Glinde. 2600 Mitglieder zählender Sportverein muss die Führungsetage neu besetzen. Das gestaltet sich schwierig. Es gab erste Absagen.

Am 4. März fliegt Joachim Lehmann nach Mallorca. Dort trainiert der 65-Jährige Schwimmer mit geistiger und mehrfacher Behinderung aus den Landesverbänden Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt. Das Camp dient als Vorbereitung für die Special Olympics World Games in Berlin, die vom 17. bis 25. Juni erstmals in Deutschland ausgetragen werden. Nach dem Renteneintritt will der Senior mit seiner Frau auf der beliebten Ferieninsel sesshaft werden über die Wintermonate, dabei Kurse im Hallenbad von Paguera anbieten. Seine Zeit als Geschäftsführer beim TSV Glinde endet Mitte dieses Jahres – ebenso jene als Vorsitzender. Der Mann hat eine Doppelfunktion. Doch nicht nur diese Positionen müssen neu besetzt werden. Die Stellvertreterin sowie der Schatzmeister hören ebenfalls auf. Der Sportverein steht vor einem großen Umbruch. Und der gestaltet sich schwierig.

„Ich habe bereits mehrere Personen aus dem Banken- und Sparkassenwesen gefragt, aber keiner wollte einen Vorstandsposten“, sagt Peter Thomsen. Der 81-Jährige ist seit 2007 in der Führungsriege, derzeit kommissarischer Schatzmeister. Eigentlich wollte er sich schon zurückgezogen haben. „Ich dachte, jetzt müssen mal die Jüngeren ran.“ Es fand sich jedoch kein Nachfolger. Nun ist für Thomsen aber Feierabend. Auf der Mitgliederversammlung Ende Juni steht er nicht zur Wahl. Der Rentner sagt: „Wir suchen ein Team. Meinen Posten können sich auch zwei Menschen aufteilen.“ Dass es kein leichtes Unterfangen ist, Ehrenamtler zu gewinnen, kennt man vielerorts. Im vergangenen Jahr löste sich in Glinde zum Beispiel der Seniorenbeirat auf. Dessen Aufgaben hat inzwischen eine kleine Arbeitsgruppe übernommen, deren Fortbestand zwischendurch auf der Kippe stand.

Darts und Basketball sollen ins Programm kommen

„Das Ehrenamt hat sich verändert, ist anspruchsvoller und komplexer geworden. Corona, Datenschutz, Bildung und Teilhabe – all diese Dinge spielen bei uns mit rein“, sagt Lehmann. Und natürlich gehe es um die Weiterentwicklung. Soll heißen: Angebote müssen den Bedürfnissen angepasst werden. Der TSV will Darts und Basketball ins Programm aufnehmen. Ein E-Sport-Team hat der Verein bereits. Von den rund 2600 Mitgliedern sind etwa 1100 Kinder, Jugendliche, Auszubildende und Studenten, für die ein ermäßigter Beitrag gilt.

Mit Blick auf die Besetzung der Vorstandspositionen sagt Thomsen. „Optimal wären Jungrentner, die sich gerade aus dem Berufsleben verabschiedet haben.“ Wie viele Stunden pro Woche zu leisten sind, vermag er nicht zu sagen. Das hänge auch davon ab, wie man sich einbringen wolle. Turnusmäßig ist einmal im Monat Vorstandssitzung. Hinzu kommt die Klausurtagung einmal per anno mit Jahresabschluss, Finanzplanung und Festlegung von Bauprojekten.

In den großen Abteilungen ist man laut Lehmann beim Ehrenamt gut aufgestellt. Die Leiter für den Vorstand zu rekrutieren, sei problematisch. „Es besteht die Gefahr von Interessenkonflikten.“ Hoffnungslos ist die Situation nicht. Es bleiben noch vier Monate, um Nachfolger zu finden. Im Notfall wäre erstmal eine kommissarische Führung angedacht. „In letzter Instanz könnte das Amtsgericht Personen einsetzen“, sagt Lehmann. So weit will er aber noch nicht denken.

Um die Position der hauptamtlichen Geschäftsführung muss sich der Verein wohl keine großen Sorgen machen. Bei der ersten Ausschreibung meldeten sich neun Bewerber. „Wir waren uns mit einem einig und haben das per Handschlag besiegelt“, so Lehmann. Alle Rahmenbedingungen seien abgesprochen gewesen. Als es dann zum Vertragsabschluss kommen sollte, wollte der Auserwählte plötzlich ein höheres Gehalt. Der TSV ging nicht darauf ein und wiederholte die Prozedur. Sieben Personen haben inzwischen ihre Unterlagen eingereicht.

TSV-Umzug geht nur mit Bewilligung der Politik

Lehmann selbst hatte 2009 beim TSV angefangen, zuvor war er sieben Jahre Geschäftsführer beim TSV Schwarzenbek. Eine weitere Station in seiner beruflichen Vita: Jugendsekretär beim Deutschen Schwimmverband. Sein Wirken in Glinde ist ein Balanceakt, immer wieder ist Ideenreichtum gefragt. Der Sportverein hatte sich in den 1990er-Jahren mit dem Bau eines Hotels samt Tanzzentrum übernommen und stand vor dem Aus. Die Immobilie musste verkauft werden. Auch deswegen stehen immer noch rund eine Millionen Euro Schulden auf der Uhr. Banken müssen bedient und Kredite bei der Stadt abbezahlt werden. Der finanzielle Spielraum ist begrenzt. Trotzdem ist es unter Lehmanns Regie gelungen, Sportstätten zu modernisieren.

Im Juni 2015 wurde zum Beispiel der 590.000 Euro teure Kunstrasenplatz eröffnet. Der TSV bestach durch Kreativität, sammelte mehr als 50.000 Euro an Spenden für Rasenpatenschaften. Hierfür wurde das Spielfeld gedanklich in 1020 Parzellen aufgeteilt. Nicht zu vergessen das Sticker-Album mit Porträts aller Mitglieder der Fußball-Abteilung nach Panini-Art.

Den Investitionsbedarf in Gebäude und Plätze bis 2030 beziffert der Verein auf rund fünf Millionen Euro. Läuft es für ihn optimal, muss er dieses Geld nicht ausgeben. Wie berichtet, möchte ein Investor auf dem TSV-Gelände bis zu 600 Wohnungen bauen, dafür ein Grundstück mit der Stadt tauschen. Der Sportverein soll 200 Meter in Richtung Norden umziehen und möchte das auch. Er würde die neue Anlage spendiert bekommen. Auf dem für ihn vorgesehenen Areal war früher allerdings eine Kiesgrube, Methan strömte aus. Die Politik ist misstrauisch und zögert, auch wenn ein Gutachten Entwarnung gibt. „Wir wollen wissen, woran wir sind. Jede Entscheidung ist besser als gar keine“, sagt Lehmann. Sein Nachfolger im Haupt- als auch Ehrenamt sowie andere neue Vorstandsmitglieder haben die Aufgabe, weitere Überzeugungsarbeit zu leisten. Dabei ist reichlich Fingerspitzengefühl gefragt.