Bargteheide. Tumulte bei Sondersitzung der Stadtvertretung in Bargteheide. Warum viele Zuhörer den Saal empört vorzeitig verlassen haben
Von zornigen Zwischenrufen und demonstrativer Abkehr wurde am Mittwochabend die Sondersitzung der Stadtvertretung Bargteheide zur Flüchtlingsunterbringung begleitet. Noch vor Ende der Zusammenkunft verließen viele Zuhörer in Scharen die Aula der Dietrich-Bonhoeffer-Schule und brachten so ihren Protest gegen den Bau einer Notunterkunft in unmittelbarer Nähe zur Waldorfschule an der Alten Landstraße zum Ausdruck.
Bargteheide kann Zuweisungen nicht mehr ablehnen
Wie bereits berichtet, steht die Stadt bei der Unterbringung Geflüchteter unter besonderem Druck. Wegen fehlender Kapazitäten konnten in der Vergangenheit 58 vom Kreis zugewiesene Personen nicht untergebracht werden. „Die Kreisverwaltung hat klargestellt, dass Bargteheide neue Zuweisungen nicht mehr ablehnen kann, dieser Situation müssen wir uns nun stellen“, so Bürgermeisterin Gabriele Hettwer.
Da sich der Zubau auf dem Gelände der bereits bestehenden Flüchtlingsunterkunft am Haferkamp für 24 Personen noch bis ins Frühjahr 2024 verzögern werde, müsse die Kleine Sporthalle der Bonhoeffer-Schule im Schulzentrum nun aller Voraussicht nach doch belegt werden. Dort stehen zwar bis zu 40 Plätze zur Verfügung. Nach übereinstimmender Ansicht von Stadtverwaltung und Kommunalpolitik sei die Notunterkunft für eine dauerhafte Belegung wegen der räumlichen Enge, fehlender Intimsphäre und Schwierigkeiten bei der Integration der Geflüchteten jedoch nicht geeignet.
26 weitere Flüchtlinge bis zum Jahresende erwartet
Bargteheide hat bislang insgesamt 287 Asylbewerber, Flüchtlinge aus der Ukraine und Obdachlose aufgenommen und sie in der Regel dezentral untergebracht. Dafür sind unter anderem rund 40 Wohnungen angemietet worden. „Uns liegt zwar ein weiteres Mietangebot mit Platz für 16 Personen für ein Jahr vor. Das wird allerdings nicht ausreichen, da uns vom Kreis bis zum Jahresende voraussichtlich noch weitere 26 Flüchtlinge zugewiesen werden“, berichtete Hettwer.
Die Stadt bemühe sich zwar weiter intensiv um die Anmietung anderer Unterkünfte. Wegen der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt werde das aber immer schwieriger. „Absehbar müssen wir zeitnah mehr als 80 Geflüchtete aufnehmen. Deshalb werden wir um den Bau mindestens einer Gemeinschaftsunterkunft nicht herumkommen“, erklärte die Bürgermeisterin.
Stadt hat sechs verschiedene Protenzialflächen benannt
Die Stadtverwaltung hatte deshalb zur Sondersitzung der Stadtvertretung eine neunseitige Vorlage zu möglichen Standorten auf städtischen Flächen vorgelegt. Darin tauchte auch wieder das Grundstück der Villa Wacker An den Stücken unweit des Bahnhofs auf. Allerdings diesmal nicht die Villa selbst, sondern der Park im rückwärtigen Bereich. Wo ähnliche Gebäude denkbar wären wie am Haferkamp.
Weitere Flächen befinden sich in Baulücken am Erich-Kästner-Weg, am Fischbeker Weg/Am Krögen, auf Grünflächen zwischen dem Friedhof und der Pferdeklinik nördlich der Alten Landstraße, sowie auf einer Grünfläche an der Ostpreußenstraße. Und jenes Areal nördlich des Neubaus der Waldorfschule, auf der schon ein größerer Containertrakt steht.
Notwendige Versorgungsleitungen sind schon vorhanden
Die Verwaltung hat keinen Zweifel daran gelassen, dass sich diese Fläche am ehesten für die rasche Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft eignen würde. „Vor allem, da die notwendigen Ver- und Entsorgungsleitungen auf dem Grundstück bereits vorhanden sind“, so Sven Dutschmann vom Fachbereich Bau und Liegenschaften.
Um die vorhandene Fläche maximal zu nutzen, seien zwei Containeranlagen in zweigeschossiger Bauweise denkbar. Dafür müsse lediglich ein neues Fundament gelegt werden, da sich die bisherige Gründung auf Gehwegplatten für eine Aufstockung nicht eigne. In der angedachten Dimensionierung könnten nach ersten Schätzungen bis zu 96 Schutzsuchende Platz finden und das Defizit bei der Unterbringungsquote aufgelöst werden.
Grüne favorisieren den Park hinter der Villa Wacker
Diesen Argumenten mochten sich alle Fraktionen bis auf die Grünen nicht verschließen. „Unserer Ansicht nach sollte zuerst die Parkfläche hinter der Villa Wacker bebaut werden“, sagte Fraktionsvize Thomas Fischer. Sie liege deutlich näher zum Stadtzentrum, was auch die Integration der Geflüchteten erleichtere. Allerdings sollten hier keine festen Gebäude vorgesehen werden, sondern Containerbauten. Um diese nach dem Rückgang der Flüchtlingszahlen zum Erhalt des vorhandenen Grüngürtels wieder zurückbauen zu können. „Besonders wichtig ist uns aber, dass die Bürger in diesem ganzen Prozess mitgenommen werden müssen“, appellierte Fischer.
Genau an diesem Satz entzündete sich dann aber der Unmut weiter Teile der etwa 50 Zuhörer im Auditorium. Weil Bürgervorsteherin Cornelia Harmuth nach dem Einstieg in die Beratung der Stadtvertreter satzungsgemäß keine Fragen aus dem Publikum mehr zulassen wollte, regte sich lautstarker Protest aus den dichtgefüllten Reihen.
Standort befindet sich zwischen zwei Schulen
Wie es denn sein könne, dass von Stadtverwaltung und Kommunalpolitik ausgerechnet eine Fläche zwischen zwei Schulen – gemeint sind offenbar die Waldorfschule und die Johannes-Gutenberg-Schule – favorisiert werde, wurde etwa gefragt. „Das Wohl der Kinder spielt bei den Überlegungen offenbar gar keine Rolle, obwohl der Schutz von Bildungseinrichtungen sogar im Baurecht verankert ist“, rief ein aufgebrachter Vater.
Das dogmatische Festhalten an der Geschäftsordnung der Stadtvertretung erwies sich im konkreten Fall einmal mehr als heikel und nicht zielführend. „Es kann doch nicht sein, dass nach der Diskussion der Kommunalpolitiker keine Fragen aus dem Publikum mehr zugelassen werden. Wie sollen die Bürger mit solch einer Verfahrensweise denn mitgenommen werden?“, echauffierte sich ein Mann, der dem Gremium anschließend wie Dutzende anderer Zuhörer empört den Rücken kehrte.
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Bis auf eine Gegenstimme und eine Enthaltung aus dem Lager der Grünen wurde der Errichtung einer Gemeinschaftsunterkunft mit zwei zweigeschossigen Containerbauten an der Waldorfschule letztlich zugestimmt. Die Bürgermeisterin wurde zudem ermächtigt, alles in allem 2,2 Millionen Euro aus dem Haushalt umzuschichten und auch Personalkapazitäten umzulenken.
Norbert Muras, Fraktionschef der Wählergemeinschaft WfB, erinnerte noch daran, dass sich die Einwohnerzahl Bargteheides nach dem Zweiten Weltkrieg schlagartig auf mehr als 6700 Einwohner verdoppelt hatte, weil die Stadt 3382 Vertriebene und Evakuierte aufgenommen hatte. Doch das ging an diesem Abend in der Bonhoeffer-Schule im allgemeinen Trubel unter.