Glinde. Die Statik vermag Glinder Wahrzeichen in bedrohliche Schieflage zu bringen – wenn bestimmte Umstände eintreten sollten.

Viele Wahrzeichen hatte Glinde nie. Eines der wenigen, die 168 Jahre alte reetgedeckte Suck’sche Kate, ist vor wenigen Tagen abgebrannt. Obwohl sie unter Denkmalschutz stand, verfiel sie seit Jahren – auch, weil sich die Stadt mit dem Eigentümer nicht über einen Kaufpreis einig werden konnte.

Das soll dem zweiten Wahrzeichen – dem Glinder Gutshaus – nicht passieren. Die 134 Jahre alte weiße Villa mit dem markanten Turm und dem herrschaftlichen Eingangsportal ist mit ihren Säulen ein beliebtes Fotomotiv und als Heiratslocation gefragt. Nun könnte das unter Denkmalschutz stehende Gutshaus aber in eine Schieflage geraten. Das zumindest befürchtet Volker Müller.

Wenn Teich verschwindet, könnte Gutshaus in eine Schräglage geraten

Kaum einer kennt die hell gestrichene Villa so gut wie der Reinbeker. 25 Jahre war Müller Leiter des Gutshauses und hat viele Gruppen – vom Alleinerziehenden-Treff bis zur Gesprächsrunde mit jugendlichen Straftätern – angeleitet und organisiert. Auch nach seinem Renteneintritt arbeitet Müller ehrenamtlich im Vorstand der Sönke-Nissen-Park Stiftung, der Eigentümerin des Hauses, weiter. Trägerin der Stiftung ist die Stadt Glinde. „Das Gutshaus ist mein zweites Zuhause“, gibt er offen zu. Und um dieses macht er sich jetzt Sorgen.

Hintergrund ist, dass die Stadt plant, den ans Gutshaus angrenzenden Teich zu renaturieren. Er würde damit quasi leerlaufen – bis auf einen kleinen Bach. „Der Teich ist künstlich aufgestaut“, sagt Glindes Bürgermeister Rainhard Zug. Schon jetzt ist er vielen Anwohnern ein Dorn im Auge, denn im Sommer fällt der Teich meist ohnehin trocken und stinkt. Der Schlamm zieht Ratten an. Ungefährlich ist er auch nicht: Im Oktober 2016 wäre beinahe ein Mädchen in dem Teich ertrunken.

Architektin Pia Enders-Ahlers aus Wentorf ist auf die Sanierung von Altbauten spezialisiert. Sie betreut die Erneuerung des Turmes des Gutshauses. Vom obersten Turmzimmer kann man – wenn kein Baugerüst im Weg ist – weit blicken.
Architektin Pia Enders-Ahlers aus Wentorf ist auf die Sanierung von Altbauten spezialisiert. Sie betreut die Erneuerung des Turmes des Gutshauses. Vom obersten Turmzimmer kann man – wenn kein Baugerüst im Weg ist – weit blicken. © Gerullis | Undine Gerullis

„Das Wasser des Teichs aber ist wichtig, damit das Haus nicht in eine Schräglage gerät“, sagt Volker Müller. Denn ähnlich wie das Hamburger Rathaus oder Venedig soll das Gutshaus auf Eichenpfählen gebaut sein, weiß er aus Berichten. „Und die Pfähle brauchen, um die Standfestigkeit nicht zu gefährden, Wasser“, sagt Müller. Würde der Wasserstand verändert, geriete das Gleichgewicht in Gefahr.

Stadt gibt jetzt Gutachten in Auftrag

„Da sind wir unterschiedlicher Auffassung“, sagt Bürgermeister Zug. Wer recht behält, soll nun ein Gutachten klären, das die Stadt in Auftrag gegeben hat. Mit einer Fertigstellung rechnet Zug noch in diesem Jahr. Bis dahin ruht das Projekt Renaturierung Gutshausteich. So oder so, Volker Müller möchte auch aus optischen Gründen, dass der Teich bleibt: „Die Glinder kennen ihr Gutshaus gar nicht anders“, sagt er.

Kaum wiedererkennen werden die Glinder ihr Gutshaus im September. Dann nämlich soll das Baugerüst abgenommen werden, und der frisch sanierte Turm kommt wieder zum Vorschein.

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„Der Zahn der Zeit hat am Turm genagt“, sagt Pia Anders-Ehlers. Die Wentorfer Architektin hat sich auf die Sanierung von historischen Gebäuden spezialisiert und berichtet von tiefen Rissen im Mauerwerk, durch die Wasser eindringen kann. Zudem waren die eingezogenen Träger aus Metall marode. In eine Schieflage war der Turm aber noch nicht geraten.

Dass die Träger verrostet waren, wundert Volker Müller nicht. „Die letzte große umfangreiche Sanierung ist schon weit mehr als 30 Jahre her“, erinnert er sich. Damals stand die Mauer noch, und die Stadt Glinde profitierte von ihrer geografischen Nähe zur DDR-Grenze. „Zwei Millionen Mark sogenannte Zonenrandmittel sind in die umfangreiche Sanierung des Gutshauses geflossen“, weiß Müller.

Vom Turmzimmer kann man bis nach Billwerder gucken

Rund 150.000 Euro steckt Glinde allein in diesem Jahr in die Turmsanierung. Die neuen Stahlträger sind eingesetzt, die Risse beseitigt. „Jetzt muss der Turm noch verputzt und in hellem Ton gestrichen werden“, sagt Architektin Ahlers-Enders. Zudem wird die Elektrik erneuert und schnelles Internet verlegt. „Zum Schluss wird die Holztreppe nach oben schick gemacht“, sagt Ahlers-Enders.

Kam einer kennt das Gutshaus besser als Volker Müller. Der 75-Jährige hat es Jahrzehnte geleitet. Hier steht er im Garten der Villa. Der Zierbrunnen wurde vom Hamburger Künstler Knud Knabe gestaltet.
Kam einer kennt das Gutshaus besser als Volker Müller. Der 75-Jährige hat es Jahrzehnte geleitet. Hier steht er im Garten der Villa. Der Zierbrunnen wurde vom Hamburger Künstler Knud Knabe gestaltet. © Gerullis | Undine Gerullis

Wer die engen Stufen nach oben steigt, wird im Turmzimmer mit einem weiten Blick über die Stadt belohnt. „Bei guter Sicht kann man bis nach Billwerder gucken“, sagt Müller. Um einen weiten Blick ging es wohl auch Sönke Nissen, dem einstigen Besitzer des Hauses. Der Eisenbahningenieur, der sein Geld in Afrika machte, kaufte das Haus 1912 und ließ den Turm um zwei Geschosse auf insgesamt fünf aufstocken.

Viele Glinder konnten die Aussicht aus brandschutztechnischen Gründen noch nicht genießen. „Nur in Ausnahmefällen ist ein Aufstieg möglich“, sagt Müller. Das wird auch nach Fertigstellung im September so bleiben.

In Harry-Potter-Nacht saß Zauberer im Turm

Eine Ausnahme allerdings gab es im Juli 1998. „In der Nacht, als der erste Harry-Potter-Band auf Deutsch erschien, haben wir im Gutshaus eine Harry-Potter-Party gefeiert. Das ganze Gutshaus war voller Kinder, und im Turm saß ein Zauberer aus Hogwarts“, erinnert sich Müller.

Auch wenn in nächster Zeit keine Harry-Potter-Party im Gutshaus ansteht, ist das Haus auch so ausgebucht. „Die Angebote werden sehr gut angenommen“, freut sich Müller. Die Erziehungs-, Sucht-, Schuldnerberatung haben hier ihren Sitz. Straffällig gewordene Jugendliche werden betreut und absolvieren diesen Sommer einen Graffiti-Kurs im Gutshausgarten. Die Tafel verteilt regelmäßig Lebensmittel an Bedürftige, und die VHS veranstaltet Kurse. Das Haus zieht mit seinen Konzerten und Ausstellungen Kultur- und Kunstinteressierte an und ist ein beliebter Ort zum Feiern von Familienfesten aller Art.

Das weiß auch Bürgermeister Zug, der zudem Stiftungsvorsitzender ist. „Glinde nimmt den Erhalt des Gutshauses sehr ernst“, sagt er. Er stellt in Aussicht, dass die Stadt auch in den kommenden Jahren weiteres Geld für die Sanierung zur Verfügung stellt. „Damit das schönste Haus Glindes auch schön bleibt“, sagt Zug.