Ahrensburg. Amina Karam spricht über Lärmschutz und das Tunneltal. Auf die Kritik am geplanten Brückenbau reagiert die Deutsche Bahn bereits.
Mit der S4 rollt in den kommenden Jahren ein Großprojekt von gigantischer Dimension auf Stormarn und den Hamburger Osten zu. Ab 2029 soll die neue Verbindung von Hamburg-Altona nach Bad Oldesloe nach Angaben der Deutschen Bahn rund 250.000 Menschen in der Region an das S-Bahn-Netz der Hansestadt anschließen. Bis es soweit ist, sind milliardenschwere Umbaumaßnahmen an der Strecke Hamburg – Lübeck erforderlich.
Auf Stormarner Gebiet wird vor allem Ahrensburg davon betroffen sein. Zwei zusätzliche Gleise sollen von Hamburg-Hasselbrook bis zum Bahnhof der Schlossstadt verlegt werden, eines von dort weiter bis zur Station Gartenholz. Im Interview mit dem Abendblatt spricht Amina Karam, Gesamtprojektleiterin für die S4 bei der Deutschen Bahn, über den aktuellen Planungsstand, wie das Unternehmen mit Bedenken und Kritik aus Ahrensburg umgeht und wann die ersten Bagger anrollen sollen.
Frau Karam, die S4 ist für Ahrensburg ein zweischneidiges Schwert. Beginnen wir mit der positiven Seite. Welche Vorteile hat die neue Verbindung für die Stadt und ihre Bewohner?
Amina Karam: Aus meiner Sicht sind es vor allem zwei Aspekte, die Ahrensburg zugutekommen. Zum einen sind da die verkehrlichen Vorteile: Wir schaffen erstmals Kontinuität in direkter Linie bis Hamburg-Altona. Wer mit der S4 von Osten kommend in das Hamburger Zentrum fährt, kann ohne Umsteigen am Hauptbahnhof in den Westen der Stadt weiterreisen. Gerade für Pendler ist das ein enormer zeitlicher Gewinn. Außerdem erhöhen wir die Angebote. In den Hauptverkehrszeiten morgens und am späten Nachmittag werden wir einen Zehn-Minuten-Takt bis Ahrensburg anbieten, anstatt des 30-Minuten-Taktes der Regionalbahn. Die S-Bahn wird – das weiß jeder, der in Hamburg schon S-Bahn gefahren ist – verlässlicher und weniger störungsanfällig sein. Die S4 wird zudem barrierefrei nutzbar sein. Das ist bei der Regionalbahn bislang nur bei den neuen Kiss-Zügen der Fall und schafft große Verunsicherung unter mobilitätseingeschränkten Fahrgästen.
Was ist der andere Aspekt?
Der zweite Faktor ist der Lärmschutz. Ahrensburg hat durch die S4 als neue Nahverkehrsader den Anspruch auf zusätzliche Maßnahmen. Die Güterverkehre und damit die Lärmbelastung auf der Strecke Hamburg – Lübeck werden mit der Inbetriebnahme der Fehmarnbelt-Querung wieder zunehmen. Mehr Züge allein begründen aber keinen zusätzlichen Anspruch auf Lärmschutz, weil es sich um eine bestehende Strecke handelt. Bis 1997 verkehrten auf dieser Strecke bis zu 50 Güterzüge am Tag – ohne Lärmschutz. Umso schöner ist es, dass wir bei der S4 die Möglichkeit erhalten, diesen Zustand deutlich zu verbessern, die Anwohnerinnen und Anwohner werden deutlich profitieren.
Inzwischen hat die Bahn den Kommunen im weiteren Verlauf der Strecke, wo nicht gebaut wird, doch auch Lärmschutz zugesagt …
Das ist richtig und für die betroffenen Menschen eine sehr gute Nachricht. Doch darüber können wir als Bahn nicht allein entscheiden. Wir können nur das bauen, womit der Bund und die Länder Hamburg und Schleswig-Holstein uns beauftragen. In der Dimension, wie Ahrensburg Lärmschutz bekommt, wird er im weiteren Verlauf nicht möglich sein.
Sie haben es gerade angesprochen: Die Bahn plant in Ahrensburg mit umfangreichen Maßnahmen, insbesondere mit bis zu sechs Meter hohen Wänden. Das stößt auf entschiedenen Widerstand. Die Befürchtung ist, dass dadurch im Stadtzentrum Sichtachsen zerstört werden. Gibt es eine andere Möglichkeit, den gesetzlichen Lärmschutz sicherzustellen?
Mit anderen Maßnahmen an den Zügen, direkt am Gleis oder an den Häusern der Anwohnerinnen und Anwohner erreichen wir nicht ansatzweise dieselbe Schallreduktion, die notwendig ist, um die gesetzlichen Vorgaben einzuhalten. Sie können nur als Ergänzung dienen. Und der Gesetzgeber sagt klar: Der Schutz der Menschen kommt vor den Sichtachsen im Stadtbild. Wir bauen in erster Linie für die Menschen. Dennoch arbeiten wir intensiv daran, eine Lösung zu finden, um die optischen Einschränkungen so gering wie möglich zu halten. Wichtig ist uns hierfür die Meinung der Ahrensburgerinnen und Ahrensburger.
Sie spielen auf die transparenten Wandelemente an, die Sie im Oktober bei der Dialogveranstaltung in Ahrensburg vorgestellt haben?
Genau, das ist unser Angebot an die Stadt Ahrensburg. Diese innovativen Elemente sind zu 70 Prozent transparent und dennoch zu 100 Prozent leistungsfähig. Zurzeit erarbeiten wir ein Konzept, wo wir eine Verwendung der Elemente empfehlen. Das ist natürlich nur ein Vorschlag, wir stimmen uns mit der Stadt ab, wie der Lärmschutz am Ende wirklich aussehen soll.
Noch sind die neuen Wände aber nicht zugelassen …
Die finalen Zertifizierungen stehen aus, sollen aber noch 2023 vorliegen. Derzeit befinden wir uns auch in der Abstimmung mit dem Eisenbahnbundesamt bezüglich der Finanzierung. Die innovativen Elemente sind etwa 40 Prozent teurer als die herkömmlichen. . Für Ahrensburg werden dadurch keine zusätzlichen Kosten entstehen, dies klären wir gerade mit den Ländern und dem Bund.
Der Lärmschutz ist nicht der einzige Kritikpunkt, der in Ahrensburg diskutiert wird. Stichworte Naturschutz und Bahnübergang Brauner Hirsch. An welchen Stellen wird die Bahn der Stadt noch entgegenkommen?
Wir haben aus den Gesprächen in Ahrensburg drei Themen mitgenommen, mit denen wir uns in den vergangenen Wochen intensiv beschäftigt haben. Neben dem Lärmschutz sind das die Ausgestaltung der Baustellenflächen sowie die Auswirkungen auf das Ahrensburger Tunneltal. Wir erarbeiten für alle drei Themen Alternativ-Vorschläge. Wir haben uns die Wünsche und Anregungen sehr zu Herzen genommen und noch mal, wir bauen für die Bürger:innen. Ich möchte das Projekt S4 im Sinne beider Länder und für eine bessere Mobilität gemeinsam mit allen Beteiligten erfolgreich realisieren.
Wie sehen diese Alternativvarianten aus?
Nehmen wir das Beispiel Brauner Hirsch: Von Seiten der Naturschutzorganisationen und von
Bürgerinitiativen wurde die Kritik geäußert, dass die Brücke, die dort geplant ist, zu massiv werden könnte, so dass sie das Landschaftsbild im Schutzgebiet Tunneltal zerstört. Wir haben uns die Planungen noch einmal angeschaut und geprüft, ob es Alternativen gibt. Die gibt es. Einzelheiten kann ich noch nicht verraten, weil wir uns noch in der Abstimmung mit den Behörden befinden. Doch so viel schon vorab: wir werden die Brücke soweit verschlanken und in ihrer Dimension noch einmal stark reduzieren, dass wir die Eingriffe in das Landschaftsbild extrem minimieren können. Wir werden auch Fertigteile einsetzen, um die Bauflächen in unmittelbarer Nähe gering zu halten. Ganz verzichten können wir auf die Brücke aus Sicherheitsgründen nicht. Immerhin müssen künftig vier statt zwei Gleise überquert werden.
Es gibt von Naturschützern den Vorschlag, den Zehn-Minuten-Takt der S4 nur bis Rahlstedt auszudehnen, um auf die zusätzlichen Gleise im Bereich des Tunneltals verzichten zu können. Hat sich die Bahn mit dieser Variante befasst?
Es ist der Wunsch der schleswig-holsteinischen Landesregierung, den Zehn-Minuten-Takt bis Ahrensburg anzubieten. Vorausgegangen ist eine Prüfung der Nutzerpotenziale. Gutachter sind zu dem Ergebnis gekommen, dass in Zukunft viel mehr Menschen zwischen Ahrensburg und Hamburg pendeln werden, als es ohnehin schon tun. Das Bevölkerungswachstum in Ahrensburg und dem Umland hält an, auch durch die Lage an der europäischen Nord-Süd-Verbindung, die durch den Fehmarnbelttunnel entsteht. Diese Menschen werden reisen und das verkehrliche Angebot noch stärker nutzen. Unser Blick richtet sich nach vorn. Was ist notwendig, um auch 2040 und später einen leistungsfähigen Nahverkehr anzubieten?
Zuletzt gab es in Ahrensburg Stimmen, die argumentiert haben, die Stadt sollte sich grundsätzlich gegen die S4 stellen und stattdessen weiter auf die Regionalbahn setzen. Nach dem Motto: Keine S4, keine zusätzlichen Gleise, weniger Kapazitäten für eine Zunahme des Güterverkehrs. Wie hängen die Projekte S-Bahn und Fehmarnbelt zusammen?
Uns ist wichtig zu betonen: Es wird kein Güterzug auf den Gleisen der S4 fahren. Die Planungen für eine Fehmarnbeltquerung gibt es schon seit 2008, sie sind in einem Staatsvertrag mit Dänemark festgeschrieben und haben nichts mit der S4 zu tun. Die Strecke Hamburg – Lübeck ist für den Gütertransport die schnellste und kürzeste Verbindung nach Skandinavien. Die Güterzüge werden also kommen, auch ohne S-Bahn und neue Gleise. Nur wäre die Strecke dann an ihrer Kapazitätsgrenze, es gäbe keinen Lärmschutz und die verkehrlichen Vorteile für Ahrensburg fielen weg.
Eine große Sorge von Naturschützern ist es, dass während der Bauphase Zuwegungen angelegt werden müssen, die teilweise auch durch das Tunneltal führen. Gibt es da keine anderen Möglichkeiten?
Die Baustellenflächen werden sich außerhalb des Naturschutzgebietes befinden. Wir prüfen derzeit verschiedene Möglichkeiten. Der große Vorteil ist, dass wir zwei vorhandene Gleise nebenan haben. Ich kann versichern, dass wir alles daransetzen, dass es keine unnötigen Eingriffe in die Natur gibt. Wir sind außerdem davon überzeugt, dass wir große Anteile der Bauflächen dezentral aus dem Stadtzentrum entfernen können. Wir erarbeiten dafür gerade ein Konzept.
Sie haben jetzt sicherlich viele Ahrensburger neugierig gemacht. Wann werden Sie die geänderten Planungen den Bürgern vorstellen?
Einen festen Termin können wir noch nicht nennen. Wir planen eine öffentliche Informationsveranstaltung vor der Auslegung der Planungsunterlagen, um unsere neuen Vorschläge für die drei sensiblen Themenblöcke vorzustellen. Wir werden zur Veranschaulichung auch Visualisierungen mitbringen. Zeitlich würde dies dann nach der öffentlichen Auslegung geschehen.
Warum erst danach?
Die Planungsunterlagen umfassen viele Tausend Seiten. Um eine Inbetriebnahme der S4 vor den Fehmarnbelt-Verkehren sicherzustellen, müssen wir den Planungsprozess weiter vorantreiben. Dazu ist es wichtig, dass wir keine Zeit verlieren. Eine spätere Integration von Kompromiss-Lösungen stellt kein Problem dar. Das ist bei Projekten dieser Dimension gelebter Alltag.
Wie sieht jetzt der weitere Zeitplan aus? Wann werden die Planunterlagen ausgelegt und wann fährt der erste Zug der S4 nach Ahrensburg?
Die Auslage erfolgt nach Abstimmung mit den Behörden und der Stadt Ahrensburg nach den Sommerferien. Die genauen Daten geben wir zeitnah bekannt. Damit nehmen wir Rücksicht auf die Sommerferien, was uns sehr wichtig ist. Vor den Sommerferien war eine Auslage nicht mehr möglich. Wir gehen derzeit davon aus, dass wir Anfang oder Mitte 2026 Baurecht im dritten Abschnitt haben, der Ahrensburg betrifft. Der erste Spatenstich ist aktuell für das erste Quartal 2027 vorgesehen. Wenn alles nach Plan läuft, kann die S4 spätestens Ende 2029 in Betrieb gehen.