Geesthacht. 1928 kommt es zwischen 4000 Kommunisten und Sozialdemokraten zur „Schlacht am Runden Berge“ und bringt „Klein Moskau“ in Verruf.
Die Lage bei der Wahl zur Bürgervertretung am 30. September 1928 in Geesthacht eskaliert an der Hegebergstraße. Je 2000 militante Anhänger von Kommunisten und Sozialdemokraten prügeln aufeinander ein. Mit Schlagringen, Messern und Gummiknüppeln. Auch Schüsse fallen. Bei der „Schlacht am Runden Berge“ sterben zwei Menschen, 200 werden verletzt.
Der Ort an der Elbe feiert in diesem Jahr die Verleihung der Stadtrechte vor 100 Jahren. Wir erinnern deshalb in loser Reihenfolge an bedeutende historische Ereignisse in der Geesthachter Geschichte. Vor allem 1928 wird dabei zum Schicksalsjahr. Das ist die Geschichte, wie Geesthacht als „Klein Moskau“ traurige Berühmtheit erlangte.
1928: Zwei Tote und 200 Verletzte bei Gemeindewahl in Geesthacht
Erst brennt am 3. Mai bei einem Großfeuer ein Großteil des alten Stadtkerns nieder, später spitzen sich die bestehenden politischen Konflikte zu, die in der blutigen Auseinandersetzung am Runden Berge gipfeln.
Die demokratischen Kräfte in der jungen Weimarer Republik stehen vom linken wie rechten Rand unter Druck. Das gilt für das damals noch zu Hamburg gehörende Geesthacht besonders. Nach dem Ersten Weltkrieg (28. Juli 1914 – 11. Nov. 1918) sind die Rüstungsfabriken in Düneberg und Krümmel geschlossen, von denen die lokale Wirtschaft abhängig ist.
Geesthacht: KPD ist bis 1932 durchweg stärkste Fraktion
„Die Goldenen Zwanziger hat es in Geesthacht nicht gegeben“, sagt Helmut Knust, Vorsitzender der Bezirksgruppe des Heimatbund und Geschichtsvereins. Die Arbeitslosigkeit unter der linksgerichteten Arbeiterschaft ist besonders hoch und der Zuspruch für die Kommunistische Partei groß.
Bereits 1921 hatten die Kommunisten erfolglos vor Ort einen Putsch versucht, der ohne größere Zwischenfälle vereitelt wurde. Ihrer Beliebtheit in der Stadt tat das keinen Abbruch. Bei den sechs Wahlen zur Stadtvertretung zwischen 1919 und 1932 landete die Partei zwischen 32,2 und 44 Prozent, stellte jeweils die stärkste Fraktion im Rathaus.
Geesthachter ist Alterspräsident in Hamburger Bürgerschaft
Das hatte auch Folgen für Hamburg, zu dem damals auch die Städte Bergedorf und Cuxhaven gehörten. Nur aufgrund des hohen Stimmenanteils in Geesthacht kam die KPD in den Landesausschuss (vergleichbar dem heutigen Kreistag). Und 1932 eröffnete der Geesthachter Kommunist Johann Wahlgren als Alterspräsident die konstituierende Sitzung der Hamburger Bürgerschaft.
Die KPD-Ortsgruppe zählte bis zu 600 Mitglieder bei insgesamt gut 5000 Einwohnern. Es gab diverse kommunistische Verbände und einen Sportverein „Roter Stern“. Viele der sozialpolitischen Anträge der KPD scheiterten jedoch an der katastrophalen finanziellen Situation der Stadt.
KPD geht ab 1928 in Geesthacht auf Konfrontationskurs
Ab 1928 geht die KPD in der Stadtvertretung auf einen Konfrontationskurs. Ihr Vorsitzender August Ziehl wird am 15. März wegen Beleidigung von Bürgermeister Julius Weltzien („Lügner und Betrüger“) zu einer Geldstrafe verurteilt. Ein Misstrauensvotum gegen den Bürgermeister scheitert, ebenso ein Antrag zur Umbenennung der Bergedorfer Straße in Karl-Marx-Straße.
Anfang Juli boykottieren die Kommunisten die Aufstellung eines städtischen Haushalts durch Verlassen einer Sitzung. Die Stadtvertretung ist beschlussunfähig, weil zu wenig Abgeordnete anwesend sind. Als Bürgermeister Weltzien kurz darauf im Urlaub weilt, nutzt sein Stellvertreter Ziehl die Gunst der Stunde.
Kommunisten boykottieren Beschlüsse
Er beruft eine Sitzung ein, zu der nur die Kommunisten kommen. Zwar können auch hier keine Beschlüsse gefasst werden, wohl aber bei der anberaumten Wiederholungssitzung am 14. Juli. Für diesen Fall erlaubt die Stadtsatzung Beschlüsse, selbst wenn mehr als die Hälfte der Abgeordneten fehlen.
Die KPD kürzt im Alleingang Weltziens Gehalt, begrenzt die Miete für kinderreiche Familien und stellt einen Haushalt nach ihrem Gutdünken auf. Allerdings kassiert die Hamburger Aufsichtsbehörde die Beschlüsse aus formellen Gründen wieder ein.
Kommunist geht Bürgermeister bei Sitzung an die Kehle
Als die Stadtvertretung sie am 17. August offiziell aufheben soll, eskaliert die Lage vor 150 Zuschauern. Bei einem Tumult springt ein Hamburger Kommunist aus dem Zuschauerraum auf und geht dem Bürgermeister an die Kehle.
In der Folge treten Sozialdemokraten und Bürgerliche, also die Vertreter der beiden anderen Fraktion, zurück. Die Neuwahl der Bürgervertretung wird für den 30. September 1928 angesetzt.
Die meisten Kämpfer kommen aus Hamburg nach Geesthacht
Trotz Warnungen vor der explosiven Stimmung in Geesthacht werden Versammlungen am Wahltag erlaubt. Dafür reisen aus Hamburg etliche Mitglieder der politischen Kampforganisationen Roter Frontkämpferbund, Rote Marine (KPD) und Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (SPD) an. Die Schätzungen belaufen sich auf jeweils etwa 2000 Mann.
„Klein Moskau grüßt die roten Klassenkämpfer“ werden die Kommunisten an den Zufahrtsstraßen mit Plakaten begrüßt, berichtet der damalige Redakteur der Bergedorfer Zeitung. Die Kontrahenten besetzen Eingänge zu Wahllokalen, lassen nur ihre Gefolgsleute hinein. Die Obrigkeit ist mit 100 Polizisten zahlenmäßig klar unterlegen.
Erster Zusammenstoß am Mittag in Petersens Hotel
Zum ersten Zwischenfall kommt es mittags in Petersens Hotel. Rotfrontkämpfer stürmen „unter fürchterlichem Lärm“ (bz-Bericht) das Haus, in dem sich einige Hundert Reichsbannerleute aufhalten. Folge: zwei Schwer- und 20 Leichtverletzte. „Zäune wurden durchbrochen, schwere Gartenstühle flogen durch die Fenster in den Saal“, schreibt die Bergedorfer Zeitung am 1. Oktober.
Die Wahl zur Bürgervertretung geht jedoch nach kurzer Unterbrechung weiter – eine kapitale Fehleinschätzung. Denn gegen 15 Uhr kommt es an der Hegebergstraße unterhalb des heutigen Krankenhauses zur „Schlacht am Runde Berge“, wie sie später genannt wird.
An der Hegebergstraße kommt es zur „Schlacht am Runde Berge“
Rotfrontkämpfer attackieren das Ende eines Demonstrationszuges des Reichsbanners. Demonstranten fliehen in den nahen Wald, wo weitere Kommunisten sie schon erwarten. Am Waldrand, den angrenzenden Feldern und in Gärten entwickelt sich ein wilder Kampf, berichtet der Reporter. „Man hörte ganze Salven von Schüssen, sah Rauchschwaden aufziehen“, schreibt er.
Der Rotfrontkämpfer Heinrich Rüssel (40) aus Hamburg stirbt an einem Brustschuss. Reichsbannermitglied Friedrich Weier (45) erliegt am 5. Oktober im Bergedorfer Krankenhaus seinen Stichverletzungen. Zehn weitere Personen sind schwer verletzt. Im Polizeibericht ist zudem von 50 Leichtverletzten die Rede, die Rettungskräfte geben 200 Verwundete an. Nach über einer Stunde ist der Spuk vorbei. Jetzt wird die Wahl abgebrochen.
Geesthacht ist als „Klein Moskau“ ist überregional in den Schlagzeilen
„Der Bluttag von Geesthacht“, „Blutiger Sonntag in Geesthacht“ oder „Wahlschlacht zwischen Rotfront und Reichsbanner“ sind nur einige der folgenden Zeitungsüberschriften. Geesthacht hat nun auch überregional seinen Ruf weg: „Klein Moskau“, kommunistische Hochburg.
Prügel für Andersdenkende als politisches Stilmittel waren zu der Zeit zwar keine Seltenheit. Dass eine Wahl deswegen abgebrochen werden musste, war jedoch einmalig.
Wer die beiden Männer tötete, wurde nie aufgeklärt
Fatal: Die negativen Schlagzeilen verschreckten mögliche Interessenten für die Ansiedlung von dringend benötigter neuer Industrie. Bis 1933 stieg die Zahl der Erwerbslosen auf über 40 Prozent an.
Wer die beiden Opfer tötete, wurde übrigens nie aufgeklärt. Eine gerichtliche Voruntersuchung wurde Ende 1929 eingestellt. Auf die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses konnte sich die Hamburger Bürgerschaft nicht verständigen.
Wahl in Geesthacht wird eine Woche später wiederholt
Die Wahl aber wurde bereits eine Woche nach der „Schlacht am Runden Berge“ unter starkem Polizeischutz wiederholt. Sämtliche Zufahrtsstraßen waren gesperrt, Bahnhof und Hafen wurden kontrolliert. Die Wahlbeteiligung lag mit 91,4 Prozent höher als je zuvor.
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Die KPD erreichte 40,3 Prozent, verlor aber je einen Sitz an SPD (23,1 Prozent) und die bürgerliche FuA (Fortschritt und Aufbau Geesthacht, 33,5 Prozent).
Die NSDAP tritt übrigens erst 1932 zur Stadtvertreterwahl in Geesthacht an. 1928 ist sie im Ort nur für die Hamburger Bürgerschaft und den deutschen Reichstag wählbar. Sie kommt auf 0,6 und 0,8 Prozent.