Hamburg. An allgemeinbildenden Schulen sind Hunderte Stellen nicht besetzt. An welchen Standorten die meisten Lehrer fehlen.

Physik, Informatik, Mathematik, Chemie, Musik, Kunst, Sport und Theater/Darstellendes Spiel – die Liste der ausgesprochenen Mangelfächer an Hamburger Schulen wird immer länger und das Problem größer. Aus der Senatsantwort auf eine Große Anfrage der Linken-Bürgerschaftsfraktion zum Lehrermangel, die dem Abendblatt exklusiv vorliegt, ergibt sich, dass zu Beginn des Schuljahres 268,09 Vollzeitstellen an den staatlichen allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen nicht besetzt waren.

Der Senat räumt ein, dass bereits jetzt dauerhaft nicht alle Lehrerstellen besetzt werden können. „Im Ergebnis ergibt sich eine strukturelle Lücke von 265 Stellen für die allgemeinbildenden Schulen. Dies sind durchschnittlich -0,76 Stellen pro Schule.

Damit hat sich die Versorgungslage im Vergleich zu den Vorjahren etwas verschlechtert“, erklärt der Senat in seiner Antwort. „Es sind aber bei allen Schulen genügend Stellen besetzt, um den Unterricht erteilen zu können“, schickt die Landesregierung hinterher, was vermutlich beruhigend wirken soll.

Lehrermangel ist an Hamburgs Schulen ungleich verteilt

Die aktuelle Lücke von 268 Stellen mag angesichts der Gesamtzahl von 15.230 Stellen an den allgemeinbildenden Schulen und 2447 Stellen an den berufsbildenden Schulen gering erscheinen, aber der Lehrermangel ist ungleich verteilt. Je nach Schulform und sozialer Lage der Schule ergibt sich ein sehr unterschiedliches Bild.

Mehr als die Hälfte des Pädagogendefizits entfällt mit 157,56 Stellen auf die 60 Stadtteilschulen – damit fehlen an jeder Stadtteilschule durchschnittlich fast drei Lehrkräfte.

An den rund 200 Grundschulen sind insgesamt 64,99 Stellen nicht besetzt, gefolgt von den 64 Gymnasien mit 52,17 Stellen.

Die Bilanz der beruflichen Schulen, deren Schülerzahl leicht abnimmt, ist mit einem Minus von 3,08 Stellen nahezu ausgeglichen. Laut Senatsantwort liegen die Sonderschulen sogar mit 9,74 Stellen im Plus.

Problem an Schulen mit niedrigem Sozialindex besonders groß

In Zeiten des Personalmangels können Nachwuchslehrer und -lehrerinnen wählerisch sein. Offensichtlich sind die Standorte, die in einem sozial schwierigen Umfeld liegen, bei den Lehrkräften nicht so beliebt wie Standorte in anderen Bereichen der Stadt. Jedenfalls ist der Lehrermangel an den Schulen, die in Quartieren mit einem niedrigen Sozialindex liegen, am größten.

Laut Senatsantwort sind in der Summe aller Schulformen an Standorten mit dem (niedrigsten) Sozialindex eins 88,87 Stellen nicht besetzt, dicht gefolgt von Schulen mit dem Sozialindex zwei mit 84,37 unbesetzten Stellen. Das entspricht einem durchschnittlichen Mangel von 2,69 Lehrkräften pro Schule mit Sozialindex eins und 1,65 Stellen pro Standort mit Sozialindex zwei.

Schulen in mittleren Lagen mit dem Sozialindex drei fehlen insgesamt 43,76 Pädagogen und Pädagoginnen, an den Standorten mit dem Sozialindex vier sind 72,25 Vollzeitstellen nicht besetzt. Bei Schulen in den besonders bevorzugten Lagen gibt es dagegen faktisch keinen Lehrermangel.

Schulen mit dem Sozialindex fünf weisen laut Senatsantwort eine Lücke von lediglich 3,59 Stellen auf, während die Standorte mit dem (höchsten) Sozialindex sechs sogar mit 18,97 Stellen im Plus liegen.

Linken-Bürgerschaftsfraktion kritisiert „eine drastische Spaltung“

Beispiele von Schulen mit relativ großem Lehrermangel: An der Grundschule Archenholzstraße (Sozialindex eins, Billstedt) sind 6,86 der 32,79 Stellen nicht besetzt. An der Stadtteilschule Mümmelmannsberg (Sozialindex eins) fehlen 18,59 der 107,09 Stellen. Der Plan der Stadtteilschule Wilhelmsburg weist 111,76 Stellen aus, von denen 8,83 nicht besetzt sind. Am Louise Weiss Gymnasium (Sozialindex zwei, Hamm) beträgt das Defizit 5,17 von 44,93 Stellen. An dere Emil-Krause-Stadtteilschule (Sozialindex zwei, Dulsberg) sind 9,14 der 79,76 Stellen unbesetzt.

„Unsere Anfrage zeigt eine drastische Spaltung: Schulen in finanzschwachen Gebieten haben in jeder Hinsicht das Nachsehen. Dort gibt es die meisten unbesetzten Stellen, langzeiterkrankten Lehrkräfte und Teilzeitstellen“, sagt Sabine Boeddinghaus, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bürgerschaft.

Mehr als die Hälfte aller Lehrkräfte arbeitet in Teilzeit – der Anteil schwankt von 68,1 Prozent an den Grundschulen bis 46,4 Prozent an den beruflichen Schulen. „Der Grund dafür ist, dass die Lehrerarbeitszeitverordnung seit Jahren nicht an die gewachsenen Anforderungen angepasst worden ist. In der Folge reduzieren Lehrerinnen und Lehrer, die nicht durch Überarbeitung ihre Gesundheit riskieren wollen, immer häufiger ihre Wochenarbeitszeit“, so Boeddinghaus.

Prognose für Hamburgs Schulen: Bis 2035 fehlen fast 20.000 Lehrer

Der Senat weist in seiner Antwort auf die Große Anfrage darauf hin, dass bundesweit „bereits seit einiger Zeit nicht ausreichend ausgebildete Lehrkräfte zur Verfügung“ stehen, um den Einstellungsbedarf zu decken. „Diese Entwicklung ist auch in Hamburg zu spüren, wenn bislang auch nicht in gleichem Maße wie in anderen Bundesländern“, schreibt der Senat.

Dennoch habe sich unter anderem in der Folge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine die Schülerzahl deutlich erhöht und den Bedarf an Lehrkräften weiter vergrößert. Die Langfristprognose 2022 sieht einen Bedarf von 16.748 Stellen an allgemeinbildenden Schulen und 2495 Stellen für die berufsbildenden Schulen bis 2035 vor.