Lauenburg. Vor 30 Jahren mussten Menschen in den Wildpark, um sie zu sehen. Heute werden in Deutschland über 200.000 Tiere pro Jahr abgeschossen.

Kaum eine Woche vergeht, in der nicht über einen Zuwanderer berichtet wird, der inzwischen Jahrzehnte in Deutschland sein Unwesen treibt. Es ist ein Räuber, den viele Menschen bis heute nicht in der Natur entdeckt haben, der aber andere von Tag zu Tag oder Woche zu Woche beschäftigt oder zumindest umtreibt. Tatsächlich haben die ursprünglich aus Nordamerika stammenden Waschbären längst einen Fingerabdruck in Mitteleuropa hinterlassen, der weit über die ersten Jagdgebiete hinausgeht.

Der Kleinbär, der sich aus Mitte des vergangenen Jahrhunderts freigelassenen Paaren am hessischen Edersee und bei Kriegsende entkommenen Paaren in Ostdeutschland entwickelt hat, hat längst große Teile Deutschlands und der Nachbarn besiedelt. Fast ohne natürliche Feinde muss sich der acht bis neun Kilogramm schwere Allesfresser eigentlich nur vor einem echten Heimkehrer vorsehen, dem Wolf. Dem allerdings kann er in der Regel ausweichen: Der Waschbär entkommt in der Masse der Fälle nach oben.

Waschbären sind ein wachsendes Dauerproblem – auch in Lauenburg

Als Tier für die Pelzzucht eingeführt, hat der Waschbär ab dem 19. Jahrhundert zuerst den Haltern viel Freude bereitet. Doch bald wurde deutlich: Ist er der mitteleuropäischen Natur entkommen, würde kaum ein Mittel helfen, ihm Einhalt zu bieten. Blieb er zunächst noch unauffällig, war er zunächst bestenfalls im Winter an frei zugänglichen Müllkörben oder entlegenen Unterkunftsstationen zu bemerken. In den folgenden Jahrzehnten ist er den Menschen immer weiter gefolgt.

Längst hat er auch Schleswig-Holstein im Norden und Bayern im Süden erreicht. Er ist in dünn besiedelten Regionen wie Teilen der Müritzer Seen und der Havellandschaft inzwischen ebenso heimisch wie an Seen in der Lüneburger Heide oder der Holsteinischen Schweiz, in hessischen oder württembergischen Metropolen ebenso wie im Sauerland oder im Harzvorland.

Waschbärenjunge unterm Dach
Drei junge Waschbären schauen unter einem Dach hervor. Welpen verlassen im Alter von sechs bis neun Wochen zum ersten Mal ihr Versteck. © picture alliance/dpa | Britta Pedersen

Längst ist der Waschbär ein Ziel für die Jäger. Waren es vor 20 Jahren noch wenige Tausend Tiere, die jedes Jahr geschossen wurden, ist die Zahl deutschlandweit längst auf mehr als 200.000 gestiegen –  pro Jahr. Und ein Ende ist nicht absehbar: Der clevere Räuber folgt nicht nur den Menschen, er hat längst gelernt, dass es sich in unserer Nachbarschaft gut leben lässt. Auch die meisten unserer Haustiere, selbst auf die Jagd spezialisierte Hunde, suchen sich nach harten Auseinandersetzungen mit den zugewanderten Räubern lieber andere Trainingspartner.

Natürliche Feinde? Hat der Kleinbär in Europa nicht

Das gilt umso mehr, als auch Herrchen und Frauchen von den Plagegeistern rasch die Schnauze voll haben. Neben Zecken, Flöhen und Räude übertragen sie im Falle der Fälle auch Krätze oder fremde Syndrome auf Jagdhunde, weiß die Jägerin Stephanie Semmelmann. Mit Henning Rosshaar und ihren Hunden sind sie den Räubern auf der Spur. Mit großen Aussichten auf Erfolg: Im Kreis Herzogtum Lauenburg sind die Vierbeiner längst ein Riesenproblem.

Das gilt neben Wäldern und Bachstreifen, See-Ufern und Wiesen jedoch auch für Städte wie etwa Lauenburg. Der 12.000-Einwohner-Ort hat sich inzwischen mit Mölln, Ratzeburg und Lübeck weiter im Norden zu einem Hotspot für die kleinen Räuber entwickelt. Und ein Ende ist nicht absehbar, im Gegenteil.

Der Zuwanderer macht Jägern das Leben schwer

Thomas Burmester (67) hat sich dem Problem gestellt. Der frühere Kämmerer und Leiter des Lauenburger Bürgeramtes ist seit den 1980er-Jahren Jäger. Zu Beginn hatte er nie mit Waschbären zu tun, inzwischen sind sie seine Hauptbeschäftigung. Das Problem: „Sie kommen in Lauenburg in großer Zahl vor, nicht nur auf dem Elbhang oder dort in Bäumen.“

Für solche Fälle hat der Jäger vorgesorgt, er hat inzwischen zwei Lebendfallen erworben. „Eine davon habe ich jüngst an die Elbstraße geschafft, damit dort zwei Waschbären fangen können.“ Die Tiere habe er abgeholt, um sie dann später auszusetzen. „Das habe ich natürlich weiter weg getan. Ich will ja nicht, dass sie gleich kehrt machen und dann weiter durch die Gärten toben.“

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Schießen dürfe er in Lauenburg auf die Tiere sowieso nicht, das sei viel zu gefährlich, weiß Burmester. Für ihn gelte ein Mindestabstand von 250 Metern zu bewohnten Gebieten. Ein Ende sei noch nicht erkennbar, in den vergangenen sechs bis acht Jahren sei die Zahl der Waschbären geradezu explodiert. Wenn es keine Polizisten seien, die ihn informierten, riefen Feuerwehrleute an – oder normale Bürger.

Jäger schafft die Einwanderer weit aus der Stadt

Oder ein Schwimmmeister aus dem Freibad. „Ein Waschbär hatte sich in einem Korb gefangen, dort eine Pfote abgebissen.“ In dem Fall schaffte Burmester das Tier aus der Stadt, um es dann von seinen Qualen zu erlösen. Im Prinzip sei er aber gegen das Jagdgebot gegen Waschbären.  „Im vergangenen Jahr habe ich 28 in Lauenburg und dem Umland gefangen, das ist doch eine ziemlich große Strecke.“