Trittau. Alle neun Ausgabestellen sind gezwungen, ihren Betrieb einzustellen. Ein Großteil der ehrenamtlichen Helfer gehört zur Risikogruppe.

„Wir verbrauchen jetzt die eisernen Reserven“, sagt Ingrid Fischer, während sie Salat in eine Kiste einsortiert. Die Zweite Vorsitzende der Trittauer Tafel und zehn weitere ehrenamtliche Helfer des Vereins haben an diesem Tag viel zu tun. Sie stellen Gemüse für den Verkauf bereit, putzen frisches Obst oder holen weitere Lebensmittel aus den Lagerräumen der Einrichtung. „In etwa zwei Stunden erscheinen die Kunden“, sagt die 63-Jährige. „Zum vorerst letzten Mal.“ Bis mindestens zum 19. April bleibt die Ausgabestelle in der Gemeinde geschlossen. Das Coronavirus verhindert einen weiteren Betrieb.

400 der 949 Tafeln in Deutschland haben geschlossen

So wie der Einrichtung an der Großenseer Straße ergeht es derzeit vielen weiteren Tafeln – bundes-, landes- und kreisweit. Rund 1,6 Millionen Menschen sind in Deutschland auf die gemeinnützigen Vereine angewiesen. 60.000 Helfer in der Bundesrepublik kümmern sich für gewöhnlich darum, dass einkommensschwache Haushalte die Unterstützung erhalten, die sie so dringend benötigen. Ein Dienst an der Gesellschaft, den das Virus nun vielerorts unterbricht – nach Angaben des Dachverbandes der Deutschen Tafeln haben rund 400 der 949 Mitgliedstafeln ihre Lebensmittelausgabe eingestellt. 36 in Schleswig-Holstein.

Viele weitere dürften hinzukommen. Denn die gemeinnützigen Vereine haben ein Problem, das zu dieser Zeit besonders schwer wiegt: „Die Tafel-Arbeit wird von älteren Menschen getragen“, sagt Jochen Brühl, geschäftsführender Vorstand der Tafel Deutschland. Bundesweit gehören rund 90 Prozent der Engagierten aufgrund ihres Alters zur Corona-Risikogruppe. „Die Unterstützung, die sie leisten, kann jetzt auch zur Gefahr für die Gesundheit werden.“

Das Risiko einer Ansteckung sei für die Verein zu groß

Holger Peters (l.) und Holger Pruß von der Ahrensburger Tafel stehen vor den leeren Regalen in der Ausgabestelle an der Großen Straße.
Holger Peters (l.) und Holger Pruß von der Ahrensburger Tafel stehen vor den leeren Regalen in der Ausgabestelle an der Großen Straße. © Filip Schwen

Auch in Stormarn führt die Altersstruktur der Tafel-Ehrenamtlichen zur Schließung der Einrichtungen. Sechs Tafel-Vereine gibt es im Kreis. Mehrmals pro Woche verteilen sie an insgesamt neun Ausgabestellen Lebensmittel an rund 4900 Bedürftige. 400 Helferinnen und Helfer ermöglichen diesen Service, den die Vorsitzenden der verschiedenen Vereine jetzt einstellen mussten.

„Auf diese Situation sind wir einfach nicht vorbereitet“, sagt Holger Pruß, der Erste Vorsitzende der Ahrensburger Tafel, deren 170 Helferinnen und Helfer nicht nur in der Schlossstadt sondern auch in Ammersbek, Bargteheide, Großhansdorf und Hamburg-Rahlstedt Lebensmittel an arme Menschen verteilen. „Jetzt sind unsere Ausgabestellen allerdings bis mindestens Ende März geschlossen.“ Dem Vorstand sei keine andere Wahl geblieben. „Bestimmt 80 Prozent unserer Helfer sind älter als 60. Das Risiko, uns selbst oder die vielen bedürftigen Menschen anzustecken, die zu uns kommen, ist einfach viel zu groß.“

Enge Räume stellen in Corona-Krise Problem dar

Die Infektionsgefahr steigt auch dadurch, dass in den Räumen der Stormarner Tafeln nur wenig Platz ist. Die Lebensmittelausgaben in den Kommunen spielt sich folglich auf engstem Raum ab. In Trittau stehen sich Ingrid Fischer und die anderen Helfer am letzten Tag der Tafel-Öffnung etwa oftmals im Weg, berühren sich auch mal, während sie die Lebensmittel für die Ausgabe vorbereiten. Was für gewöhnlich keine Komplikation bedeutet, stellt in der Corona-Krise plötzlich ein Novum dar. „Unsere Kunden dürfen die Räume heute daher nur einzeln betreten“, so Fischer. Die Ausgabe verzögere sich dadurch stark. „Aber anders geht es nicht.“

Wie rasch das Coronavirus um sich greifen kann, hat jüngst die Reinfelder Tafel erlebt, deren Trägerverein die evangelische Kirche ist. Der Vorstand plante ursprünglich, die noch übrigen vorrätigen Lebensmittel an den letzten beiden Ausgabeterminen in der vergangenen Woche herauszugeben. Weil bekannt wurde, dass eine der Helferinnen einen Covid-19-Fall in der Familie hat, ist daraus nichts geworden. Der Verein stellte seinen Betrieb mit sofortiger Wirkung und auf unbestimmte Zeit ein.

Die Oldesloer Tafel hat seit vergangenem Mittwoch zu

Christine von Dombrowski arbeitet seit 15 Jahren bei der Oldesloer Tafel und ist dort stellvertretende Leiterin. 
Christine von Dombrowski arbeitet seit 15 Jahren bei der Oldesloer Tafel und ist dort stellvertretende Leiterin.  © Eileen Meinke

„Das hat uns gezeigt, wie schnell es gehen kann“, sagt Pastorin Christina Duncker. Laut der Reinfelderin sind ungefähr 354 Personen aus der Umgebung auf das Angebot der Tafel angewiesen. Unter ihnen 110 Kinder. „Das, was unsere Ehrenamtlichen diesen Menschen ermöglichen, fällt jetzt komplett weg“, so Duncker. „Da hängen viele einkommensschwache Familien dran.“ Aber auch für die gemeinnützige Einrichtung, die sich überwiegend durch Spenden finanziere, sei die Situation eine Katastrophe. „Wir denken jetzt von Tag zu Tag“, sagt die Pastorin.

Ähnliches gilt auch in der Kreisstadt. Die Oldesloer Tafel hat seit vergangenem Mittwoch geschlossen. „Vorerst bis Ostern“, sagt Leiterin Christine von Dombrowski. Ein Weitermachen sei nicht vertretbar. „Die meisten unserer 60 Ehrenamtlichen sind im Rentenalter.“ Seit 15 Jahren kümmert sich von Dombrowski um die Belange der Einrichtung. Deren Türen habe sie noch nie länger als einige Tage schließen müssen. „Wenn es mal eng wurde, riefen wir stets erfolgreich zur Hilfe auf“, sagt sie. Jetzt sei der Betrieb aber einfach nicht länger möglich. „So eine Situation habe ich noch nicht erlebt.“

Den gemeinnützigen Vereinen fehlen jetzt Einnahmen

Auch die anderen beiden Tafeln im Kreis sind seit vergangener Woche dicht: Der Verein in Glinde hat seine Einrichtung vorerst bist Ende dieses Monats geschlossen, der in Barsbüttel bis zum 19. April. Wie überall in Stormarn stellen diese Maßnahmen nicht nur die Kunden der Tafel, sondern auch die Vereine selbst vor Probleme. Kosten für Miete, Versicherung oder Fahrzeuge laufen weiter, während Einnahmen durch Spenden sinken und die symbolischen Beträge, die Nutzerinnen und Nutzer für die Lebensmittel zahlen, ganz ausbleiben. Jochen Brühl von der Tafel Deutschland sagt: „Wir erwarten, dass die Politik unsere gemeinnützige Organisation jetzt unterstützt, um langfristige Schließungen der Tafeln zu verhindern.“

Auch Ingrid Fischer und die anderen Trittauer Helfer hoffen auf das, was sie seit Jahrzehnten selbst schaffen: Unterstützung. Rund zwei Stunden bevor sie ein vorerst letztes Mal einkommensschwachen Kunden Lebensmittel bereitstellt, sagt die 63-Jährige: „Die kommenden Wochen werden sicherlich eine unglaublich schwierige Zeit. Wenn die Krise vorbei ist, fangen wir bei null an.“

Wer die Arbeit der Tafeln unterstützen will, findet auf den Internetseiten der Vereine Spendenkonten. Für Trittau etwa unter www.trittauer-tafel.de.