Ahrensburg/Bissee. Umstrittene Skulptur ist nach Abtransport aus Ahrensburg wieder öffentlich zu sehen. Warum sie einen neuen Anstrich bekommen hat.

Es ist knapp drei Monate her, dass der „Muschelläufer“Ahrensburg auf einem Anhänger des Bauhofs für immer verlassen hat. Nach jahrelangem Streit hatten sich die Schlossstadt und der Erschaffer des blauen Manns auf dem Schneckengehäuse, der Kieler Bildhauer Martin Wolke, geeinigt, dass dieser das ungeliebte Kunstwerk zurücknimmt. Was aus der knapp vier Meter hohen und 400 Kilogramm schweren Fiberglas-Plastik werden sollte, blieb offen.

Bis jetzt: Der „Muschelläufer“ hat ein neues Zuhause gefunden. Seit wenigen Tagen können Liebhaber ihn in dem kleinen Dorf Bissee (Kreis Rendsburg-Eckernförde) zwischen Kiel und Neumünster besichtigen. Dort ist der Muschelmann als Teil des Skulpturensommers am Bothkamper See zu sehen.

Umstrittene Skulptur: Ahrensburgs „Muschelläufer“ findet neues Zuhause

Die Werkschau wird seit 25 Jahren von dem Verein Skulptur in Bissee organisiert. Namhafte Künstler zeigen ihre Arbeiten unter freiem Himmel, in Form einer Landschaftsgalerie „ohne Wände und ohne Öffnungszeiten“. Ausstellungsfläche ist das gesamte Dorf: Einwohner der 160-Seelen-Gemeinde stellen dafür ihr Vorgärten, Landwirte ihre Felder zur Verfügung. Interessierte können die Skulpturen kostenfrei beim Schlendern durch den Ort entdecken. In diesem Jahr sind 29 Arbeiten von 21 Künstlern zu sehen.

„Der Muschelläufer ist zu schade, um nicht gezeigt zu werden“, sagt Karina Gloyer-Köpke vom Skulpturensommer-Verein. Die Vorgeschichte der Plastik sei allen bei der Konzeption der diesjährigen Ausstellung bewusst gewesen. „Wir haben natürlich mitbekommen, dass der Muschelläufer in Ahrensburg sehr unbeliebt war“, sagt sie. Nachvollziehen kann die Kunst-Expertin das nicht. „Er ist ein tolles Werk und es wert, gezeigt zu werden.“

Für die Ausstellung hat die Skulptur einen neuen Anstrich bekommen

Für die Ausstellung in Bissee hat Martin Wolke seine Schöpfung aufwendig saniert. Das Lautsprechersystem, welches bei einer Böllerattacke zerstört wurde, funktioniert nun wieder. Wer etwas in die Handmuschel hineinruft, hört das Echo gemeinsam mit Meeresrauschen aus dem großen Schneckenhaus erklingen. Sofort ins Auge sticht der neue Anstrich des „Muschelläufers“: Statt mit blauem Anzug und goldenem Haar ist die gesamte Skulptur jetzt olivgrün.

Die neue Farbe solle „reichhaltigen Interpretationsmöglichkeiten“ Raum geben, begründet Wolke die Änderung. Zusätzlich habe er seinem Werk auch eine aktuelle, weltpolitische Dimension geben wollen. „Das Grün weckt Assoziationen mit den Army Men, den kleinen grünen Plastiksoldaten, aus den 1950er-Jahren“, sagt der Bildhauer. Damit positioniere sich der „Muschelläufer“ in der weltpolitischen Lage als „präzise aktuell“.

In dem Dorf steht der „Muschelläufer“ auf dem Hof der Reeses

In Bissee hat die Skulptur einen prominenten Standort in der Dorfmitte, an der Zufahrt zum Hof des Ehepaares Reese, gefunden. „Mir gefällt die Größe, ich mag große Sachen“, sagt Stefanie Reese, die gemeinsam mit ihrem Mann seit mehr als 15 Jahren beim Skulpturensommer dabei ist und sich den „Muschelläufer“ bewusst ausgesucht hat. Die Bisseerin ergänzt: „Ich bin ein großer Sylt-Fan und Herr Wolke hat auch die Reisenden Riesen im Wind auf dem Bahnhofsvorplatz in Westerland geschaffen.“

Mit blauem Anzu und goldenem Haar: So kennen Ahrensburger den Muschelläufer.
Mit blauem Anzu und goldenem Haar: So kennen Ahrensburger den Muschelläufer. © Birgit Schücking

Das Meeresrauschen aus der Muschel erinnere sie an den Strand der Nordseeinsel und bedeute für sie „ein bisschen Urlaub“. Und nicht nur die Reeses scheinen an dem „Muschelläufer“ Gefallen gefunden zu haben. „Von Besuchern bekommen wir nur positives Feedback, besonders die Muschel-Funktion fasziniert viele“, sagt Stefanie Reese.

In Ahrensburg polarisierte Wolkes Werk von Beginn an

Ganz anders war es in Ahrensburg: Dort stand der Mann auf dem Schneckengehäuse ab August 2005 auf dem zentral gelegenen Rondeel in der Innenstadt. Der Muschelläufer war ein Geschenk des Rotary Clubs Ahrensburg anlässlich seines 25-Jährigen Bestehens. Eine Kommission aus Kunstexperten und Verwaltungsmitarbeitern hatte das 25.000 Euro teure Werk ausgewählt.

Doch die Plastik polarisierte von Beginn an. Nur wenige Tage nach der Enthüllung beschmierten Unbekannte den „Muschelläufer“ mit Graffiti. Es war der Beginn einer Serie: In den folgenden Monaten und Jahren wurde die Skulptur immer wieder Opfer von Vandalismus. Den Höhepunkt erreichte die Auseinandersetzung im Februar 2010, als Unbekannte einen Böller in der Handmuschel des Kunstwerks detonieren ließen, der das Innere der Plastikhand zerfetzte.

Stadt zahlte über die Jahre 30.000 Euro für Reparaturen

Immer wieder ließ die Stadt den Muschelmann reparieren, zahlte dafür über die Jahre rund 30.000 Euro. Im Mai 2010 beschlossen Ahrensburgs Politiker, künftig kein Geld mehr in die Skulptur zu investieren. Schäden wurden seitdem nur noch notdürftig geflickt. Als Gutachter der Verwaltung im November 2019 zu dem Schluss kamen, dass neue Risse in der Fiberglas-Figur deren Standsicherheit beeinträchtigen, ordnete der damalige Bürgermeister Michael Sarach an, den „Muschelläufer“ aus Sicherheitsgründen zu entfernen. Die Statue wurde auf dem Bauhof eingelagert.

In den Monaten darauf stritten die Stadt und Wolke darüber, wer die Kosten – nach Schätzung einer Spezialfirma aus Neumünster wären erneut 30.000 Euro notwendig gewesen – für die Reparatur zahlt. Im Januar einigten sich beide Seiten schließlich, dass Wolke den „Muschelläufer“ zurücknimmt, während Ahrensburg auf alle Ansprüche an dem Werk verzichtete.

Noch bis zum 15. Oktober ist der „Muschelläufer“ in Bissee zu sehen

Die Überlegungen, den Mann auf dem Schneckengehäuse nach Bissee zu holen, begannen laut Gloyer-Köpke unmittelbar nachdem der endgültige Abschied aus Ahrensburg besiegelt war. „Wir wollten den Muschelläufer unbedingt“, sagt sie. Der Verein habe bereits in den vergangenen Jahren häufig mit Martin Wolke zusammengearbeitet. „Wir kennen und schätzen ihn als Künstler sehr.“ Das Gehäuse, auf dem der Muschelläufer balanciert, sei eine Wellhornschnecke. „Sie steht für das Sinnbild eines bezugsfertigen Heimes, dient zum Beispiel Krebsen im Wattenmeer als Zuhause“, sagt Gloyer-Köpke.

Noch bis zum 15. Oktober ist Wolkes Werk auf dem Hof der Reeses zu sehen. Was danach mit dem Mann auf der Muschel geschieht, ist noch offen. „Es gibt mehrere Interessenten“, sagt Schöpfer Wolke. Mehr könne er derzeit aber noch nicht verraten.