Glinde. Sintayehu Kasa engagiert sich in einem Glinder Verein, der Menschen aus anderen Ländern hilft. Er ist jetzt Vorstandsmitglied.

Es gibt keinen passenderen Ort, als Sintayehu Kasa zum Gespräch in einer Kirche zu treffen. Der 33-Jährige ist orthodoxer Christ. Seine Gläubigkeit hat ihm geholfen, schwere Zeiten durchzustehen. Und was im Gotteshaus gepredigt wird, nämlich Nächstenliebe, lebt der Eritreer vor. Er ist ein Flüchtling, der Geflüchtete unterstützt in vielen Situationen. Vor Kurzem wurde der Mann auf der Mitgliederversammlung des Glinder Flüchtlingshilfevereins zum Schatzmeister gewählt und gehört damit dem vierköpfigen Vorstand an. Dass er beruflich voll eingespannt ist und seine Frau vor zwei Monaten wieder Nachwuchs bekommen hat, hält Kasa nicht davon ab, Gutes zu tun. Notfalls werden Dinge per Telefon geregelt.

„Er ist sehr zielstrebig und gelegentlich ungeduldig mit Menschen, die seiner Ansicht nach nicht genug machen, um sich zu integrieren“, sagt der Vereinsvorsitzende Reinhold Trott über seinen Mitstreiter. Der 71-Jährige unterrichtet auch im Ruhestand noch Deutsch als Fremdsprache. Kasa fungiert unter anderem als Übersetzer und Ratgeber, nimmt sich Probleme anderer an. „Er ist auch Motivator, wenn es darum geht, dass die Geflüchteten an der Nachhilfe teilnehmen“, so Trott. Eines seiner Wesensmerkmale sei Dankbarkeit gegenüber jenen, die ihm geholfen hätten. „Sintayehu fragt immer nach der Gesundheit seines Gegenübers.“

Schon als Kind war er ehrenamtlich in einer Kirchengemeinde aktiv

Kasa ist in Oromia, der größten Region Äthiopiens, aufgewachsen. Seine soziale Ader kommt schon früh zum Vorschein. Als Kind ist er ehrenamtlich in der Kirchengemeinde aktiv, pflegt alte Menschen und liest ihnen aus der Bibel vor. Neben der Schule, der Weg dorthin und zurück dauert zu Fuß jeweils eine Stunde, arbeitet der Junge ab dem Alter von elf Jahren in der Landwirtschaft, erntet Kartoffeln und Mais. Hungern muss die Familie nicht, aber der 1998 entflammte Krieg zwischen Äthiopien und Eritrea belastet.

Der Vater geht vorübergehend mit den zwei Geschwistern nach Eritrea, bei seiner Rückkehr wird er verhaftet und ins Gefängnis gesteckt. Dort stirbt er. „Wegen meines Vaters gab es dauernd Probleme mit der Polizei.“ Ein ruhiges Leben sei auch nach dessen Tod nicht möglich gewesen. Als Volljähriger zieht es ihn in die Hauptstadt Addis Abeba, dort lernt Kasa seine Frau kennen. Sie bringt einen Sohn mit in die Ehe, dann ein Mädchen auf die Welt. Es ist ihr erstes gemeinsames Kind. „Doch auch hier wurde ich verfolgt“, sagt der Eritreer. Er flüchtet nach Khartum in den Sudan, die Gattin kommt drei Jahre später nach, während die Kinder bei Freunden in Äthiopien bleiben. „Ich habe inzwischen Familienzusammenführung beantragt, leider hat es nicht geklappt.“

2013 siedelt das Paar nach Libyen um. Er arbeitet als Handwerker, baut Fenster und Türen ein. „Dann wurden in unserer Umgebung 31 Christen von Islamisten umgebracht. Da habe ich zu meiner Frau gesagt: Messer oder Meer“, so Kasa. Sie haben Todesangst, entschließen sich, mit dem Boot nach Europa zu gelangen.

Altenpfleger ist sein Traumberuf

Die Überfahrt ist der reinste Horror. Kasa beschreibt sie so: „Das Boot bestand aus Plastik, ungefähr 100 Leute waren drauf. Nach vier Stunden hatten wir plötzlich einen Wassereinbruch, ein Rettungsschiff war zum Glück schnell da und hat uns aufgenommen.“ Über Italien geht es zuerst nach Rosenheim und über mehrere Stationen in Schleswig-Holstein nach Glinde. Hier trifft das Paar im Juli 2015 ein. Kasa ist so erschöpft, dass er neun Tage im Krankenhaus in Bad Oldesloe verweilen muss.

Sie leben in einer Ein-Zimmer-Wohnung an der Sönke-Nissen-Allee, vergrößern sich dann auf Zweieinhalbzimmer ob des Familiennachwuchses. Die Tochter ist inzwischen sechs Jahre alt. Kasa lernt schnell die deutsche Sprache, macht eine Ausbildung zum Gesundheits- und Pflegeassistenten sowie später eine Weiterbildung zur examinierten Kraft. Vom Jobcenter benötigt er kein Geld mehr. Die sichere Stelle in der Altenpflege reicht aus, es ist zudem sein Traumberuf. Senioren duschen, waschen, anziehen – für ihn ist das kein Problem. Berührungsängste sind dem Mann fremd. Schon bei seinem Praktikum im Seniorenheim Haus Togohof der Wichern-Gemeinschaft in Glinde kam er bei den Bewohnern gut an.

Der 33-Jährige beherrscht sechs Sprachen und ist SPD-Mitglied

Das Firmenauto darf er auch privat nutzen. Seine Frau hat einen Minijob als Reinigungskraft. „Der Umgang mit Menschen hat mir schon immer Spaß gemacht. Und ich möchte etwas wiedergeben, was ich hier bekommen habe“, sagt Kasa mit Blick auf sein Wirken in der Altenpflege, als Flüchtlingshelfer und seine Unterstützer.

Einer davon, ein Rechtsanwalt, ist inzwischen ein guter Freund geworden. Man sei wie eine Familie, lade sich zum Beispiel gegenseitig zum Essen ein. Ohnehin habe er die meisten Kontakte zu Einheimischen. Kasa ist voll integriert. „Ich fühle mich nicht als Gast, sondern in erster Linie als Bürger.“ Im Glinder Flüchtlingshilfeverein mit seinen 35 Mitgliedern ist der Eritreer seit 2016 Jahren aktiv. Er beherrscht sechs Sprachen, darunter Englisch und Arabisch. Das prädestiniert ihn als Übersetzer. Aber er hilft den Flüchtlingen auch beim Ausfüllen von Dokumenten, ist beim Kennenlerntreff des Vereins dabei. Dieser ist immer sonntags von 17 bis 19 Uhr im Gemeinschaftshaus am Willinghusener Weg gegenüber der evangelischen Kirche.

Kasa ist politisch interessiert und der SPD beigetreten. Auch hat er ein Faible für Geschichte. Eine Kundin, die 101 Jahre alt ist, erzähle ihm viel vom Zweiten Weltkrieg. Seine neue Aufgabe als Schatzmeister ist für den Glinder zugleich ein Warmlaufen für weitere ehrenamtliche Tätigkeiten. Er plant zu einem späteren Zeitpunkt die Gründung eines Vereins, der Kinder in Äthiopien unterstützt.