Reinbek. Überstrapazierte Gastfreundschaft: Reinbeker beherbergen seit Wochen Ukrainer und sind von der Stadt maßlos enttäuscht.
Eigentlich wollte Familie Kolbe nur helfen: Als die Stadt im März Bürger bat, ukrainische Flüchtlinge bei sich aufzunehmen, haben die Reinbeker nicht lange gezögert. Die fünfköpfige Familie öffnete ihr Haus an der Bismarckstraße. Sie ließ ab Mitte April eine Mutter mit ihren vier- und 16-jährigen Töchtern aus der Nähe von Kiew einziehen in das möblierte Kinderzimmer ihres ältesten Sohnes. „Eine ganz wunderbare Erfahrung ohne jegliche Probleme“, fasst Verena Kolbe die letzten Wochen zusammen. Doch von Anfang an stand fest, dass das Beherbergungsangebot befristet ist. Ende Juni brauchte die Familie das Zimmer wieder zurück. Solche Fristen hatte die Stadt von Anfang an abgefragt, sie waren eigentlich unproblematisch, denn im Juni sollte der Umbau der ehemaligen Campusschule zumindest in Teilen längst abgeschlossen sein, sollten die ersten 56 Flüchtlinge ins Obergeschoss einziehen.
Doch die Fertigstellung der Unterkunft verzögert sich seit Wochen – zuerst gab es Lieferengpässe bei den Erstausstattungspaketen wie Bettdecken und Bettwäsche. „Jetzt hängt es an nicht lieferbaren Teilen für die Brandmeldeanlage“, heißt es aus dem Sozialamt, wo die Fäden zusammenlaufen. Ohne funktionierende Brandmeldeanlage wird das Haus nicht frei gegeben.
Ukrainische Flüchtlinge: Gastfamilie kritisiert Stadt Reinbek
„Solche Verzögerungen sind heutzutage verständlich“, sagt Verena Kolbe, „was nicht verständlich ist, ist die Informationspolitik der Stadt“. „Ohne mein Nachfragen hätte ich womöglich nie erfahren, dass der mehrfach verschobene Umzugstermin wieder nicht eingehalten werden kann. So geht man weder mit Hilfesuchenden noch mit Helfenden um“, sagt Kolbe, die im engen Austausch mit anderen Gastfamilien steht. „Wir fühlen uns von der Stadt in allen Punkten allein gelassen, sind wahnsinnig enttäuscht und hätten uns verlässliche Aussagen gewünscht.“
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Eine Forderung, die Bürgermeister Björn Warmer sehr gut verstehen kann. Er bedauert, „dass es nicht gelaufen ist, wie es hätte laufen müssen. Die Tiefschläge bei den Lieferverzögerungen haben uns in den vergangenen Wochen kalt erwischt. Wohl aus schlechtem Gewissen und aus Unsicherheit wurden die Informationen spärlicher“, startet der Rathauschef einen Erklärungsversuch. Warmer punktete gerade in der Anfangszeit mit direkten Onlineansprachen zum Thema. Er wird nicht müde zu betonen, wie dankbar er für die „große und „keineswegs selbstverständliche Hilfsbereitschaft seiner Reinbeker ist“. Rund 170 Ukrainer sind die vergangenen Monate privat untergekommen. Donnerstagabend informierte der Bürgermeister die Politik über den Stand der Dinge: „Heute gab es eine Begehung, eine Lösung ist in Sicht. Ich bin sehr zuversichtlich, dass in der nächsten Woche die Unterkunft von den ersten 56 Ukrainern bezogen werden kann“, sagt Warmer. Das will er auch den betroffenen Reinbeker Gastfamilien in einem Gespräch in der kommenden Woche zusichern.
Ukrainische Flüchtlinge: In der Notunterkunft flossen die Tränen
Verena Kolbe möchte beim Gespräch dabei sein, auch um ihrer Forderung sachlich und konstruktiv Nachdruck zu verleihen, dass „Menschen wie Menschen behandelt werden müssen und die Verwaltung beim nächsten Mal alle Beteiligten frühzeitig und kontinuierlich informieren und einbinden muss.“
Denn allzu gern hätte die Gastmutter verhindert, dass „ihre“ Ukrainer nun noch einmal „zwischengeparkt“ werden. Seit Dienstag sind Mutter und Mädchen in die Notunterkunft, die kleine Turnhalle der Sachsenwaldschule, gezogen, die in der Anfangsphase des Kriegs für 50 Geflüchtete hergerichtet worden war. „Ich habe geweint, als ich das gehört habe“, sagt Kolbe. „Wir sind uns – obwohl wir nicht die gleiche Sprache sprechen – in den vergangenen Monaten nah gekommen. Mir sind diese Menschen mit ihrem Schicksal und ihrer zurückhaltenden, liebenswerten Art ans Herz gewachsen“, sagt Kolbe. Umso schwerer sei es ihr gefallen, sie nun in eine Turnhalle umziehen zu lassen, „in der es muffig roch und alles verstaubt war. Es fühlt sich jetzt für mich an, als ob der Umzug „meiner Familie“ in die Turnhalle meine Schuld ist“, sagt Kolbe.
Stadt lässt Schulcontainer umbauen
Die Turnhallenlösung stamme aus einer Zeit, in der die Stadt sich auf einen großen Ansturm an Geflüchteten einstellte. „Es ging um ein sicheres Dach über dem Kopf, weniger um Komfort“, sagt Warmer. Zwei Familien sind hier nun zwischenzeitlich untergebracht, Wachpersonal sorgt für ihre Sicherheit. „Noch wenige Tage Geduld“ erbittet sich der Bürgermeister, dann ist die erste Etage der Campusschule für den Bezug bereit. Die anderen beiden werden im laufenden Betrieb ausgebaut.
Die Stadt lässt die einstigen Schulcontainer für 1,23 Millionen Euro umbauen, nachträglich wurden Duschen und Küchen installiert sowie Doppelstockbetten, Metallschränke, Tische und Stühle aufgestellt. Bis zu 200 Menschen können hier eine sichere Bleibe finden. Die ukrainische Mutter mit ihren beiden Mädchen hat gemeinsam mit ihrem Mann in der Ukraine entschieden, mindestens bis nächstes Jahr in Reinbek bleiben zu wollen. Zurück wollen sie in jedem Fall.