Ahrensburg. Bürgermeister forderten Überlastungsanzeige vom Kreis. Landrat schreibt mit Amtskollegen Brandbrief an Sozialministerin Touré.

Die Flüchtlingssituation spitzt sich zu – nicht nur auf der italienischen Mittelmeerinsel Lampedusa, wo zuletzt binnen drei Tagen 8500 Migranten in 199 Booten Zuflucht suchten. Auch im Kreis Stormarn, wo zuletzt mehrere Kommunen erhebliche Probleme mit der Unterbringung von Flüchtlingen an die Kreisverwaltung meldeten. Laut Abendblatt-Informationen sollen sich die Bürgermeister mehrerer Städte, darunter Ahrensburg, Bad Oldesloe und Reinfeld, an Landrat Henning Görtz gewandt haben mit der Bitte um eine offizielle Überlastungsanzeige gegenüber dem Landesamt für Zuwanderung und Flüchtlinge Schleswig-Holstein. Diesem Wunsch sei er aber nicht nachgekommen.

Unterbringung von Flüchtlingen: Unmut und Frust in den Rathäusern wächst

„Vollkommen klar ist, dass die Zahl der Unterkünfte für Geflüchtete in den Kommunen nicht beliebig gesteigert werden kann“, sagte Görtz dieser Redaktion. Das sei aber ein Problem, das alle Städte und Gemeinden landauf, landab hätten. „Wenn Stormarn per Überlastungsanzeige jetzt aber weitere Zuweisungen abwehren würde, müssten andere Kreise und kreisfreie Städte diese Menschen aufnehmen. Und das wäre nicht solidarisch“, so Görtz.

Stormarns Landrat Henning Görtz (CDU) ist jetzt auch neuer Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Landkreistags.
Stormarns Landrat Henning Görtz (CDU) ist jetzt auch neuer Vorsitzender des Schleswig-Holsteinischen Landkreistags. © dpa | Marcus Brandt

Seiner Ansicht nach habe darüber bei der jüngsten Bürgermeisterrunde mit ihm in der Kreisverwaltung auch Konsens bestanden. Dennoch scheinen Unmut und Frust in den Verwaltungen von Städten und Gemeinden kontinuierlich zu wachsen. „Nach meinem Eindruck waren wir uns beim letzten Treffen mit dem Landrat einig, dass auf Landesebene nicht ansatzweise wahrgenommen wird, wie schwierig die Lage in den Kommunen mittlerweile ist“, sagt etwa Ahrensburgs Bürgermeister Eckart Boege.

Land hat Ausbau von Unterkünften vernachlässigt

Schon im Vorjahr habe es die Forderung gegeben, die Kapazitäten der Landesunterkünfte deutlich auszubauen. Wie man aktuell sehen könne, sei das aber nicht annähernd in der erforderlichen Größenordnung geschehen. „Das führt nun dazu, dass die Kommunen im Oktober zu den ohnehin konstant hohen Zuweisungen noch zusätzliche Flüchtlinge unterbringen müssen“, erklärt Boege. Für viele Kommunen sei das jedoch kaum noch zu bewältigen, trotz eines hohen Engagements auf allen Ebenen.

„Es ist eine Tatsache, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge erreicht sind. In Reinfeld, wie in vielen anderen Kommunen auch, steht kaum noch Wohnraum zur Verfügung“, sagt auch Roald Wramp, Bürgermeister der nördlichsten Stadt im Kreis. Neue Kapazitäten zu schaffen, sei ohne Neubauten nicht möglich. Solche Vorhaben bräuchten jedoch einen Vorlauf von mindestens einem Jahr und dürften angesichts der angespannten Lage auf dem Bausektor ohnehin schwierig umzusetzen sein.

Komprimierung der Belegung ist einziger Ausweg

„Deshalb ist eine Komprimierung innerhalb bestehender Unterkünfte der einzige Ausweg“, so Wramp. Wenn dort aber noch mehr Personen untergebracht würden als bisher, bedeute das immer weniger Platz für den Einzelnen. Das würde nicht nur das Konfliktpotenzial steigern und die Integration der Geflüchteten zusätzlich erschweren, sondern absehbar auch die Akzeptanz in der Bevölkerung gefährden.

Momentan hat die Stadt 147 belegte Unterkunftsplätze. Bei Verdichtungen sei die Schaffung von maximal bis zu 30 weiteren Plätzen möglich, schätzt Wramp. Außerdem führe die Stadt gerade Verhandlungen zu einem Objekt, in dem möglicherweise fünf bis zehn Personen untergebracht werden könnten. Dann seien aber alle momentan denkbaren Optionen wirklich ausgereizt.

Aufmahmekapazitäten sind nahezu erschöpft

Auch in Bad Oldesloe sind alle Aufnahmekapazitäten nahezu vollständig erschöpft. In der Gemeinschaftsunterkunft (GU) Sandkamp sind alle 50 Plätze belegt, in der GU Kastanienallee sind es 93 von 112 Plätzen. Die verbleibenden 19 wurden indes für bereits angekündigte Aufnahmen bis Ende September vorgemerkt.

108 Geflüchtete wurden von der Stadt mit Wohnraum in angemieteten Einzelhäusern und Wohnungen versorgt. Außerdem sind Klassenräume in der Schule am Kurpark speziell für ukrainische Flüchtlinge eingerichtet worden und sollen diesen auch vorbehalten bleiben .„Die Stadt prüft indes schon die Anmietung weiterer Einzelobjekte“, sagt Fachbereichsleiter Thomas Sobczak. Vier weitere Objekte befänden sich derzeit in der Vorbereitung für die Belegung. Sie sollen aber schwerpunktmäßig die Gemeinschaftsunterkünfte durch entsprechende Umzüge entlasten.

Jugendherberge soll Flüchtlingsunterkunft werden

Zudem hat die Stadtverordnetenversammlung bereits Mitte Februar dieses Jahres die Errichtung von zwei weiteren Gemeinschaftsunterkünften in konventioneller Bauweise beschlossen. Bis diese fertiggestellt sind, soll die Jugendherberge ab November dieses Jahres temporär zur Flüchtlingsunterbringung genutzt werden. „Die genaue Aufnahmekapazität steht noch nicht fest“, berichtet Sobczak.

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Unterdessen hat Stormarns Landrat Henning Görtz im Verbund mit anderen Landräten und Oberbürgermeistern sowie Vorständen des Gemeindetags, des Landkreistags und des Städteverbands Schleswig-Holsteins Anfang der Woche einen Brandbrief an Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) geschrieben, der ausdrücklich als „gemeinsame Überlastungsanzeige“ deklariert worden ist.

Akzeptanz für Aufnahme von Flüchtlingen schwindet

Darin schilderten die 18 Unterzeichner ihre Sorge, der gesellschaftliche Zusammenhalt und die Akzeptanz für die Aufnahme von Geflüchteten schwinde, wenn sich die Entwicklung der letzten Monate unverändert fortsetze. Wörtlich heißt es: „Der Problemdruck bei der Unterbringung, Versorgung und Integration von geflüchteten Menschen vor Ort wächst stetig. Viele Kommunen befinden sich seit Monaten im Notfallmanagement und wissen nicht mehr, wie sie eine menschenwürdige Unterbringung einschließlich der sozialen Betreuung gewährleisten können.“

Die Lage in den Kommunen sei längst dramatisch. Es würden „an allen Ecken und Enden“ sowohl die finanziellen als auch die sächlichen und personellen Ressourcen fehlen, um die Lage in den Griff zu bekommen. Angesichts dieser Situation sei es kontraproduktiv, die Vorlauffrist für Zuweisungen von Geflüchteten nun auch noch von vier auf drei Wochen zu verkürzen.