In unserer Serie treffen wir Menschen aus Stormarn auf ihrer Lieblingsbank. Heute ist es Hans-Werner Müller. Er ist seit neun Jahren Rentner - und leitet zwei Kioske.
Bargteheide. Wer Hans-Werner Müller nach seinem Beruf fragt, muss schon ein bisschen Zeit mitbringen. Denn mit einem einzigen Wort wie beispielsweise "Kioskbetreiber" ist es bei ihm nicht getan. Steinmetz, Bildhauer, Bergmann, Mitarbeiter in der Hamburger Umweltbehörde, Getränkemarktbesitzer und Hotelier. Es sprudelt nur so aus dem Bargteheider heraus.
"Ich war auch dabei, als der Tunnel für die Hamburger U-Bahn von Messberg Richtung Große Allee gebaut wurde. Im Akkord. Das war hart, aber ganz gut bezahlt", sagt Müller. Und so wie er das erzählt, ist ganz klar: Das ist längst noch nicht alles, was dieser Mann in seinem Leben angepackt hat. "Ich wollte nicht stempeln gehen", sagt er. So einfach ist das für ihn.
Stutzig könnte einen schon das Alter machen. "Ich bin 72", sagt der Bargteheider und guckt dabei, als wollte er sagen: "Na und! Was ist schon dabei!"
Mit 72 Jahren morgens um 4.15 Uhr den Kiosk aufzuschließen, ist allerdings so normal nun auch wieder nicht. Sonnabends ist ab 7 Uhr geöffnet. Nur sonntags darf er ausschlafen. Da geht es erst um 8 Uhr los. Jahraus. Jahrein. 365 Tage. "Vorher waren wir in der Bahnhofshalle. Da wurden wir rausgeekelt", erzählt Müller, der sich damals furchtbar darüber ärgerte. Aber das Ende war es für ihn natürlich nicht. Müller zog um. Mit seinen Angestellten und mit Sack und Pack ging es in die Bahnhofstraße. "Jetzt sind wir ungefähr ein Jahr hier. Und das ist super. Wir haben mehr Platz als vorher. Hier fangen wir auch wieder in aller Frühe an. Um 20.15 Uhr machen wir dicht. "
Wenn Hans-Werner - wie ihn seine vielen Stammkunden kumpelhaft nennen - um 23 Uhr ins Bett fällt, hat er meist zwölf, manchmal sogar bis zu 17 Stunden Arbeit hinter sich. Denn mit dem Verkauf im Kiosk allein ist es nicht getan. Der 72-Jährige liefert Getränke nach Hause und kümmert sich um Feiern jeder Art. Präsentkörbe? Anruf genügt. Müller: "Ich bin eben ein Dynamiker. Wenn ich mit der Arbeit aufhöre, ist alles vorbei."
Ans Aufhören denkt er daher lieber nicht. Im Gegenteil. Vor zwei Jahren, mit knackigen 70 Jahren, hat Müller noch den Kiosk am Bargteheider Freibad übernommen. Jetzt pendelt er im Schichtdienst immer zwischen dem Bad und dem Bahnhof hin und her. Versteht sich, dass sein Handy stets auf Empfang und er oft im Stress ist.
Wenn Hans-Werner Müller auf seinen Kiosk an der Bahnhofstraße zueilt, grüßt er nach links und rechts, ruft Autofahrern ein "Hallo" zu und hält für einen Klönschnack mal kurz an. "Ich bin bekannt wie ein bunter Hund", sagt der drahtige Mann mit der leicht heiseren Stimme, der sich nicht nur ums Geldverdienen gekümmert hat. Müller war viele Jahre Stadtvertreter und hat in den Ausschüssen mitgearbeitet. "Bis zum letzten Jahr war ich noch SPD-Ortsvorsitzender."
Bis vor kurzem hat er auch den Preisskat organisiert und mit seinen Parteifreunden gezockt. Die Abende müssen schließlich auch ausgefüllt sein. Aber das ist jetzt vorbei. Schließlich sind da noch seine Ehefrau, die fünf Kinder, die zwei Enkel und die Nichten.
Hans-Werner Müller wirkt wie der klassische Selfmade-Man nach amerikanischem Muster. Gelernt hat er mal Steinmetz und Bildhauerei. Aber weil er arbeitslos war und seine Brötchen nicht verdienen konnte, machte er sich auf den Weg Richtung Süden und stieg im Ruhrgebiet in die Tiefen. "Das Arbeitsamt bot eine Stelle im Grünen Revier an. Das war Bergbau, wie sich dann herausstellte." Er verließ seine Heimatstadt Bargteheide und versuchte sein Glück.
Später ging Müller in die Umweltbehörde in Hamburg und arbeitete als Steinmetz auf dem Ohlsdorfer Friedhof. "Dann war ich etliche Jahre Personalratsvorsitzender und danach beim technischen Umweltschutz im Außendienst. Bis zu meiner Rente 1998." Von wegen Rente.
Danach rauschte er in seinem Getränkehandel richtig ran. Und zwei Teeläden - einen in Bargteheide und einen in Hamburg - gab es auch noch. Müller: "Ach ja, ein Hotel hatte ich früher auch mal. In Großensee. Das Hotel zur Krone. Kennen Sie das noch? Das lag in der berühmten Kurve. 68 Betten hatten wir."
Sich ein paar Minuten auf die Bank zu setzen, ist für den quirligen 72-Jährigen eine Herausforderung. Und dann muss er auch ganz schnell wieder los. Das Handy klingelt. "Ja, klar", ruft Müller in den Hörer. Irgendwas mit einer Warenlieferung hat nicht geklappt. Und weg ist er.