Bad Oldesloe. Experten sehen Möglichkeiten für einen gefahrlosen Wildwechsel in ehemaligem A1-Bahntunnel sowie der Travebrücke bei Reinfeld.
Die Alarmsignale des Landesjagdverbands hinsichtlich eines unzureichenden Schutzes für Rotwild in Stormarn hat nun auch die Kreispolitik erreicht. Im Nachgang eines ausführlichen Artikels zum Thema Mitte August im Abendblatt hat die SPD-Kreistagsfraktion einen Antrag eingebracht, in dem sie mehr Querungshilfen für das Wild anmahnt. „Die Verwaltung sollte zeitnah prüfen, wie die Tiere die Autobahnen 1 und 21 sowie die Bundesstraße 404 sicherer passieren können“, so Heinz Hartmann, umweltpolitischer Sprecher der Sozialdemokraten.
Rotwildpopulation im Norden sind enge Grenzen gesetzt
Wie bereits berichtet, hat das Bundesamt für Naturschutz einen Biotopverbund erarbeitet, der über eine sogenannte „Rotwildautobahn“ durch Schleswig-Holstein eine Verbindung der Lebensräume zwischen Mecklenburg-Vorpommern und Dänemark schaffen soll. Das liest sich in dem Papier gut, erweist sich in der Realität aber als äußerst problematisch.
Tatsächlich sind vor allem der rund 120 Exemplare zählenden Rotwildpopulation im Norden des Kreises durch Verkehrswege und eine ständige Ausweitung der Siedlungsgebiete enge Grenzen gesetzt. In Stormarn stellen insbesondere die Autobahnen 1, 21 und 24 Barrieren dar, die faktisch kaum zu überwinden sind.
Kreisjägermeister sieht in Stormarn akuten Handlungsbedarf
Das hat unter anderem zu ersten erkennbaren gentechnischen Defekten geführt. „Das Wild folgt seit langer Zeit bestimmten Pfaden, um sich untereinander auszutauschen. Mangelnde Migration verhindert das und führt letztlich zu Inzuchtdepression“, berichtet Kreisjägermeister Uwe Danger. So gebe es bereits zwei Rothirsche mit stark verkürzten Unterkiefern, ein typisches Symptom für aufkeimende Gendefekte.
Für den erfahrenen Waidmann besteht akuter Handlungsbedarf. „Über das Thema wird bereits seit zehn Jahren diskutiert, passiert ist aber nichts“, moniert Danger. Es sei nun höchste Zeit, schnell über konkrete Querungshilfen nachzudenken: „Weil es im Grunde für die Wildtiere schon fünf nach zwölf ist.“ Im Umweltausschuss des Kreises unterbreitete er jüngst gleich zwei ganz konkrete Vorschläge, die vorbehaltlich entsprechender Beschlüsse sogar relativ schnell und kostengünstig umsetzbar wären.
BahnRadWeg B müsste auf 400 Metern verlegt werden
Da ist zum einen die A 1-Unterführung der ehemaligen Eisenbahnlinie Bad Oldesloe-Trittau, westlich von Barkhorst. Aktuell verläuft auf der stillgelegten Trasse die Route B der Stormarner BahnRadWege. „Würde man den Radweg auf etwa 400 Metern an den Rohlfshagener Weg verlegen und dann über die Waldkoppel wieder auf die Bahntrasse zurückführen, wäre die Unterführung frei für die Wildtiere, die dann nach Norden in den angrenzenden Forst westlich der A 1 wandern könnten“, erklärt Danger.
Eine weitere Querungsmöglichkeit hatte Marcus Börner, Geschäftsführer des Landesjagdverbands Schleswig-Holstein, bereits vor zehn Jahren aufgezeigt. Dabei handelt es sich um die Travequerung der A 1 bei Reinfeld. „Durch den Ausbau könnte die Verbundachse Trave als Querung für Großsäuger multifunktional aufgewertet werden“, sagt Börner. Da die A 1-Trasse an dieser Stelle ohnehin auf einem Damm verlaufe, bestehe genügend Potenzial für eine Verbreiterung des bestehenden Brückenbauwerkes in Form einer Talbrücke.
Segeberger Brücke als beispielhafte Erfolgsgeschichte
Unabhängig davon sei aber eine Grünbrücke über die A 21 unverzichtbar. Bislang existiert auf Stormarner Kreisgebiet nur ein kleiner Wildtunnel in der Gemeinde Travenbrück, etwa einen Kilometer vor der Anschlussstelle Leezen. Aus Börners Sicht wäre ein potenzieller Standort für die Grünbrücke südlich von Blumendorf und westlich von Rümpel. „An dieser Stelle ist sie am ehesten umsetzbar, weil sich die angrenzenden Waldflächen im Eigentum der Landesforsten befinden und die Autobahn-Trasse ohnehin tiefer liegt als das Gelände rechts und links“, erläutert Börner.
Als beispielhafte Erfolgsgeschichte beurteilt Kreisjägermeister Uwe Danger die 2008 fertiggestellte A 21-Wildbrücke Kiebitzholm kurz vor Dalholm im Kreis Segeberg, die 2,6 Millionen Euro gekostet hat. „Nicht nur Damwild nutzt diesen künstlichen Korridor. Auch Fuchs, Dachs, Kriechtiere, Igel und Amphibien können sich genetisch austauschen und auf diese Weise die Artenvielfalt beidseitig der A 21 sichern“, so Danger.
Bis Ende Juli 602 Wildunfälle im gesamten Kreis Stormarn
Zudem sei die Zahl der Wildunfälle in diesem Bereich deutlich zurückgegangen. Das ist sie im ersten Halbjahr dieses Jahres auch in Stormarn. Bis Ende Juli registrierte die zuständige Polizeidirektion Ratzeburg 602, im gesamten Jahr 2019 waren es 1566 gewesen.
„Auch diese Zahlen verdeutlichen, dass es politischen Drucks bedarf, um die Situation für den Wildschutz deutlich zu verbessern“, sagt der Geschäftsführer des Landesjagdverbands, Marcus Börner. Der Bereich rund um das Kreuz Bargteheide sei bei diesem Thema nachweislich die größte Baustelle in ganz Schleswig-Holstein. „Auch deshalb, weil der Fokus bei den Umweltverträglichkeitsprüfungen für große Bauvorhaben oft nur auf dem Artenschutz für bedrohte Tiere liegt, die Migrationsmöglichkeiten für Wildtiere aber zu selten betrachtet werden“, so Börner.
In der jüngsten Umweltausschuss-Sitzung ist der SPD-Antrag übrigens schon einstimmig angenommen worden.