Glinde. Bis zu 80 Personen sollen in der Unterkunft wohnen. Was Glindes Bürgermeister jetzt unternimmt, um die Protestler zu besänftigen.
Das Entsetzen ist groß bei Anwohnern der Arthur-Christiansen-Straße in Glinde. In unmittelbarer Nähe ihrer Häuser plant die Stadt den Bau einer Flüchtlingsunterkunft, in der bis zu 80 Personen untergebracht werden sollen. Sie befürchten einen Wertverlust ihrer Immobilien und Lärmbelästigung, haben Sorge um die Sicherheit ihrer Kinder. Außerdem vermuten die Bürger, dass ihre neuen Nachbarn einen Spielplatz als Treffpunkt nutzen. Deswegen wehren sie sich gegen das Projekt und drohen der Kommune mit einer Klage.
Zu einem Treffen mit dieser Redaktion war die Gruppe, die nach eigenen Angaben noch keine klassische Bürgerinitiative ist, nicht bereit. Man möchte namentlich nicht öffentlich in Erscheinung treten und keine Fotos von sich in einer Zeitung sehen. Das sagte eine Frau, die zumindest telefonisch erreichbar war. Als Grund nannte sie, dass einige Protestler bei einer Behörde arbeiten und es zudem negative Auswirkungen in der Schule für den Nachwuchs haben könnte. Nach dem Motto: Deine Eltern sind gegen Flüchtlinge. Was ihr wichtig ist: „Wir wollen keineswegs in die Nähe der AfD gerückt werden.“ Sie sehe auch die Notwendigkeit, Gebäude für diese Menschen in Glinde zu erstellen, aber eben nicht an diesem Standort.
Glinde: Flüchtlingsheim geplant – Einwohner drohen Stadt mit Klage
Die Gruppe moniert zudem fehlende Einbindung, bevor eine Entscheidung getroffen wurde. Wie berichtet, hat die Stadt ein rund 1500 Quadratmeter großes Areal im Gewerbegebiet an der Straße Am Alten Lokschuppen von einer Privatperson für zehn Jahre gepachtet. Glinde zahlt pro Monat 4300 Euro an den Eigner. Der Mietvertrag gilt seit dem 1. Januar. Den Beschluss fasste die Politik in einer nicht öffentlichen Sitzung. Das ist normal bei Grundstücksvertragsangelegenheiten.
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Am liebsten hätte die Stadt zusätzliche Wohnungen und Häuser gemietet. Rund 65 Objekte in nahezu allen Straßen sind es nach Auskunft von Bürgermeister Rainhard Zug bislang. Doch das gelingt ihr nicht. „Jüngst hat uns auch noch ein Vermieter gekündigt. In seiner Immobilie wohnen 20 Menschen“, sagt der Verwaltungschef. Die Not ist groß. Mehr als 400 Flüchtlinge leben in Glinde, bei der Quote ist man seit geraumer Zeit im Minus. Derzeit sind 20 Personen weniger untergebracht, als der Stadt zugewiesen sind.
Angedacht sind Modulhäuser aus Holz oder Metall
Der Neubau eines Flüchtlingsheims ist für Verwaltung und Politik alternativlos. Man will nicht noch einmal Turnhallen sperren und dort Schlafplätze einrichten. Zug: „Wir müssen solidarisch zusammenstehen. Die Stadt ist nicht in der Lage, auf alle Wünsche einzugehen. Wenn jeder sagt, es geht nicht vor seiner Haustür, kommen wir nicht weiter.“ Mit dem geplanten Projekt treffe man Vorsorge für den kommenden Winter. Ende 2024 soll das Heim erstellt werden. Angedacht sind Gebäude in Modulbauweise aus Holz oder Metall und im Haushalt 1,65 Millionen Euro dafür vorgesehen. In Kürze wird eine neue Unterkunft an der Straße Am Berge bezugsfertig sein mit Platz für 18 Personen.
Beim Neujahrsempfang der Stadt am vergangenen Sonntag waren auch Anwohner der Arthur-Christiansen-Straße zugegeben. Einer Frau aus diesem Kreis wurde erlaubt, vor dem Publikum zu sprechen. Sie wetterte gegen die Stadt, sagte zum Beispiel: „Was ist das für ein Umgang mit uns, wir hatten nichtmal die Chance einer Beteiligung.“ Am Ende ihres Vortrags wurde sie noch deutlicher: „Wir werden mit aller Entschlossenheit dagegen vorgehen, natürlich auch unter Hinzuziehung rechtlichen Beistands.“ Gäste applaudierten daraufhin.
Die Gruppe schlägt vor, die bereits bestehenden größeren Flüchtlingsunterkünfte auszubauen, anstatt in ihrer Umgebung aktiv zu werden. Am Willinghusener Weg gegenüber dem Friedhof plant Glinde vorerst keine Erweiterung, weil im Fall neuer Gebäude Wald gerodet werden müsste. Und am Schlehenweg, wo vier Modulhäuser stehen und neun möglich sind bei einer auf zehn Jahre begrenzten Nutzung des Areals, ist man in einem Bauleitverfahren. Nach Abschluss ist dort dauerhaftes Wohnen möglich. Für einen relativ kurzen Zeitraum will Glinde keine identischen Objekte aufstellen. Später könnten qualitativ hochwertigere Immobilien entstehen. Es gibt Überlegungen in der Politik, das Grundstück an einen Investor zu vergeben per Erbpacht, der dann Sozialwohnungen schafft.
Grüne bringen Unterkunftsmanagement mit Büro vor Ort ins Spiel
Vor wenigen Tagen haben Grüne und FDP Besuch bekommen auf ihren Fraktionssitzungen von Anwohnern der Arthur-Christiansen-Straße. Deren Ziel: Die Parteien sollen ihre Entscheidung rückgängig machen. „Die Bürger haben sich bitter beschwert. Wir sind aber froh, ein Grundstück gefunden zu haben und rücken nicht vom Beschluss ab“, sagt Barbara Bednarz, Fraktionsvizin der Liberalen. Auch die Grünen werden ob der Schilderung von Bedenken keine 180-Grad-Drehung vollziehen. „Es war ein vernünftiges Gespräch. Wir stehen jedoch zu dem Beschluss“, sagt die Fraktionsvorsitzende Martina von Bargen. Ihre Partei möchte die Anwohner besänftigen durch diesen Vorschlag: „Wir haben angeboten, ein Unterkunftsmanagement zu entwickeln.“ Sie denke dabei zum Beispiel an einen Sozialarbeiter mit Büro vor Ort, der Ansprechpartner für beide Seiten sei.
Die Sozialdemokraten sehen ebenfalls keine Veranlassung, die Sache zu überdenken. „Die Entscheidung ist gefallen und sinnvoll. Man kann es nicht jedem recht machen. Wir wollen aber versuchen, den Anwohnern Ängste zu nehmen“, sagt Fraktionschef Frank Lauterbach. Die Verwaltung wirbt um Nachsicht und möchte mit den aufgebrachten Bürgern in den Dialog treten. Für Dienstag, 23. Januar, ist ein Informationstreff mit Rainhard Zug und Bernd Mahns, Leiter des Amtes für Bürgerservice, terminiert. Beginn der öffentlichen Veranstaltung im Bürgerhaus (Markt 2) ist um 19 Uhr.