Reinbek. In den überbelegten Unterkünften gibt es kaum Privatsphäre. Das führt zu Konflikten. Politik vertagt Entscheidung zu neuen Standorten.

  • Lage in Flüchtlingsunterkünften in Reinbek ist besonders angespannt
  • Bau eines neuen Containerdorfs verzögert sich
  • Fehlende Privatsphäre sorgt für Konflikte

Wer es selbst nicht erlebt hat, kann sich kaum vorstellen, wie es sein muss: In Flüchtlingsunterkünften leben Menschen oft aus unterschiedlichsten Kulturen und Herkunftsländern auf engstem Raum, haben kaum Privatsphäre und meist keine Perspektive auf eine schnelle Änderung. Chancen auf dem freien Wohnungsmarkt sind für Geflüchtete oft verschwindend gering, nicht wenige müssen Jahre in Gemeinschaftsunterkünften ausharren.

In Reinbek ist die Lage aktuell besonders angespannt. Die Stadt muss zahlreiche Menschen unterbringen. 2023 waren es rund 150 Neuankömmlinge, für 2024 rechnet man mit ähnlichen Zahlen. Das übersteigt die Kapazitäten der Stadt. Wie berichtet, soll im Stadtteil Krabbenkamp ein Containerdorf entstehen, der Bau verzögert sich. Weil etwa die Hälfte der dort unterzubringenden Menschen schon in der Stadt ist, mussten bestehende Unterkünfte überbelegt werden.

Die Lage in Reinbeks Flüchtlingsunterkünften wird immer angespannter

Dass die Situation in diesen Unterkünften immer angespannter werde, teilte Klaus Köhn von der Reinbeker Flüchtlingsinitiative in der Einwohnerfragestunde des jüngsten Schul- und Sozialausschusses mit. „Die Lage in den stark ausgelasteten und teils überbelegten Notunterkünften ist schwierig“, so Köhn. „Durch die fehlende Privatsphäre steigt das Konfliktpotenzial.“

Er forderte nicht nur, dass die soziale Betreuung an allen Standorten verstärkt wird, sondern mahnte auch an, dass auf lange Sicht dringend Sozialwohnungen für Menschen mit geringem Einkommen geschaffen werden müssen. „Teilweise leben die Menschen seit 2015 in Notunterkünften und haben keine Chance auf dem leeren Wohnungsmarkt.“ Dabei sei eigener Wohnraum neben Sprache und Arbeit ein essenzieller Faktor in Sachen Integration.

Mehrheit des Sozialausschusses wollte nicht über Standorte beraten

Angesichts der angespannten Lage in den Unterkünften begrüße Köhn, dass die Stadt weitere temporäre und dauerhafte Unterkünfte bauen möchte. Doch: Eine Entscheidung zu den Standorten wurde am Dienstag im Sozialausschuss nicht gefällt. Malte Harlapp (Grüne) merkte an, dass der Bauausschuss darüber beraten solle, da dort die Experten säßen. Zustimmung kam von der CDU.

FDP-Fraktionsvorsitzender Bernd Uwe Rasch äußerte Bedauern darüber, dass die Mehrheit seiner Ausschusskollegen nicht über die Standorte sprechen wollte – und nahm indes selbst Stellung zu den Vorschlägen. Vier Standorte nimmt die Stadtverwaltung ins Visier: Für dauerhafte Unterkünfte werden die Stettiner Straße 15 in Neuschönningstedt und die Schulstraße 24 in Alt-Reinbek vorgeschlagen.

Stadtverwaltung Reinbek schlägt vier Standorte für Unterkünfte vor

In Neuschönningstedt soll laut Vorschlag der Verwaltung das Bestandsgebäude abgerissen und eine Unterkunft in Modulbauweise errichtet werden. In der Schulstraße soll auf dem hinteren Grundstücksteil eine Unterkunft, ebenfalls in Modulbauweise, gebaut werden. „Ich bin erstaunt, dass in der Schulstraße Modulbauweise angestrebt wird“, so Rasch. Laut Bebauungsplan sei dort eine ganz normale Wohnbebauung möglich. Dass in der Stettiner Straße das bestehende Gebäude angerissen wird, bewertete Rasch als Fehler und schlug stattdessen vor, dieses zu sanieren.

Temporäre Unterkünfte will die Verwaltung auf dem ehemaligen Spielplatz zwischen Gartenstraße und Sandweg in Neuschönningstedt und auf der Festwiese Schönningstedt schaffen. „Die Festwiese soll eine freie Fläche bleiben“, so Rasch. Statt einer Unterkunft in Modulbauweise schlug er stattdessen vor, an dem Standort Container aufzustellen. Als Alternative zum Standort Gartenstraße/Sandweg empfahl er die Feldstraße – dass diese nicht in der Vorlage vorkam, hatte zuvor auch Klaus Köhn von der Flüchtlingsinitiative angesprochen.

Aktuell sind 565 Menschen in 47 Unterkünften der Stadt Reinbek untergebracht

Wie der Bauausschuss die Standortfrage bewertet, bleibt abzuwarten. Die nächste Sitzung des Gremiums findet am Dienstag, 13. Februar, ab 19.30 Uhr im Sitzungssaal des Rathauses (Hamburger Straße 5-7) statt. Konsens bestand im Sozialausschuss indes in dem Punkt, dass Unterkünfte mit insgesamt 150 Plätzen geschaffen werden müssen und dass an den Standorten eine intensive Betreuung nötig ist. Diesen Teilen der Beschlussvorlage stimmte die Politik einstimmig zu.

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Im Haushalt 2024 stehen 500.000 Euro für die Anmietung und eine Million Euro für den Kauf von Unterkünften in Modulbauweise zur Verfügung. Aktuell sind 565 Menschen in den 47 Unterkünften der Stadt Reinbek untergebracht. 2023 wurden 90 Asylbewerber, 15 Obdachlose und 44 ukrainische Geflüchtete untergebracht.

Für diese und alle anderen Menschen in den Unterkünften wünscht sich auch Roderich Ziehm, Leiter der Flüchtlingsinitiative Reinbek, schnelle Besserung. „Unter anderem in der Unterkunft in der Borsigstraße ist aktuell eine sehr große Überbelegung“, sagte Ziehm im Gespräch mit unserer Redaktion. „Leute, die sich nicht kennen und teils unterschiedlichen Kulturen angehören, werden zu zweit in ein Zimmer gesteckt.“

In den Unterkünften kommt es zu Streit und Handgreiflichkeiten

Einige seien berufstätig, andere nicht, der Tagesrhythmus passe nicht zusammen. „Das wiederum führt dazu, dass die Menschen nicht schlafen können.“ Die Initiative habe versucht zu erreichen, dass befreundete Menschen zusammengelegt werden. „Das ist nicht möglich“, so Ziehm. Viele Geflüchtete seien seit 2015 in Notunterkünften, weil sie in Reinbek keinen Wohnraum bekommen, was die Lage umso belastender mache.

Dadurch komme es sowohl zu verbalen als auch zu körperlichen Auseinandersetzungen. „Es kommt verständlicherweise zu Konflikten“, so Ziehm. Auch Handgreiflichkeiten untereinander passierten. Dass der Sozialausschuss die Entscheidung über die Standorte weiterer Unterkünfte vertagte, bedauerte er. „Ich wünsche mir, dass schnell eine Entscheidung getroffen wird.“ Jeden Monat kommen neue Zuweisungen, die Menschen seien prekär untergebracht. Ziehm: „Im Januar haben wir 13 neue Geflüchtete bekommen, für den Februar sind auch schon welche angekündigt.“

Ein weiteres Problem aus Sicht der Initiative, die die Geflüchteten betreut: „Wir haben seit Anfang dieses Jahres kaum noch Spendengelder. Das Konto ist so gut wie leer“, so Ziehm. Grund seien, so wurde es ihm mitgeteilt, Nachberechnungen aus dem Jahr 2023. So oder so: Um ihre Arbeit machen zu können, benötigt die Initiative finanzielle Mittel – aktuell dringender denn je. Unter fluechtlingsinitiative-reinbek.de/spenden/ kann die Initiative unterstützt werden. Neben Geld werden auch Sachspenden entgegengenommen.