Glinde. Fläche für Einzelhandel: Reisebüro ist ausgezogen, Nachmieter ist in den Augen vieler ein Symbol für den Niedergang der Innenstadt.
- In der Glidner Markpassage stehen viele Geschäfte leer
- Nun eröffnet ein neues Geschäft – zum Missfallen der Bürger
- Denn es wird ein Wettbüro
Zwischen 200.000 und 300.000 Euro nimmt Glinde laut Bürgermeister Rainhard Zug jedes Jahr an Vergnügungssteuer ein. Die Summe dürfte sich bald erhöhen. In der Marktpassage eröffnet der Sportwettenanbieter Tipico einen Shop, der genaue Termin steht noch nicht fest. In der Bevölkerung kommt das gar nicht gut an. Es herrscht blankes Entsetzen. Im Rathaus sind schon Unmutsbekundungen eingegangen. Für viele Einwohner ist das Büro Symbol für den Niedergang der Innenstadt. Der Kommune sind jedoch die Hände gebunden. Sie hat keine Möglichkeit mehr, die Ansiedlung zu blockieren.
Am Freitagmorgen bleiben immer wieder Passanten vor dem früheren Tui-Reisebüro stehen und blicken auf Plakate, die an der großen Fensterfront angebracht sind. Zu lesen ist zum Beispiel: „Hier entsteht ein neuer Tipico Shop. Die letzten Schritte bis zur Neueröffnung!“ Der zweite Satz ist ausschließlich in großen Buchstaben geschrieben. Manch einer schüttelt mit dem Kopf, drückt so sein Unverständnis aus. Auch Gerd Biermann (70) hat kurz gestoppt. Er sagt: „In der City ist schon alles mau, und das passt ja nun überhaupt nicht hierher.“ Der Rentner lebt seit 28 Jahren in Glinde.
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Ähnlich klingt Gunnar Bartlakowski. „Die Innenstadt ist sowieso tot. Ich finde es unmöglich, dass ein Wettbüro an so zentraler Stelle kommt.“ Einer seiner Freunde sei spielsüchtig gewesen, habe sich um Haus und Hof gebracht. „In solchen Läden kann man leicht die Kontrolle verlieren“, so der 66-Jährige. Er erinnere sich noch gern an die Zeiten, als es in der Passage Reinhold & Pabst gegeben habe. „Dort hat man alles bekommen. So ein Geschäft fehlt.“ Constanze Komm arbeitet in einem Bekleidungsladen gegenüber dem ehemaligen Reisebüro. Die 58-Jährige sagt: „Ein Wettanbieter zieht bestimmtes Klientel an und gehört hier nicht hin.“
Unsere Redaktion hat sich mit zahlreichen Personen über das Tipico-Büro unterhalten. Es gab nicht einen Gesprächspartner, der es willkommen heißt. Die Menschen sorgen sich auch um junge Erwachsene. „Einerseits sind Sicherheitsüberlegungen rund um den Marktplatz mit dem Gedanken an Alkoholverbote im Gange, andererseits werden junge Menschen – natürlich über 18 Jahre – zum Wetten verführt. Eine Aufwertung der Passage ist ein Wettbüro sicher nicht“, sagt Holger Weinel, stellvertretender Vorsitzender der Glinder Gewerbevereinigung.
Sogenannte Vergnügungsstätte sind Bestandteil des Bebauungsplans
Sogenannte Vergnügungsstätten sind Bestandteil des Bebauungsplans. Sollte dieser geändert werden, habe das Wettbüro Bestandsschutz, erklärt Bauamtsmitarbeiterin Andrea Ohde. Die Verwaltung hat nichts unversucht gelassen. „Wir wollten den Wettanbieter verhindern, haben aber keine Handhabe, weil der Betrieb nicht als reine Spielhalle deklariert ist“, so Ohde. Ihr Vorgesetzter, Bürgermeister Zug, ist nach einem Urlaub seit dieser Woche wieder im Dienst. Er sagt; „Ich habe wegen des Wettbüros wüste Beschwerden von Bürgern auf dem Tisch. Aber Immobilieneigentümer wollen Geld verdienen mit Vermietung und natürlich Leerstände vermeiden.“
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Davon gibt es genug in Zentrum. Die Commerzbank-Filiale ist ebenso Geschichte wie das Bauernstübchen mit Handarbeiten. Zum Ende des ersten Halbjahres schließt auch noch die Volksbank Raiffeisenbank (VR-Bank) in der Passage. Man konzentriert sich künftig auf den Geschäftsbetrieb in Südstormarn am Standort in Reinbek. Der Vorstand begründet den Schritt auch damit, dass immer mehr Kunden das Online-Banking nutzen.
Lüder Lückel, Fraktionschef der Grünen, will zumindest keinen weiteren Wettladen am Markt. „Wenn wir mit einer B-Planänderung so was unterbinden können, ist das für mich ein gangbarer Weg.“ Seine Partei werde das am kommenden Mittwoch auf einer Fraktionssitzung thematisieren. Der CDU-Vorsitzende Claus Peters ist für diese Variante offen: „Und es muss der Anreiz geschaffen werden, dass sich anspruchsvollere Geschäfte ansiedeln.“ Der Liberale Thomas Kopsch argumentiert ähnlich: „Eine Novellierung des Bebauungsplans ist überlegenswert. Man sieht nun, dass die Innenstadtentwicklung über viele Jahre vernachlässigt wurde.“ SPD-Fraktionsvizin Marlies Kröpke sagt, sie könne den Unmut in der Bevölkerung verstehen. „Allerdings habe ich Schwierigkeiten damit, Verbote zu erteilen.“
Bürgermeister prophezeit noch mehr Leerstände
Glindes City hat keinen einladenden Charakter. Die Vielfalt der Geschäfte lässt zu wünschen übrig. Auch die Politik möchte mehr Attraktivität. Wie berichtet, hatte sie 2020 ein Innenstadtkonzept mit entsprechendem Rahmenplan beschlossen. In diesem sind die Leitlinien für die städtebauliche Entwicklung festgelegt. Bürger haben dabei in Workshops Ideen eingebracht. 4000 Quadratmeter zusätzliche Einzelhandelsflächen, mehr Gastronomie, 300 neue Wohnungen, ein Drittel davon öffentlich gefördert, eine Tiefgarage inklusive Carsharing – das sind zentrale Bestandteile der angedachten Neugestaltung.
Politiker sind beunruhigt, weil gar nichts passiert
Dass nicht alles auf einmal umsetzbar ist, war allen bewusst. Parteienvertreter sind inzwischen aber beunruhigt, weil nicht einmal einzelne Projekte angeschoben werden. Das liegt an Grund- und Immobilieneignern, die derzeit nicht in neue Gebäude investieren wollen. Rainhard Zugs Werben ist bislang erfolglos gewesen. Der Bürgermeister prophezeit: „Wenn die Investitionen nicht kommen, wird es weitere Leerstände geben.“
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Der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Lauterbach bezeichnete den Rahmenplan jüngst als „Luftschloss“. Demnächst soll eine auf Stadt- und Regionalplanung spezialisierte Firma in einer politischen Ausschusssitzung Handlungsempfehlungen für den Umbau geben. Die FDP plädiert zum Beispiel für die zeitnahe Einstellung eines City-Managers. Andere Fraktionen möchten erst ein Abspecken beim Ortsmittekonzept prüfen.