Ahrensburg/Reinbek. Eltern aus Stormarn machen ihrem Unmut mit Schreiben an Karin Prien Luft. Was sie von der CDU-Politikerin fordern.

Der gravierende Lehrermangel ist derzeit bundesweit das brennendste Thema in der Bildungspolitik. Quer durch alle Bundesländer und Schulformen fehlen Pädagogen. Besonders betroffen seien aber die Gemeinschaftsschulen im Hamburger Umland, beklagen Eltern aus Ahrensburg, Großhansdorf und Reinbek. Sie haben sich jetzt mit einem Brandbrief an Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) gewandt.

Die Eltern warnen vor „dramatischen Folgen für die Bildungschancen“ der Kinder und Jugendlichen und fordern, dass die Gemeinschaftsschulen bei der Rekrutierung und Verteilung von Lehrkräften stärker berücksichtigt werden. Sie berichten von Unterrichtsausfall, inhaltlichen Lücken bei den Schülern, ständigen Lehrerwechseln und Pädagogen, die am Rande ihrer Belastungsgrenze arbeiten.

Lehrermangel: Eltern aus Stormarn schreiben Brandbrief an Ministerin

„Ich bin keine Panikmacherin“, sagt Michaela Hintz, deren Sohn die Friedrich-Junge-Schule (FJS) in Großhansdorf besucht, aber die Auswirkungen des Lehrermangels auf den Schulalltag seien „massiv“. Regelmäßig falle Unterricht aus. In höheren Klassen stehe stattdessen Eigenlernzeit auf dem Vertretungsplan, was in der Praxis bedeute, dass die Jugendlichen den Stoff zu Hause allein oder mit den Eltern nacharbeiten müssten.

Zeitweise betreue ein Lehrer mehrere Klassen gleichzeitig. „Lehrkräfte stocken ihre Stunden auf und gehen über ihre Belastungsgrenzen“, so Hintz, die sich seit vier Jahren als Elternvertreterin engagiert. Schulfeste, Ausflüge, Klassenreisen und Projekte würden gestrichen. Zudem beklagt Hintz ständige Lehrerwechsel, die es den Schülern unmöglich machten, ein Bezugsverhältnis zu den Pädagogen aufzubauen und zu Fehleinschätzungen führten.

Fünf verschiedene Mathelehrer in vier Jahren in Reinbek

Melanie Kahl, Elternvertreterin einer achten Klasse an der Gemeinschaftsschule Reinbek, kann das bestätigen. „Häufige Lehrerwechsel in den Hauptfächern – wegen Krankheit, Wechsel des Arbeitsplatzes, aus organisatorischen Gründen, aber auch weil Arbeitsverträge nicht verlängert werden – machen es den Kindern schwer“, schildert sie an die Ministerin gerichtet.

In Mathematik hätten die Klasse in vier Jahren bereits fünf verschiedene Lehrer unterrichtet, in Deutsch und Englisch je vier. Allein in diesem Schuljahr seien von den Eltern dokumentiert 146 Unterrichtsstunden ausgefallen, davon 35 in den Hauptfächern.

An Ahrensburger Gemeinschaftsschule unterrichten Studenten statt Lehrern

Der Selma-Lagerlöf-Gemeinschaftsschule (SLG) in Ahrensburg machen vor allem in den sogenannten MINT-Fächern – Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – sowie in Musik und Kunst fehlende Lehrkräfte zu schaffen. „Diese Situation zieht sich für einige Schüler durch die gesamte Schullaufbahn“, heißt es in dem Schreiben des Schulelternbeirates an das Bildungsministerium.

Die Eltern führen das Beispiel einer Klasse an, die in den Jahrgangsstufen fünf bis zehn insgesamt nur zwei Jahre Fachlehrerunterricht in Mathematik gehabt habe. „Im Übrigen wurde die Klasse von Lehrern ohne Mathematik-Fachkompetenz, Studenten (nicht Referendare) oder gar nicht unterrichtet“, so die Elternvertreter.

Erste Eltern erwägen, privaten Unterricht zu organisieren

Bei der Zusammenführung der Klassen in der Oberstufe werde der Niveauunterschied deutlich. „Den Schülern fehlen absolute Grundlagen“, beklagt der Beirat. Physikunterricht werde in der Oberstufe überhaupt nicht mehr angeboten. Erste Eltern erwägten, privaten Unterricht zu organisieren, weil die Schule ihrem Bildungsauftrag nicht nachkomme.

Laut Statistik des Bildungsministeriums hat jeder zehnte Lehrer in Schleswig-Holstein keine abgeschlossene Berufsausbildung. An den Gemeinschaftsschulen mit Oberstufe liegt der Anteil bei 6,9 Prozent, an Gemeinschaftsschulen ohne Oberstufe bei 8,5 Prozent, an Förderzentren bei 12,8 Prozent und an Grundschulen sogar bei 14,1 Prozent. Hinzu kommen etwa 200 unbesetzte Stellen.

Hamburg lockt mit attraktiveren Arbeitsbedingungen und mehr Gehalt

Als Ursache des Lehrermangels sehen die Elternvertreter aller drei Schulen die Abwerbung von Pädagogen durch die Stadt Hamburg einerseits, die mit besseren Konditionen locke, und die höhere Attraktivität von Gymnasien als Arbeitgeber gegenüber den Gemeinschaftsschulen andererseits.

Diese Auffassung teilt der SPD-Bildungsexperte Martin Habersaat. Der Reinbeker ist Vorsitzender des Bildungsausschusses im Kieler Landtag und selbst studierter Gymnasiallehrer. „Die Stormarner Gemeinschaftsschulen stehen in doppelter Konkurrenz: In Hamburg werden Lehrkräfte besser bezahlt und finden ein attraktiveres Arbeitszeitmodell vor“, erklärt er.

In Hamburg müssen Lehrer weniger Stunden unterrichten

Für Lehrkräfte in Hamburg gibt es keine festen Pflichtstunden, die Unterrichtsverpflichtung sei abhängig von der Schulform, Fächern, Jahrgangsstufen und besonderen Aufgaben an der Schule. Klassenlehrkräfte und solche in der Oberstufe müssten etwa weniger unterrichten. Die Hansestadt verbeamte Pädagogen zudem nicht nur schneller, sondern zahle auch mehr Gehalt.

Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) diskutierte Ende Februar mit Clemens Gause vom Lions-Club Hahnheide im Ganztagszentrum Bargteheide über das Thema Lehrermangel.
Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU) diskutierte Ende Februar mit Clemens Gause vom Lions-Club Hahnheide im Ganztagszentrum Bargteheide über das Thema Lehrermangel. © HA | Filip Schwen

In der vierten Erfahrungsstufe der Gehaltsklasse A13 erhielten Lehrer an Stadtteilschulen in der Hansestadt etwa 500 Euro mehr im Monat als an Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein. Eine Rolle spiele auch die Entfernung zu den Universitätsstandorten Flensburg und Kiel.

Pädagogen ziehen Gymnasien als Arbeitsort Gemeinschaftsschulen vor

„Viele wollen nach ihrem Studium an der Ostsee bleiben“, so Habersaat. Gymnasien würden zudem von vielen Pädagogen als Arbeitsort bevorzugt. Nicht nur, weil sie die pädagogischen Herausforderungen an Gemeinschaftsschulen als höher empfänden, sondern auch, weil die Zahl der zu unterrichtenden Wochenstunden mit 25 um 1,5 niedriger liege als an letzteren.

Habersaat fordert die Einführung einer gemeinsamen Ausbildung von Gymnasial- und Gemeinschaftsschullehrkräften nach dem Vorbild Hamburgs, die Entfristung der Verträge von Vertretungslehrkräften und eine Angleichung der Arbeitsbedingungen für Pädagogen an den beiden Schulformen. Außerdem lasse sich die Verteilung der Lehrkräfte durch regionale Zulagen und im Ernstfall auch durch Abordnungen verbeamteter Pädagogen steuern.

Bildungsministerin Prien verfolgt eine „langfristige Strategie“

Das Kieler Bildungsministerium hat derweil bereits auf den Brief der Stormarner Eltern reagiert. „Wir haben die aufgeführten Sachverhalte unverzüglich durch die Schulaufsicht prüfen lassen und es liegen uns erste Einschätzungen vor“, sagt Sprecherin Patricia Zimnik. Leider zeige das, was die Eltern in ihren Schreiben beklagen, genau den Lehrkräftemangel, gegen den das Ministerium seit Jahren arbeite. Besonders Physiklehrkräften fehlten im ländlichen Raum.

Ministerin Karin Prien betont, die Landesregierung verfolge „eine langfristige Strategie gegen den Lehrermangel“. Im Gegensatz zum bundesweiten Trend habe Schleswig-Holstein bis zur Pandemie deutlich steigende Studienanfänger- und Absolventenzahlen verzeichnet. „Davon werden wir in den kommenden Jahren profitieren. Dennoch braucht auch die Ausbildung zusätzlicher Lehrkräfte Zeit“, so die CDU-Politikerin.

Am Mittwoch möchte die Ministerin weitere Maßnahmen vorstellen

Um den Lehrerberuf noch attraktiver zu machen, setzt Prien auf „weitere Flexibilisierungen und Zugangswege in die verschiedenen Lehrämter“, welche ihr Haus schon im Frühjahr auf den Weg gebracht habe und auf Weiterbildungsangebote. Zudem möchte die Ministerin verstärkt Anreize für junge Pädagogen schaffen, in unterversorgte Gebiete zu gehen. Dazu möchte das Bildungsministerium bereits am Mittwoch weitere Maßnahmen vorstellen. Abordnungen und Zwangsversetzen schließt Prien zwar nicht aus, diese sollten aber der letzte Ausweg bleiben.

Ob diese Aussichten die Eltern aus Ahrensburg, Großhansdorf und Reinbek beschwichtigen, ist fraglich. Sie fordern von der Ministerin „zeitnah“ konkrete Vorschläge, um Abhilfe zu schaffen. Doch es sieht nicht so aus, als läge eine Patentlösung derzeit in Kiel fertig in der Schublade.