Glinde. Großer Sanierungsstau. Zwei Drittel der Fahrbahnen sind kaputt. Und die restlichen werden in den kommenden Jahren folgen.
Marlies Kröpke, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Glinder SPD, musste nicht nur einmal tief schlucken, als die Verwaltung im Bauausschuss Zahlen zum Zustand der Straßen präsentierte. Der Großteil der Fahrbahnen ist marode und müsste grunderneuert werden – und das in einem Zeitraum von drei bis zehn Jahren. Die Kosten beziffert das Rathaus auf mindestens 70 Millionen Euro. Es ist eine Herkules-Aufgabe. Und natürlich stellt sich die Frage, ob das überhaupt so schnell zu stemmen ist, nicht nur finanziell, sondern auch organisatorisch. Diesbezüglich sieht es schlecht aus.
„Die Summe ist für alle ein Schock und macht mich ratlos“, sagt Kröpke. Sie wisse nicht, woher man das Geld nehmen solle. Mit schlechten Straßen habe Glinde zwar kein Alleinstellungsmerkmal, das tröste jedoch nicht. „Wir müssen uns etwas einfallen lassen, vielleicht die Prioritätenliste ändern, wenn wir mit Bauprojekten an Schulen durch sind“, so die Sozialdemokratin. Ihre Partei werde das Thema am kommenden Montag auf der Fraktionssitzung besprechen. „Wenn wir nicht vorankommen, hinterlassen wir unseren Kindern und Enkelkindern einen schweren Brocken.“
181 Straßen und Wege wurden 2022 in Glinde untersucht
Unter anderem für die Erstellung eines Straßenkatasters wurden im vergangenen mithilfe einer Kamera-Befahrung Jahr 181 Straßen und Wege auf einer Länge von 81 Kilometern untersucht sowie Messungen vorgenommen. Sie haben im Schnitt eine Zustandsnote von 3,6, was mäßig bis schlecht entspricht. Das mittlere Baujahr aller Verkehrswege in Glinde liegt laut Verwaltung bei 1976. „Wir haben viele Straßen, die mehr als 30 Jahre alt sind. Ihr Lebenszyklus ist überschritten. Zwei Drittel sind nur mit einem Euro bewertet“, sagt Heiko Wisser, technischer Angestellter im Bauamt und seit 20 Jahren bei der Stadt im Dienst. „Eigentlich müsste man zehn Straßen pro Jahr grunderneuern.“
Die Kosten für solche Arbeiten trägt allein die Kommune. Sie hatte Ausbaubeiträge abgeschafft. Städte und Gemeinden in Schleswig-Holstein waren lange verpflichtet, Geld von Grundeignern für Vollsanierungen zu nehmen. Fünfstellige Beträge für einen Haushalt waren keine Seltenheit. Inzwischen können sie selbst entscheiden. Ein entsprechendes Gesetz war im Januar 2018 in Kraft getreten. Glinde bestimmte genauso wie die Nachbarn Reinbek und Oststeinbek, neue Straßen aus der Stadtkasse zu bezahlen.
2025 soll der Tannenweg grunderneuert werden
Bislang wurde unter der novellierten Regelung ein Projekt abgeschlossen, im Mai 2021 die Blockhorner Allee fertiggestellt. Die Sanierung des 320 Meter langen und 17 Meter breiten Bereichs kostete rund 900.000 Euro, 200.000 Euro davon entfielen auf Kanalarbeiten durch den Zweckverband. Neben der Fahrbahn wurden die Parkflächen ertüchtigt, Zufahrten angefasst, Gehwege mit Betonsteinpflaster bestückt und neue Beleuchtungsmasten gesetzt. Inzwischen ist man an der Straße Großer Glinder Berg dran. Hier setzt die Kommune rund eine Million Euro ein. Im Dezember sollen die Arbeiten abgeschlossen sein. Für 2025 ist die Grundsanierung des nahen Tannenwegs vorgesehen, berichtet Wisser.
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Bürgermeister Rainhard Zug sagt, man plane von Verwaltungsseite aus, alle zwei bis drei Jahre eine Grunderneuerung vorzunehmen. Dass es nicht mehr sind, begründet er so: „Die Stadt hat Investitionen in Kita, Hort und Schule priorisiert. Das finde ich richtig.“ Zuletzt wurde am Schulzentrum am Oher Weg, Heimat des Gymnasiums und einer Gemeinschaftsschule ohne Oberstufe, der naturwissenschaftliche Bereich für die Fächer Biologie, Chemie und Physik saniert. Kosten: rund vier Millionen Euro.
Die Erweiterung der Grundschule Tannenweg mit geplanter Fertigstellung im Mai 2024 ist noch teurer. Das Budget liegt inzwischen bei 10,8 Millionen Euro. Es entsteht ein Gebäude mit Mensa samt Küche, zusätzlichen Horträumen, zehn Klassen- und fünf Differenzierungszimmern. Der zweigeschossige Komplex hat 1930 Quadratmeter Nutzfläche. Die größte Investition der Stadt in ein Bauprojekt steht aber noch bevor mit der Schadstoffsanierung inklusive neuer Mensa am Schulzentrum. Hier geht die Verwaltung von 30 bis 40 Millionen Euro aus.
Arbeitsaufwand im Sachgebiet Tiefbau hat sich massiv erhöht
„Als Kommunalpolitiker stehen wir zwischen Baum und Borke, denn Glinde braucht natürlich auch gute Schulen“, sagt Kröpke. Eine Rückkehr zu Anliegergebühren lehnt sie übrigens ab. Matthias Sacher (CDU) findet, der Bericht mit dem Zahlenwerk aus dem Rathaus sei erschreckend. „Eigentlich soll pro Jahr eine Straße gemacht werden. Dass die Verwaltung das aufgrund von Personalmangel schon organisatorisch nicht hinbekommt, müssen wir zur Kenntnis nehmen.“ Mit Blick auf die Zukunft sowie die Finanzen sagt der Christdemokrat: „Mehr als eine Grundsanierung per anno ist nicht zu schaffen.“
Der FDP-Fraktionsvorsitzende Thomas Kopsch sagt über die neuen Erkenntnisse: „Das ist schon ein Hammer.“ Man dürfe nicht die Augen vor der Realität verschließen. Sein Vorschlag, um das Tempo bei Straßensanierungen zu beschleunigen: „Wir müssen mehr Gewerbe ansiedeln, können so zusätzliche Einnahmen generieren.“ Die personelle Situation in der Verwaltung bereite auch ihn Sorgen.
Neben den Grunderneuerungen stehen regelmäßig Arbeiten im kleineren Umfang an, zum Beispiel in der Straße Groothegen unweit der Sportanlage des TSV Glinde. „Hier setzen wir 2024 rund 120.000 Euro ein für eine Oberflächenbehandlung“, sagt Wisser. Diese Maßnahme rette die Fahrbahn für zehn bis 15 Jahre. Auch so ein Projekt bindet Ressourcen im Rathaus. Dort ist die Personalstärke im Sachgebiet Tiefbau seit zwei Jahrzehnten mit zwei Vollzeitstellen gleichgeblieben, der Arbeitsaufwand hat sich jedoch massiv erhöht.
Ein Absatz in der Berichtsvorlage unter der Überschrift Straßen, Wege, Plätze zeigt, wie schlimm die Situation ist. „Bei der derzeitigen finanziellen Lage der Unterhaltung wird der priorisierte Plan selbst in 30 Jahren nicht abgearbeitet werden können; somit werden dann auch die restlichen heute noch guten Straßen nicht mehr zu unterhalten sein“, heißt es.