Barsbüttel. 15 Flüchtlinge aus sechs Ländern helfen beim Aufbau, Packen und Verteilen der Lebensmittel. Warum ihr Engagement so wichtig ist.

Am Mittwochmorgen um kurz vor 9 Uhr zieht Mahammd Abu Alkher eine Sackkarre aus dem Kühlcontainer, dessen Temperatur 8,2 Grad beträgt. Er hat ein halbes Dutzend schwarze Kisten darauf gestapelt, gefüllt mit Obst und Gemüse. Die nächste Ladung steht schon bereit, diesmal Schokoladenpudding. Der 26-Jährige schiebt die Lebensmittel über einen Gehweg wenige Meter weiter zum Barsbütteler Jugendzentrum an der Straße Am Akku, wo die Tafel unter dem Vordach Waren ausgibt. Bedürftige werden erst drei Stunden später versorgt, aber die Vorbereitung verschlingt einiges an Zeit. Der Syrer ist einer von 15 Flüchtlingen, die hier mitanpacken und sich ehrenamtlich engagieren. „Sie sind unverzichtbar“, sagt Beate Hoffmann, Vorsitzende des Vereins mit seinen 65 Helfern.

Die eingebundenen Migranten kommen auch aus Afghanistan, Irak, Iran, Jemen und der Ukraine. „Ohne die Flüchtlinge wären wir in der Pandemie aufgeschmissen gewesen. Da sie alle wesentlich jünger sind als die meisten deutschen Helfer, standen sie weiter zur Verfügung, als viele Mitstreiter aus Sicherheitsgründen ihren Einsatz unterbrachen oder ganz aufhörten“, sagt Schriftführerin Angelika Neumann. Darüber hinaus seien sie in der Regel körperlich fit, könnten Kisten schleppen und andere körperlich eher anstrengende Arbeiten erledigen, die den meist älteren Ehrenamtlern oft zusehends schwerer fielen.

Tafelchefin ist auch Integrationspatin in Barsbüttel

Abu Alkher ist seit 2017 bei der Tafel. „Hier habe ich Gesellschaft, kann Verbindungen knüpfen und etwas Gutes für andere Menschen tun“, sagt der junge Mann, der nahezu perfekt Deutsch spricht. Er hatte zuletzt zwei Jahre in der Gastronomie gearbeitet, möchte jetzt eine Ausbildung zum Mechatroniker machen. Sein Einsatz für das Gemeinwohl geht über die Tätigkeit im Verein hinaus. Er ist Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr, will auf Sicht an Einsätzen teilnehmen. „Ich bin gerade in der Grundausbildung, am 4. November beginnen die Abschlussprüfungen.“

Tafel-Schriftführerin Angelika Neumann (l.) und die Vorsitzende Beate Hoffmann.
Tafel-Schriftführerin Angelika Neumann (l.) und die Vorsitzende Beate Hoffmann. © René Soukup | René Soukup

Dass er schon so lange bei der Tafel mitwirkt, daran hat Hoffmann einen großen Anteil. Die 63 Jahre alte Rentnerin, früher beruflich als Bankkauffrau aktiv, ist auch Integrationspatin in Barsbüttel. Abu Alkher ist einer ihrer ersten Schützlinge gewesen. Sie hat ihn Deutsch gelehrt und eine Mitarbeit schmackhaft gemacht. Inzwischen ist der Syrer jede Woche an zwei Tagen am Start. Dienstags als Beifahrer, wenn die ersten Supermärkte abgeklappert werden, sowie mittwochs am Tag der Essensausgabe. Die ist von 12 bis 14 Uhr, manchmal dauert es auch eine halbe Stunde länger.

Derzeit werden 459 Menschen mit Lebensmitteln versorgt

Denn die Zahl der Bedürftigen ist rasant gestiegen. Anfang 2022 versorgte man noch 230 Personen, am Ende des Jahres waren es 350. Aktuell sind es 459 Menschen, davon 277 Erwachsene und 182 Kinder. Ein Aufnahmestopp wie bei anderen Tafeln ist nicht verhängt. „Wir balancieren an der Grenze, benötigen aber zusätzliche Helfer bei der Ausgabe und Fahrer“, sagt Hoffmann. Aktuell seien acht Kundennummern frei. Mit den Lebensmittelspenden von Supermärkten, Bäckereien und einem Frucht- und Obsthändler aus Billbrook kommt man hin. Kaffee und Tee sind immer rar. Waren werden auch mit anderen Tafeln getauscht, dazu zählt jene in Trittau.

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Rund 1500 Kilo Lebensmittel holen die Fahrer jede Woche an unterschiedlichen Standorten ab, pro Tour werden 60 Kisten im Fahrzeug untergebracht. Am Ausgabetag sind rund 30 Ehrenamtler im Jugendzentrum. Wer von ihnen selbst bedürftig ist, darf zuerst Einkaufen und muss nichts zahlen. Für die normalen Kunden gilt: zwei Euro Gebühr für eine Person sowie drei Euro ab einem Zwei-Personen-Haushalt. Hoffmann berichtet von Migranten, die inzwischen einen Job haben und selbst während der Urlaubszeit unterstützen.

Irakerin setzt im Job am Mittwoch aus wegen Tafelarbeit

Nawal Rageb kommt aus dem Irak und arbeitet bei einer Glinder Firma im handwerklichen Segment. Ihr Chef würde sie gern in Vollzeit sehen. Der 45-Jährigen liegt jedoch sehr viel an der Tafel. Deswegen ist sie nur montags, dienstags, donnerstags und freitags im Unternehmen, hat eine 32-Stunden-Woche. „Es ist unheimlich schön, hier mit Freunden zu arbeiten. Die Unterhaltung mit ihnen ist mir sehr wichtig“, sagt die Mutter von vier Kindern. Sie hat das Sprachniveau B1. Das bedeutet: fortgeschrittene Kenntnisse. Für andere Flüchtlinge übersetzt sie inzwischen genauso wie Mahammd Abu Alkher. Rageb wird als Springer eingesetzt, packt dort an, wo es nötig ist. Sie beginnt an diesem Tag um 9 Uhr und bleibt bis zum Ende.

Am Mittwoch um 9 Uhr und damit drei Stunden vor der Ausgabe sind Tüten bereits mit Salami und Pute gefüllt. 
Am Mittwoch um 9 Uhr und damit drei Stunden vor der Ausgabe sind Tüten bereits mit Salami und Pute gefüllt.  © René Soukup | René Soukup

Der Frau ist anzumerken, wie wohl sie sich fühlt in der Umgebung von Hoffmann und all den Ehrenamtlern. Sie hat jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. „Wir können durch die Einbindung der Menschen zur Integration beitragen, entwickeln selbst mehr Verständnis für andere Verhaltensweisen“, sagt Angelika Neumann. Drei Stunden vor der Warenausgabe ist Rageb mit dem Sortieren beschäftigt. In einem Raum des Jugendzentrums sind Dutzende Tüten aneinandergereiht und vorgepackt mit Salami und Pute. Obst, Gemüse und Brot gibt es draußen. Helfer haben dafür Tische aufgebaut, auf denen blaue Kisten platziert sind, wo die Sachen hineinkommen. Aus hygienischen Gründen dürfen Kunden nicht zugreifen. Sie zeigen an, was sie haben möchten.

Es gibt einen Stand mit Haushaltswaren und Textilien

Maram Kassouha packt an diesem Morgen Salate in eine Box unter dem Vordach. Sie ist vor elf Monaten allein aus Damaskus nach Deutschland gekommen, hat in Syrien als Bauingenieurin gearbeitet. Seit dem Frühjahr unterstützt sie die Tafel. „Ich lerne hier auch die Sprache, verstehe fast alles, nur das Antworten kann ich noch nicht so gut“, sagt die 48-Jährige. Chefin Hoffmann erzählt, manchmal verständige man sich auch mit Händen und Füßen. Irgendwie klappe es immer, dass jeder wisse, was zu tun sei.

Sie selbst kam 2015 zur Tafel und steht seit 2019 an deren Spitze. Mit Angelika Neumann und den anderen Vorstandsmitgliedern hat Hoffmann einiges bewegt, zum Beispiel Fördermittel eingeworben während der Pandemie und auch danach. „Wir haben von der Aktion Mensch fast 50.000 Euro bekommen. Das Geld wurde in Gutscheine umgewandelt in Höhe von zehn, 20 und 30 Euro. Diese sind während der Corona-Schließzeiten an Kunden verteilt worden für den Supermarktbesuch“, so die Vorsitzende. Jüngster Clou: Das neue Tafelauto, im März geliefert, hat einen Wert von 80.000 Euro. Mercedes verkaufte es der Tafel für 49.000. Dafür musste ein Antrag gestellt werden. Stiftungen und Einzelpersonen steuerten Geld für den Erwerb bei. Die Barsbütteler Tafel hat drei Fahrzeuge.

Sie beschränkt sich übrigens nicht nur auf die Ausgabe von Lebensmitteln. Auf der Rückseite des Jugendzentrums ist an diesem Tag ein kleiner Stand aufgebaut. Darauf liegen Haushaltswaren und Textilien, zum Beispiel Hosen und Pullover, aber auch Schuhe sowie Handtaschen.