Bergedorf. Bergedorf darf 10.000 Euro für eine Kampagne ausgeben, um die Wahlbeteiligung zu steigern. Eine Fraktion soll nicht mitmachen.
Gut 1,43 Millionen Hamburgerinnen und Hamburger sind aufgefordert, ihren politischen Willen kundzutun: Am 9. Juni 2024 steht sowohl die Bezirks- als auch die Europawahl an, 2025 wird die Bürgerschaft gewählt. An der hatten sich beim letzten Mal, im Februar 2020, genau 63 Prozent aller Wahlberechtigten beteiligt. Eine niedrige Wahlbeteiligung ist der Politik ein Dorn im Auge. Daher rufen die Hamburger Bürgerschaftsfraktionen von SPD, Grünen, CDU und Linke gemeinsam eine Wahlmotivations- und Informationskampagne ins Leben. Nun steht erst mal der 9. Juni im Fokus: Da erstmals auch 16-Jährige für das Europaparlament abstimmen dürfen, soll sich der Appell insbesondere an Erstwähler richten.
Wie aber lassen sich die Jugendlichen am besten erreichen? Für eigene Maßnahmen im Bereich der Jugendbildung kann jeder Bezirk zusätzlich 10.000 Euro erhalten. Für eine Bergedorfer Kampagne haben sich bereits drei Marketingagenturen beworben. Sie haben viele Ideen, vom Wahlsong über Social-Media-Videos, Streetart und die Einbindung von Influencern, die Jugendliche nach ihren politischen Wünschen befragen.
Bezirk Bergedorf will zur Wahl aufrufen, aber ohne die AfD – geht das?
Doch eine Auswahl fällt schwer – vor dem Hintergrund, dass keine Werbung für alle Fraktionen erwünscht ist: „Wir brauchen zunächst ein Format für die politische Haltung, dann erst ist eine Auftragserteilung sinnvoll“, meint Heribert Krönker und zeigt im Bergedorfer Jugendhilfeausschuss ein Dilemma auf: „Wir Grünen unterstützen nur etwas, das von eindeutig demokratischen Parteien getragen wird, in strenger Abgrenzung zu nicht-demokratischen Parteien“, sagt er. „Das darf keine ‚Stimme jeder Fraktion‘ sein“, so Krönker weiter. Soll im Klartext heißen: Alle anderen Fraktionen möchten die AfD nicht dabei haben.
Aber: Es sei schwierig, wenn eine Partei, die demokratisch gewählt worden ist, explizit ausgegrenzt werde, gibt Dennis Gladiator (CDU) zu bedenken – „egal, welche Meinung sie vertritt.“ Denn: „Die Kampagne soll ja nicht die Parteien vorstellen, sondern zur Wahl aufrufen.“ Außerdem sei ein „AfD-Bashing die beste Werbung für die Partei, denn die freuen sich wie ein Schnitzel, wenn über sie debattiert wird“.
Kampagne für höhere Wahlbeteiligung: „AfD darf sich nicht als Märtyrer hinstellen“
Man müsse auf jeden Fall den rechtlichen Rahmen prüfen, mahnt auch Petra Petersen-Griem (SPD): „Wir wissen ja, dass die AfD schnell klagt. Daher müssen wir sie möglichst durch die geschickte Auswahl des Konzeptes ausschließen. Nicht, dass die sich sonst wieder als Märtyrer hinstellen.“ Auf jeden Fall sollte rasch gehandelt werden, so die Sozialdemokratin: „Nie wieder ist jetzt. Also können wir nicht einfach stillhalten, das wäre ein Widerspruch.“
Dennoch gelte es, „das demokratische Spektrum aufzuzeigen“, verweist Heribert Krönker auf „die Zwickmühle, die politischer Klugheit bedarf“. Seine Fraktionskollegin Leonore Lilja Georgi hofft, dass über das Thema noch intensiver gesprochen wird: „Auch unter Bergedorfs Jugendlichen ist dieser Wunsch da. Wir müssen mehr machen und nicht lange zögern, sondern Entscheidungen treffen“, so die 19-Jährige.
Erwünscht: Hilfe vom Bergedorfer Ältestenrat
Vielleicht müsse man den Werbeetat von 10.000 Euro „nicht zwingend an Marketingagenturen geben, sondern an Bergedorfer Schulen, die mit ihren sehr guten Video-Equipments eine Kampagne in der Sprache der Jugend aufstellen könnten“, regt Maria Westberg (Linke) an: „16-Jährige sollten erfahren, warum es wichtig ist, nicht nur ein Kreuzchen zu machen, sondern auch politisch zu entscheiden.“
Die Zeit drängt: Als arg kurzfristig wird eine Beteiligung von Schulen oder Einrichtungen der offenen Kinder- und Jugendarbeit bewertet. „Am besten wäre es, wenn der Jugendhilfeausschuss schnell die eingereichten Konzepte einsehen könnte. So wie es auch in Wandsbek und Altona geschehen ist“, meint Dennis Gladiator, der dafür eine Sondersitzung anregt oder eine Entscheidung im Hauptausschuss: „Auf jeden Fall wird sich der Ältestenrat der Bezirksversammlung damit befassen und eine Empfehlung aussprechen.“ Eine weitere Debatte über das Verfahren wird am Donnerstag, 4. April, in der Bezirksversammlung erwartet, die um 18 Uhr im Rathaus (Wentorfer Straße 38) beginnt.
Kampagne #WählWasDichBewegt
Auf jeden Fall „ohne erhobenen Zeigefinger zu kommunizieren“ ist das Ziel der stadtweiten Kampagne unter dem Motto #WählWasDichBewegt. Laut Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (SPD) spricht sie „die Sprache der Bürgerinnen und Bürger und holt sie in ihrer Lebensrealität ab“. Und das möglichst geschlechts- und generationsübergreifend, zudem auch in „statusniedrigen Wohngebieten“, in denen auch die Wahlbeteiligung zuletzt arg niedrig war.
Im Mai werden die Plakate an Orten aufgehängt, an denen Parteien die Werbung untersagt ist, zum Beispiel in Fitnessstudios, auf Brötchentüten beim Bäcker oder an Zapfsäulen. Auch wird in der Kneipe für die Wahlbeteiligung geworben, beim Kegelabend, auf Lastenrädern oder im Schwimmbadspind.
Noch eine Aktion: „Bergedorf blüht für Demokratie“
Unterdessen will auch Bergedorfs Zivilgesellschaft zur Wahlbeteiligung aufrufen. So plant das „Netzwerk Bergedorf – für Demokratie und Zusammenhalt“ vor Bergedorfer Schulen diverse Aktionen zur Europawahl. Zudem sollen Flächen für Blumenbeete gefunden werden für die Aktion „Bergedorf blüht für Demokratie“.
Nicht zuletzt haben die sieben Hamburger Bezirksämter die Kampagne „Vielfalt macht uns stärker“ ins Leben gerufen. Sie soll deutlich machen, dass das Zusammenleben unterschiedlicher Nationen und Kulturen bereichernd ist. „Es geht dabei um ein deutliches Bekenntnis für Diversität und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in unserer Stadt und darüber hinaus“, schreibt die Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke.
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Der Kampagnenstart wird musikalisch, unterstützt durch den Chorverband Hamburg, eingeläutet: Am Sonnabend, 6. April, beginnt zur Mittagszeit ein großes gemeinsames Singen, um laut und deutlich die Stimme für das vielfältige Leben in Hamburg zu erheben. Damit die Stimmen in allen Himmelsrichtungen wahrnehmbar sind, ertönen sie in allen sieben Bezirken: Die Bergedorfer beginnen um 14 Uhr im Körberhaus in der Holzhude 1.