Ahrensburg. Lärmschutz, Baulogistik und Schutzgebiete sorgen für Streit bei Infoabend. Projektchefin präsentiert neue Pläne für umstrittene Brücke.

Das Informationsbedürfnis und der Unmut über die Pläne der Deutschen Bahn für die künftige S4 sind in Ahrensburg groß. Anders lässt sich der immense Andrang nicht erklären, der am Donnerstagabend im Peter-Rantzau-Haus herrschte. Der Saal des Seniorentreffs war trotz schweißtreibender Temperaturen von um die 30 Grad bis auf den letzten Stehplatz gefüllt, als S4-Gesamtprojektleiterin Amina Karam gegen 18.30 Uhr die Diskussionsrunde eröffnete.

Die Bahn hatte zum Auftakt des Planfeststellungsverfahrens für den etwa acht Kilometer langen dritten Bauabschnitt des Mega-Projektes, der von der schleswig-holsteinischen Landesgrenze bis zum Bahnhof Ahrensburg-Gartenholz reicht, zum Bürgerdialog geladen. Am Dienstag, 26. September, wird die zuständige Anhörungsbehörde, das Kieler Verkehrsministerium, die Planunterlagen öffentlich auslegen.

S4 nach Bad Oldesloe: Ahrensburg wird für zwei Jahre zur Dauerbaustelle

Bürger, Behörden und Organisationen können die Dokumente dann einen Monat lang einsehen, danach gibt es eine zweiwöchige Frist, in der Einwendungen eingereicht werden können. Diese müssen im Anschluss geprüft und beschieden werden. Die Auslageorte wird das Landesamt für Planfeststellung noch bekanntgeben, die Unterlagen sollen auf jeden Fall aber auch im Internet einsehbar sein.

S4-Arena hatte die Bahn die Informationsveranstaltung betitelt – ein passender Name, nicht nur wegen der Hitze im Saal, mit der die Anwesenden sichtlich zu kämpfen hatten. Denn viele Ahrensburger nutzten die Gelegenheit weniger, um sich zu informieren, als um ihren Frust über die Planungen zu äußern. Moderator Tim Huss musste das Publikum angesichts wiederholter Zwischenrufe mehrfach zur Ordnung rufen.

Bahn verzichtete zugunsten eines offenen Formats auf ein Podium

Zu Beginn hatten Interessierte eine Stunde Zeit, um sich an verschiedenen Ständen zu informieren. An einer Station konnten Besucher etwa die Wirkung unterschiedlicher Lärmschutzmaßnahmen in einem Simulator anhören.

Der Saal im Peter-Rantzau-Haus war zum Bersten gefüllt, als die Bahn ihre Pläne für die S4 präsentierte.
Der Saal im Peter-Rantzau-Haus war zum Bersten gefüllt, als die Bahn ihre Pläne für die S4 präsentierte. © HA | Filip Schwen

Für die anschließende Diskussion verzichtete die Bahn auf ein prominent besetztes Podium. Stattdessen gab es nach einem kurzen Eingangsvortrag und Statements von Vertretern der großen Ahrensburger Interessengruppen viel Zeit für Fragen. Man habe sich bewusst für das Arena-Modell entschieden, um in einen direkten Dialog auf Augenhöhe einzutreten, sagte Karam.

Projektchefin sorgt gleich zu Beginn für wütende Zwischenrufe

„Wir wollen die S4 nicht gegen Sie bauen, sondern mit Ihnen“, sagte die Projektchefin, betonte aber auch: „Die S4 wird kommen, weil sie vom Bund und den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein gewollt ist.“ Dafür erntete Karam den ersten wütenden Zwischenruf. „Was ist mit der Bürgerbeteiligung, wenn schon feststeht, dass die S-Bahn gebaut wird? Diese Veranstaltung können wir uns doch schenken“, empörte sich ein älterer Mann lautstark. Das Publikum applaudierte. Damit war die Grundstimmung für den Abend gesetzt.

Immer wieder wurde infrage gestellt, dass die S4 überhaupt benötigt wird. Beanstandet wurde unter anderem die gegenüber der Regionalbahn längere Fahrtzeit zum Hamburger Hauptbahnhof durch zusätzliche Stationen. Die Bahn verwies darauf, dass die Züge schon jetzt zu den Hauptverkehrszeiten voll seien, Prognosen sagten bis 2030 weiter steigende Fahrgastzahlen vorher.

Bei Lärmschutz-Expertin Janine Korczak können Interessierte die Wirkung der Wände an einem Simulator testen.
Bei Lärmschutz-Expertin Janine Korczak können Interessierte die Wirkung der Wände an einem Simulator testen. © HA | Filip Schwen

Ahrensburg lehnt bis zu sechs Meter hohe Lärmschutzwände ab

Zahlreiche Bürgerfragen drehten sich um das Streitthema Lärmschutz. Ahrensburg möchte den Bau von bis zu sechs Meter hohen Schallschutzwänden entlang der Trasse unbedingt verhindern. Diese zerstörten historische Sichtachsen in der Innenstadt und schädigten das Stadtbild massiv, so die Kritik.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die Bahn als Kompromissvorschlag neuartige Elemente präsentiert, die zu 70 Prozent durchsichtig sind. Noch befinden sich die Elemente in der Entwicklung, Ahrensburg wäre der erste Ort, in dem sie eingesetzt würden.

Chefplanerin erwartet Zulassung der transparenten Wände zum Jahresende

„Wir haben alle Prüfungen bestanden“, sagte Karam. Die Wände hätten dieselbe Schallschutzwirkung wie die herkömmlichen Modelle. „Wir gehen davon aus, dass das Zulassungsverfahren durch das Eisenbahnbundesamt vor dem Jahresende abgeschlossen sein wird.“ Zwischendurch fielen der Chefplanerin immer wieder Zuschauer ins Wort, bezichtigten Karam, die Unwahrheit zu sagen oder Fakten zu verschweigen.

Auf die Frage einer Ahrensburgerin, ob sie versprechen könne, dass die 40 Prozent teureren transparenten Wände letztlich auch wirklich in Ahrensburg eingesetzt würden, gab es von der Projektchefin „ein klares Ja“. An welchen Abschnitten der Trasse genau, dazu werde sich die Bahn mit der Stadt Ahrensburg abstimmen. „Im Gewerbegebiet macht das natürlich wenig Sinn“, sagte Karam.

Stadt werde über Jahre zur Baustelle, so die Befürchtung vieler Anwesender

Die Projektleiterin betonte noch einmal, dass ein Verzicht auf Lärmschutzwände nicht möglich sei. „Nur so können wir die rechtlich vorgeschriebenen Grenzwerte einhalten und die Menschen schützen“, sagte sie. Cord Brockmann von der Anwohnerinitiative „Lärmschutz Ahrensburg“ warnte, ein Verzicht auf die Wände, wie ihn einige Anwesende forderten, habe nicht nur für 600 Familien, die unmittelbar an den Gleisen lebten, gesundheitliche Auswirkungen, sondern mindere auch die Lebensqualität in der Stadt insgesamt.

S4-Gesamtprojektleiterin Amina Karam sieht sich immer wieder Zwischenrufen ausgesetzt.
S4-Gesamtprojektleiterin Amina Karam sieht sich immer wieder Zwischenrufen ausgesetzt. © HA | Filip Schwen

Weitere Fragen drehten sich um die Bauphase. Ahrensburg werde über Jahre zur Großbaustelle, so die Befürchtung vieler Anwesender. „Ich verspreche Ihnen, dass die Bauarbeiten nicht länger als zwei Jahre dauern werden“, sagte Karam. Demnach sollen die Arbeiten im ersten Quartal 2027 starten und Ende 2029 abgeschlossen sein.

Ahrensfelder wollen keinen Lieferverkehr in ihrem Stadtteil

Bei Bewohnern des südlichen Stadtteils Ahrensfelde und Naturschützern gibt es große Bedenken hinsichtlich der Baustellenlogistik. „Wir befürchten, dass ein Großteil des Anlieferungsverkehrs die Autobahn in Ahrensburg verlässt und dann über die Dorfstraße zur Baustelle fährt“, sagte eine junge Ahrensfelderin.

Umweltschützer, etwa die Interessengemeinschaft Tunneltal, die sich für die Belange des gleichnamigen Schutzgebietes im Süden Ahrensburgs einsetzt, fordern, es dürfe keine Baustraßen und Logistikflächen in dem Biotop geben. Ganz zerstreuen konnte Karam diese Sorgen nicht. „Wir werden alles daran setzen, die Einschränkungen für Anwohner, Verkehr und Bahnreisende so gering wie möglich zu halten“, versicherte die Chefplanerin.

Baustellenlogistik soll vor allem über die Schienen abgewickelt werden

Derzeit seien 73 Baustelleneinrichtungsflächen auf Ahrensburger Stadtgebiet vorgesehen. „Wir arbeiten an einem Konzept, mit dem wir die Bauflächen um 60 Prozent reduzieren können“, so Karam. Es werde möglichst kurze Transportwege geben, außerdem setze die Bahn auf Fertigteile, die vor Ort nur noch eingesetzt werden müssten.

Viele Bürger nutzen die Möglichkeit, um eine Frage zu stellen.
Viele Bürger nutzen die Möglichkeit, um eine Frage zu stellen. © HA | Filip Schwen

Laut der Projektchefin sollen große Teile der Baustellenlogistik über die Schienen der vorhandenen Bahntrasse Hamburg–Lübeck abgewickelt werden. Dies sei möglich, weil die Strecke spätestens 2028 ohnehin für Sanierungsarbeiten gesperrt werde.

Bahn präsentiert verschlankte Variante für Brücke am Braunen Hirsch

Neues präsentierte die Bahn zu der geplanten Brücke, die den Bahnübergang Brauner Hirsch ersetzen soll, der den Süden Ahrensburgs mit Hamburg-Volksdorf verbindet. Das bislang vorgesehene massive Bauwerk mit einer Spannweite von 117,40 Metern und einem 16 Meter hohen Rundbogen hatte bei Naturschützern und Archäologen für heftige Kritik gesorgt.

Die Brücke behindere die freie Sicht über das ökologisch wertvolle einstige Gletschertal, das zudem ein bedeutender Ausgrabungsort für steinzeitliche Kulturen ist, so die Kritik. „Wir haben uns dieser Sache noch einmal angenommen und das Konzept überarbeitet“, sagte Karam, die sich mit Vertretern der IG Tunneltal vor Ort getroffen hatte.

Das Bauwerk soll eine Aussichtsplattform und Infotafeln bieten

Die neuen Pläne sehen eine deutlich verschlankte Brücke ohne Rundbogen vor. Der Überbau sei in dieser Variante nur noch 1,3 statt 16 Meter hoch, so Karam. Zudem könne die Brücke aus Fertigbauteilen zusammengesetzt werden, sodass kaum Bauflächen in direkter Nähe benötigt werden.

So sollte die Brücke am Braunen Hirsch ursprünglich aussehen. Inzwischen hat die Bahn die Pläne überarbeitet.
So sollte die Brücke am Braunen Hirsch ursprünglich aussehen. Inzwischen hat die Bahn die Pläne überarbeitet. © DB Engineering & Consulting

„Die Trassenführung wird entlang der vorhandenen Straße verlaufen, sodass wir keine zusätzlichen Flächen in dem Gebiet beeinträchtigen.“ Die verschlankte Brücke sei auch kostengünstiger in Bau und Instandhaltung. Das Bauwerk soll eine Aussichtsplattform mit Infotafeln über das Tunneltal erhalten.

IG Tunneltal bemängelt geänderte Brücken-Pläne

Die Kritiker konnte aber auch diese Variante nicht überzeugen. Sie befürchten durch die Brücke mehr Durchgangsverkehr im Ahrensburger Süden. Svenja Furken von der IG Tunneltal bemängelte zudem, dass bei der neuen Variante nun mehrere Stützpfeiler in dem sensiblen Gebiet vorgesehen seien. Laut Bahn ist ein Fortbestehen des derzeitigen beschränkten Bahnübergangs aus Sicherheitsgründen jedoch keine Option.

Karam wies darauf hin, dass in den Auslegungsunterlagen noch nicht alle jetzt vorgestellten Änderungen enthalten seien. „Wir haben die Dokumente bereits vor einiger Zeit eingereicht. Das war wichtig, um den Termin für die Inbetriebnahme 2029 einzuhalten.“ Die Kompromiss-Vorschläge würden aber zeitnah integriert.

Nach der Veranstaltung ist der Unmut bei vielen Ahrensburger geblieben

Als Moderator Tim Huss die Diskussion gegen 20.30 Uhr beendete, hatte er bereits um knapp eine Stunde überzogen. „Wir möchten alle Ihre Fragen beantworten und nehmen uns die Zeit“, sagte er. Als es im Saal noch immer Wortmeldungen gab, kündigte Karam an, die verbleibenden Fragen in den kommenden Wochen im persönlichen Gespräch zu klären.

Doch die Bemühungen der Bahn konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Unmut bei vielen Ahrensburgern auch nach diesem Abend geblieben ist.

S4: Das ist das Projekt

Die S4 soll ab Ende 2029 Hamburg–Altona über den Hauptbahnhof mit Bad Oldesloe verbinden und Regionalbahnen der Linie RB81 ersetzen. In der Hauptverkehrszeit ist ein Zehn-Minuten-Takt bis Ahrensburg vorgesehen, bis Bargteheide ein 20-Minuten-Takt. Gebaut wird in drei Abschnitten, auf dem ersten von Hasselbrook bis Luetkensallee haben die Arbeiten bereits im Mai 2021 begonnen.

Der Ahrensburg betreffende, 8,3 Kilometer lange Planfeststellungsabschnitt 3 (PFA3) reicht von der schleswig-holsteinischen Landesgrenze bis zum Stadtteil Gartenholz. Für die S-Bahn soll die bislang zweigleisige Strecke von Hasselbrook bis Ahrensburg um zwei zusätzliche Gleise erweitert werden. Bis zum Bahnhof Gartenholz ist ein weiteres Gleis vorgesehen.

Die Bestandsstrecke soll ab 2029 verstärkt für den Güterverkehr in Richtung Fehmarnbelttunnel genutzt werden.

Laut einer Prognose sollen dann pro Tag etwa 80 Güterzüge durch die Schlossstadt rollen, einige davon mit mehr als 800 Metern Länge. Für den Ausbau der Trasse muss auch am westlichen Rand des als europäisches Flora-Fauna-Habitat (FFH) eingetragenen Naturschutzgebietes Ahrensburger Tunneltal gegraben werden.

Die vorhandenen Bahnhöfe müssen für die S4 umgestaltet werden. Außerdem ist der Um- und Neubau von Brücken und Unterführungen erforderlich. An der Hamburger Straße soll die neue Station Ahrensburg West entstehen.

Die Gesamtkosten für das Projekt liegen laut einer aktuellen Schätzung bei 1,85 Milliarden Euro. Der Bund übernimmt mit circa 84 Prozent den Großteil. Die restlichen rund 290 Millionen Euro teilen Hamburg (70 Prozent) und Schleswig-Holstein (30 Prozent) unter sich auf.