Ahrensburg. Bahntrasse und Lärmschutzwände zerschneiden Biotope. Schon jetzt hat das für Rothirsche sichtbare Folgen. Was die Jäger fordern.

Die Lärmschutzwände, welche die Deutsche Bahn im Zuge des Baus der S4 von Hamburg-Altona nach Bad Oldesloe entlang der Trasse in Ahrensburg errichten möchte, stehen vor allem wegen ihrer optischen Wirkung auf das Stadtbild in der Kritik. Doch auch auf die Tierwelt hätten die bis zu sechs Meter hohen Elemente erhebliche, negative Auswirkungen, warnt die Kreisjägerschaft Stormarn. Im schlimmsten Fall könnten ganze Wildtierpopulationen nachhaltig geschädigt werden, so die Befürchtung.

„Rehe, Wildschweine und Rotwild sind darauf angewiesen, dass sie zwischen verschiedenen Biotopen wandern können“, sagt Ahrensburgs Jagdvorsteher Heino Wriggers. Der Jäger und Landwirt aus Ahrensfelde vertritt seit vielen Jahren die Anliegen der Jagdpächter in der Schlossstadt. „Nur wenn die Tiere sich bewegen können, ist ein genetischer Austausch zwischen unterschiedlichen Populationen möglich“, erklärt er.

S4 nach Ahrensburg: Jäger fordern Grünbrücke für Wildtiere

Dazu sei es wichtig, dass die Lebensräume der Wildtiere miteinander vernetzt sind. Für die Rehe, Rothirsche und Wildschweine im Tunneltal und im Forst Hagen seien vor allem die Naturschutzgebiete Duvenstedter Brook, Hansdorfer Brook und Höltigbaum Ziel ihrer Wanderungen und umgekehrt. Und genau da sieht Wriggers ein Problem: Denn schon jetzt zerschneidet die Bahnstrecke Hamburg – Lübeck den Biotopverbund.

Die Deutsche Bahn möchte die Trasse für die geplante S-Bahn weiter ausbauen. Zu den zwei vorhandenen Gleisen sollen von Hamburg-Hasselbrook bis zum Ahrensburger Bahnhof zwei weitere hinzukommen, ein zusätzliches Gleis ist von dort bis Gartenholz geplant. Das soll einen Zehn-Minuten-Takt der S4 bis Ahrensburg zu den Hauptverkehrszeiten am Morgen und am Nachmittag ermöglichen, wenn die Verbindung voraussichtlich Ende 2029 in Betrieb geht.

Lebensräume der Tiere werden durch Gleise zertrennt

Zudem wird die Bestandstrasse künftig stärker für den Güterverkehr benötigt. Ende des Jahrzehnts soll der Fehmarnbelttunnel fertiggestellt sein und zur Hauptverkehrsachse zwischen Skandinavien und Südeuropa werden. Rund 80 mehr als 800 Meter lange Güterzüge sollen dann täglich über die Strecke rollen. Hinzu kommen die Lärmschutzwände, die entlang eines Großteils der Trasse errichtet werden sollen, um die gesetzlichen Schallgrenzwerte einzuhalten.

„Faktisch werden die Lebensräume im Tunneltal östlich der Trasse von den übrigen Biotopen abgeschnitten“, sagt Wriggers. Welche Folgen es hat, wenn zwischen den Tierpopulationen zu wenig genetischer Austausch erfolgt, erklärt Hendrik Löffler von den Kreisjägerschaft Stormarn. „Wenn die Tiere nicht wandern können, pflanzen sie sich eben innerhalb der Gruppe fort“, sagt der Hoisdorfer. Inzest und eine Verarmung der genetischen Vielfalt seien die Konsequenz.

Landesjagdverband stellt Missbildungen bei Rothirschen fest

„Wir beobachten das insbesondere beim Rotwild schon seit einigen Jahren im Landesjagdverband“, sagt Löffler. Kollegen stellten zunehmend Missbildungen wie verkürzte Unterkiefer und deformierte Schädel bei geschossenen Tieren fest. Im März 2022 hatte eine Studie der Universität Göttingen bereits Alarm geschlagen und festgestellt, dass die genetische Vielfalt bei Rotwild immer weiter abnimmt.

Die Grünbrücke Kiebitzholm über die A21 im Kreis Segeberg: So könnte eine Querungshilfe für Wildtiere über die Bahngleise aussehen.
Die Grünbrücke Kiebitzholm über die A21 im Kreis Segeberg: So könnte eine Querungshilfe für Wildtiere über die Bahngleise aussehen. © LBV SH | Volker Seifert

„Schon jetzt führt das Autobahn- und Schienennetz in Schleswig-Holstein dazu, dass der Bewegungsspielraum des Rotwildes stark eingeschränkt ist und wir es vermehrt mit Inselpopulationen zu tun haben“, sagt Löffler. Dabei brauche die Art eigentlich bis zu 20.000 Hektar große Flächen, einzelne Tiere legten auch mal bis zu 60 Kilometer auf ihren Wanderungen zurück.

Kreisjägerschaft fordert Querungshilfen bei Ahrensburg

Eine viergleisige Bahntrasse stelle für Hirsche, Rehe, Wildschweine und andere Tiere eine unüberwindbare Barriere dar. „Auch wenn die Lärmschutzwände möglicherweise nicht durchgängig gezogen werden und es Lücken gibt“, sagt Ahrensburgs Jagdvorsteher Wriggers. Bei der prognostizierten Zugfrequenz würden die meisten Tiere bei dem Versuch sterben, die Gleise zu überqueren, befürchtet er.

Die Kreisjägerschaft fordert deshalb, dass die Bahn bei Ahrensburg eine oder sogar zwei Querungshilfen für Wildtiere errichtet. „Vorstellbar wären eine Grünbrücke oder eine Tunnellösung“, sagt Hendrik Löffler. Als Beispiel nennt er die Grünbrücke Kiebitzholm über die Autobahn 21 nördlich von Bad Segeberg. Bislang habe die Bahn allerdings wenig Akzeptanz für das Anliegen der Jäger gezeigt, bemängelt er. „Alles, was wir bekommen haben, waren ausweichende Antworten“, sagt Löffler.

Bahn hat sich in der Vergangenheit ablehnend zu Tunnel geäußert

Vertreter des Unternehmens hatten bereits in der Vergangenheit auf Nachfragen von Naturschützern deutlich gemacht, dass sie ein Bauwerk für den Wildwechsel nicht für erforderlich halten. „Wir haben zu Beginn der Planungen eine Umweltverträglichkeitsstudie für das Gesamtvorhaben in Auftrag gegeben, außerdem einen Landschaftpflegerischen Begleitplan und eine FFH-Verträglichkeitsstudie erstellt“, sagte der für das Projekt zuständige Umweltingenieur der Bahn, Martin Roger, bei der Dialogveranstaltung zur S4 in Ahrensburg Ende Oktober.

Das Tunneltal genießt als Flora-Fauna-Habitat (FFH) den höchsten europäischen Schutzstatus. „Wir haben alles betrachtet, was der Artenschutz erfordert und nehmen das sehr ernst“, versicherte der Umweltexperte. Einer Unterführung erteilt Roger eine Absage. Eine solche sei „aufgrund der Wasserverhältnisse im Boden nicht umsetzbar“. Die Detailplanungen für den Ahrensburg betreffenden dritten Bauabschnitt der S4 sollen erst nach den Sommerferien, wenn das Planfeststellungsverfahren beginnt, öffentlich ausgelegt werden.

Grünbrücke würde mindestens 2,5 Millionen Euro kosten

Für Wriggers und Löffler sind die Antworten der Bahn unbefriedigend. Ihr Eindruck: Es geht ums Geld. „Natürlich wäre eine Grünbrücke teuer“, sagt Löffler. Die Kosten für das Bauwerk über die A21 etwa lagen bei rund 2,5 Millionen Euro. Die Kreisjägerschaft möchte dennoch weiter dafür kämpfen und sich auch im Planfeststellungsverfahren für die Querung stark machen. „Wir verstehen uns als Anwalt der Wildtiere“, sagt Heino Wriggers.