Reinbek. Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy soll auftreten. Stadt wollte das verhindern. Bürgermeister äußert sich zur Niederlage im Eilverfahren.
Schwere juristische Schlappe für die Stadt Reinbek: Die 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Schleswig hat am Donnerstag in einem Eilverfahren beschlossen, dass die Stadt der AfD Schleswig-Holstein die Räumlichkeiten des Schlosses Reinbek für eine Veranstaltung zur Verfügung stellen muss (Az.: 6 B 6/24).
Die Partei plant für den 12. April in Reinbek einen Vortrag, bei dem die bayerische Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy unter dem Titel „Sozialsysteme in Gefahr“ über die Themen Rente und Bürgergeld sprechen soll. Als Veranstaltungsort wollte sie das stadteigene Gebäude mieten – kassierte aber eine Absage aus dem Rathaus. Dagegen ging die AfD mit einem Eilantrag vor.
Verwaltungsgericht Schleswig entscheidet: AfD darf Schloss Reinbek nutzen
Huy, die die AfD als Obfrau im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales vertritt, soll nach Recherchen von „Correctiv“ im November 2023 an dem Treffen radikaler Rechter in einer Potsdamer Villa teilgenommen haben, bei dem die Anwesenden unter dem Terminus „Remigration“ über die massenhafte Ausweisung in Deutschland lebender Menschen mit Migrationshintergrund diskutierten. Das Recherchenetzwerk veröffentlichte auf seiner Internetseite ein Foto, das die Politikerin bei der Veranstaltung zeigen soll.
Die Stadtverwaltung berief sich bei ihrer Ablehnung der AfD-Anfrage auf die neue Nutzungssatzung, die Reinbeks Kommunalpolitiker im vergangenen Jahr beschlossen haben und die Anfang Januar 2024 in Kraft getreten ist. Seitdem gilt: Veranstaltungen mit „extremistischen, rassistischen, antisemitischen, nationalistischen, sonstigen menschenverachtenden oder antidemokratischen“ Inhalten sind im Schloss verboten.
Die AfD veranstaltete bereits mehrfach Tagungen und Vorträge im Schloss
„Die Stadtvertretung hat ihre Erfahrungen mit Veranstaltungen aus der Vergangenheit zum Anlass genommen, das Bekenntnis zu bestimmten Werten zur Voraussetzung für die Nutzung der Räume im Schloss zu machen“, sagt Reinbeks Bürgermeister Björn Warmer. Die neue Nutzungssatzung solle extremen Thesen Einhalt gebieten – egal von welchem politischen Rand.
Die AfD und die ihr nahestehende Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES) haben das Reinbeker Schloss bereits mehrfach für Veranstaltungen genutzt, zuletzt kamen im November 2022 auf Einladung der DES rund 60 Teilnehmer zu einer Tagung unter dem Titel „Deutschland 2050“. In den Vorträgen ging es um „konservative Ethik“ und „konservative Ökologie“. Ähnlich viele Demonstranten versammelten damals sich vor dem Gebäude, um gegen die Tagung zu protestieren.
AfD darf Schloss Reinbek „aus Gründen der Gleichbehandlung“ nutzen
Solche Veranstaltungen wollte die Stadt Reinbek mit der Änderung der Nutzungssatzung verhindern. Vor der Entscheidung der Schleswiger Richter hatte sich Bürgermeister Björn Warmer überzeugt gezeigt, dass die Regelung vor Gericht Bestand haben werde. „Wir bringen mit der Satzung bestimmte Werte zum Ausdruck, an die sich jeder halten muss, der das Schloss nutzen möchte“, sagte der Verwaltungschef.
Das Verwaltungsgericht kommt zu einer anderen Einschätzung. Aus Gründen der Gleichbehandlung müsse Reinbek der AfD wie anderen Parteien Zugang zu den Räumlichkeiten gewähren. Hieran ändere auch eine Klausel in der Nutzungssatzung der Stadt Reinbek nichts, auf die sich die Stadt zur Ablehnung einer Vermietung an die AfD berufen habe, heißt es in einer Erklärung des Gerichts.
Richter sehen Verstoß gegen Artikel 21 des Grundgesetzes
Eine Kommune, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit einer Partei habe, könne dieser die Nutzung ihrer Einrichtung deswegen nicht untersagen. Hier greife das Parteienprivileg, das in Artikel 21, Absatz 4 des Grundgesetzes verankert ist. Danach entscheide über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer politischen Partei allein das Bundesverfassungsgericht.
Dieses Parteienprivileg schütze die Partei in ihrem Bestand, bis die Karlsruher Richter ihre Verfassungswidrigkeit festgestellt hätten, so das Verwaltungsgericht weiter. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfe eine Partei in ihrer politischen Tätigkeit nicht behindert werden und sich so darstellen, wie es ihrem Selbstverständnis entspreche.
Auch Parteiveranstaltungen mit demokratiefeindlichen Inhalten müssen erlaubt werden
Es sei ihr auch erlaubt, hierzu ihre eigenen Vorstellungen durch Behauptungen, Wertungen und Argumente in Wort, Schrift und Bild zu erläutern, wobei unerheblich sei, ob diese Vorstellungen auf eine Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielten, solange die Partei nicht nach Artikel 21, Absatz 4 des Grundgesetzes für verfassungswidrig erklärt worden sei.
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Die AfD feiert den Beschluss der Schleswiger Richter und sieht sich in ihrem Rechtsverständnis bestätigt. „Die Argumentation der Stadt Reinbek ist auf ganzer Linie gescheitert“, sagt Julian Flak, stellvertretender Landesvorsitzender der Partei. Das Parteienprivileg des Grundgesetzes gelte selbstverständlich auch für die Nutzung des Schlosses Reinbek.
AfD-Politiker Flak attestiert Bürgermeister „Nachholbedarf“ bei demokratischen Grundregeln
„Die Stadt kann dieses Recht auch nicht durch eine Nutzungssatzung aushebeln. Die ‚Lex AfD‘ des Bürgermeisters Björn Warmer verletzt schlicht Verfassungsrecht“, so Flak. Warmer habe „offenkundig erheblichen Nachholbedarf“, was demokratische Grundregeln angehe. „In einer Demokratie gilt: gleiches Recht für alle. Wer das nicht akzeptieren kann, hat ein Kernelement der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht verstanden“, sagt der stellvertretende AfD-Landeschef.
Reinbeks Bürgermeister räumt die juristische Niederlage der Stadt auf Anfrage ein, sieht darin aber keine Vorentscheidung über die Zulässigkeit der Nutzungssatzung insgesamt. „Zunächst einmal handelt es sich um eine Entscheidung, die sich auf diese eine Veranstaltung bezieht“, sagt Warmer.
Stadt Reinbek wird auf Beschwerde gegen den Beschluss verzichten
Gleichzeitig gibt der Verwaltungschef zu, dass das Nutzungsrecht, das die Schleswiger Richter Parteien unabhängig von den Inhalten der von ihnen geplanten Veranstaltungen einräumten, sehr umfassend sei, was es erschweren könne, künftig ähnliche Formate im Schloss zu verbieten. „Der Beschluss ist noch jung. Wir werden uns mit der Begründung und den Konsequenzen im Detail auseinandersetzen und schauen, ob wir die Nutzungssatzung noch einmal anfassen müssen“, sagt Warmer.
Auf eine Beschwerde gegen die Entscheidung, die die Stadt binnen zwei Wochen beim Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgericht einlegen könnte, will der Bürgermeister verzichten. In ähnlichen Fällen hätten Rechtsmittel gegen die Entscheidungen verschiedener Verwaltungsgerichte selten Erfolg gehabt. „Insofern werden wir der AfD als Veranstalterin Zugang zum Schloss gewähren.“
Hinweis: Dieser Artikel wurde am 10. April geändert.