Reinbek. Kultusministerium wisse nicht, wie viele Quer- und Seiteneinsteiger unterrichten und tatsächlich gebraucht würden.

In den vergangenen Jahren haben Unterrichtsausfälle quer durch alle Schulformen deutlich zugenommen. Laut Bildungsministerium Schleswig-Holstein war die Erkrankung von Lehrkräften im vergangenen Schuljahr mit 68 Prozent der Hauptgrund. Verschärft wird die Lage unterdessen durch einen eklatanten Lehrermangel, vor allem in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Um dieses Defizit zu kompensieren, sollen vermehrt Quer- und Seiteneinsteiger Unterricht geben. Doch wie viele stehen für diese Aufgabe überhaupt zur Verfügung und wie viele haben eine echte Berufsalternative in der Bildungslandschaft? Das wollte Martin Habersaat, bildungspolitischer Sprecher der SPD-Landtagsfraktion aus Reinbek, jetzt mittels einer Kleinen Anfrage wissen.

„Die Landesregierung befindet sich auf einem Blindflug. Sie weiß nicht, wie viele Vertretungslehrkräfte mit befristeten Verträgen an einem Quer- oder Seiteneinstieg in den Schuldienst interessiert sind. Und sie glaubt, diese Kräfte mit teils jahrelangen Erfahrungen auch nicht langfristig zu brauchen“, lautet Habersaats Fazit nach Lektüre der Antworten aus dem Kieler Kultusministerium.

Vertretungslehrer brauchen verlässliche Perspektive

Er bezweifelt aber, dass sich das Land solch eine Haltung tatsächlich leisten kann. Gerade im ländlichen Raum abseits der großen Städte werde der Anteil an Lehrkräften, die nicht auf Lehramt studiert haben und befristet beschäftigt sind, immer größer. Auch an vielen Grund- und Gemeinschaftsschulen in Stormarn und im Kreis Herzogtum Lauenburg fänden sich diese Kräfte, ebenso wie an Berufsschulen und Förderzentren. „Es wäre wichtig, diesen Lehrkräften und den Schulen eine verlässliche Perspektive aufzuzeigen“, fordert Habersaat.

Das Ministerium sieht die Situation offenkundig weniger kritisch. Es sei nicht notwendig, Stellen für Quer- und Seiteneinsteiger zu planen. Zumal deren Zahl wegen gewachsener Bewerberzahlen von vollausgebildeten Lehrkräften in 2023 „erfreulicherweise rückläufig“ sei.

Schon 69 Quer- und Seiteneinsteiger bis Ende April

Laut aktueller Zahlen seien bis Ende April 48 Quer- und 21 Seiteneinsteiger verpflichtet worden. Quereinsteiger haben meist fürs Lehramt relevante Fächer studiert, aber noch kein Referendariat absolviert. Seiteneinsteiger haben andere Hochschulabschlüsse und werden nebenbei durch Seminare, Unterrichtsbesuche von betreuenden Lehrern oder Mentorenprogramme geschult.

Dass bis zum Jahresende nicht mehr Vertretungslehrer gebraucht werden, erscheint äußerst fraglich. Im Vorjahr besetzten 132 Quer- und 48 Seiteneinsteiger insgesamt 180 Stellen. 2021 waren es insgesamt 188 Stellen und 2020 sogar 283. Rechnet man das aktuelle Zwischenergebnis bis April auf zwölf Monate hoch, käme man für 2023 auf 207 Stellen.

Die Gefahr, dass Quer- und Seiteneinsteiger dem Schuldienst verloren gehen, ist nach Ansicht des Bildungsexperten permanent gegeben und völlig unverständlich. „Aus den Schulen und von den Eltern hören wir jedenfalls nicht, dass genug Leute da sind und da bleiben“, so der Reinbeker. Vielmehr falle allzu oft Unterricht aus.

„Im Zuge einer Fachkräftestrategie sollten Einstellungsfenster nicht willkürlich oder nur situativ geöffnet und geschlossen werden“, fordert Martin Habersaat. Gemeinsam mit den Schulleitungen müsse endlich ein Plan erarbeitet werden. „Wer sich an der Schule bewährt, hat eine Perspektive verdient. Und Menschen, die Lücken in Mangelfächern schließen könnten, müssen gezielt angesprochen werden“, so der Sozialdemokrat.