurf einiger Geschädigter.
Vorwurf: Haspa hat dem Sachverständigen lange Zeit keine Unterlagen gegeben
Aus dieser Richtung heißt es nämlich, der Sachverständige habe sich überhaupt nicht richtig auf den Termin vorbereiten können. Wichtige Unterlagen hätten ihm sehr lange gefehlt. Und zwar die genaue Dokumentation von baulichen Veränderungen, die direkt nach dem Einbruch vorgenommen wurden. Im Herbst 2021 hat die Haspa den Tresorraum nämlich wieder instand gesetzt und dann kräftig aufgerüstet. Um beurteilen zu können, wie sicher der Raum im August 2021 war, muss er natürlich ganz genau wissen, was danach gemacht wurde.
Und deshalb forderte der Experte aus dem Rheinland nach Abendblatt-Informationen schon Mitte Juli eine genaue Dokumentation dieser Arbeiten an. Die Unterlagen seien aber erst vor wenigen Tagen bei ihm eingetroffen, und zwar eher in Form einer Auflistung als „Word-Datei“, nicht etwa zusammen mit Rechnungen und Belegen, heißt es aus dem Kreis der Geschädigten.
Was Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg dazu sagt
Dazu befragt, antwortet Haspa-Sprecherin Stefanie von Carlsburg knapp: „Der Sachverständige hat uns Mitte Oktober um Unterlagen gebeten. Diese haben wir ihm selbstverständlich im Rahmen der gesetzten Frist zur Verfügung gestellt.“ Auf die Frage, ob es denn falsch sei, dass die Anfrage schon im Juli gekommen sei, antwortet sie: „Für den Termin am 11. November wurden wir nicht im Juli, sondern am 17. Oktober um Unterlagen gebeten. Diese haben wir fristgerecht eingereicht.“ Die Sprecherin bezieht sich also auf den aktuellen Termin und lässt damit offen, ob es vor dem früheren Termin – 9. September – nicht doch schon eine Anfrage gegeben haben könnte.
Rechtsanwalt Jürgen Hennemann sieht darin eine „weitere Episode in Stefanie von Carlsburgs Märchenstunde“. Er bestätigt, dass es die Anfrage Mitte Juli gab und dass diese „natürlich weiterhin aktuell blieb, auch wenn die Haspa dann den Termin am 9. September aufheben ließ“. Der Sachverständige habe „nach dem Juli dreimal gemahnt“, erst auf seine letzte Mahnung im Oktober habe die Haspa dann offenbar reagiert.
2010: Richter Ralph Panten sprach Haspa im Prozess gegen Kleinanleger frei
Offen bleibt die Frage, warum denn nicht das Gericht – also der federführende Senat – bei der Haspa eine zügigere Einreichung der Unterlagen angemahnt hat. Nach Abendblatt-Informationen geschah das jedenfalls in diesen vier Monaten nicht. Für manchen Beobachter mag es sich in das Bild einfügen, dass der Vorsitzende Richter Panten am ersten Verhandlungstag eine so dezidiert andere Sichtweise an den Tag legte als die Richter am Landgericht.
Und mancher fühlt sich an Gerichtsprozesse aus dem Jahr 2010 erinnert. Damals ging es um Zertifikate der US-Bank Lehman Brothers, die die Haspa Kleinanlegern verkauft hatte. Die Bank ging pleite, die Anleger verloren ihr Geld. Das Landgericht Hamburg hatte die Haspa daraufhin zu Schadenersatz verurteilt, das OLG hob dieses Urteil aber auf. Der Vorsitzende Richter der zuständigen Kammer: Ralph Panten.
Gab es im Tresorraum Mängel? Falls ja, erfährt die Öffentlichkeit das erst 2025
Wie auch immer man all das bewertet, sicher ist eines: Es wird von Tag zu Tag unwahrscheinlicher, dass noch in diesem Jahr mögliche Mängel am Tresorraum der Haspa in Norderstedt öffentlich werden. Mängel, die dann andere Geschädigte dazu bringen könnten, ebenfalls noch gegen die Bank zu klagen. Denn der Gutachter muss seine Einschätzungen erst in ein schriftliches Gutachten gießen, das wird dann irgendwann bei einem späteren Gerichtstermin erörtert. Der wird aller Wahrscheinlichkeit nach im neuen Jahr sein. Geschädigte, die auf einen Ausgang des Verfahrens noch 2024 oder zumindest neue Erkenntnisse gehofft hatten, haben wohl vergeblich gehofft.
In diesem Zusammenhang kritisiert Rechtsanwalt Hennemann nicht nur die Haspa, sondern auch den Senat: „Für die Geschädigten ist nur schwer verständlich, weshalb der Senat die ausgeprägte Verweigerungshaltung der Haspa über Monate toleriert hat, anstatt durch gebotene, klar definierte prozessuale Verfügungen frühzeitig deutlich zu machen, wem die Prozessleitung obliegt.“