Ahrensburg. Nach jahrelangem Streit einigen sich Stadt und Schöpfer des Kunstwerks. Skulptur kommt nicht zurück aufs Rondeel. Die Reaktionen.

Ahrensburg und der „Muschelläufer“ – nach etwas mehr als 17 Jahren geht die Geschichte dieser Hassliebe zu Ende, die sich immer mehr zur Posse entwickelt hat. Seit Mittwoch ist bekannt: Der in blau gekleidete Mann auf dem Schneckenhaus, der bereits seit Februar 2020 wegen erheblicher Schäden, die die Standsicherheit der Skulptur gefährden, auf dem Gelände des Bauhofs steht, wird nicht wieder auf das Rondeel zurückkehren.

Die Stadt Ahrensburg und der Schöpfer der Figur, der Kieler Bildhauer Martin Wolke, haben sich auf einen Vergleich verständigt: Wolke nimmt den knapp vier Meter hohen und 400 Kilogramm schweren Koloss zurück, im Gegenzug übernimmt die Schlossstadt die Transportkosten in Höhe von 2000 Euro und verzichtet auf sämtliche Eigentums- und Nutzungsrechte am „Muschelläufer“.

Politik und Kaufleute in Ahrensburg reagieren auf Aus für „Muschelläufer“

Laut dem Kontrakt, der unserer Redaktion vorliegt, erklärt Wolke zudem, künftig „keine vertraglichen, urheberrechtlichen oder sonstigen Ansprüche gegen die Stadt geltend zu machen“. Dies umfasse auch Ansprüche auf Reparatur der Skulptur, Schadensersatz, Schmerzensgeld und das Recht auf eine erneute Aufstellung des „Muschelläufers“ in Ahrensburg. „Dieses Angebot hat mir Herr Wolke während eines persönlichen Gesprächs unterbreitet“, sagt Ahrensburgs Bürgermeister Eckart Boege. Er halte es „unter den gegebenen Umständen für eine gute Lösung“.

Damit spielt der Verwaltungschef auf die immensen Kosten an, die Ahrensburg in den vergangenen Jahren für Reparaturarbeiten an dem Kunstwerk infolge wiederholter mutwilliger Beschädigungen bezahlt hat. Mehr als 10.000 Euro sind seit der Enthüllung der Plastik im August 2005 geflossen. Die Skulptur war damals ein Geschenk des Rotary Clubs Ahrensburg anlässlich seines 25-jährigen Bestehens. Eine Kommission aus Kunstexperten und Verwaltungsmitarbeitern hatte das 25.000 Euro teure Werk ausgewählt.

Die Figur Wolkes hat von Beginn an polarisiert

Doch der „Muschelläufer“ polarisierte von Beginn an, die Ablehnung unter vielen Ahrensburgern war groß. Was hat ein „Muschelläufer“ im Binnenland verloren, fragten sich viele Menschen. Schon bei der Enthüllung konnte Ahrensburgs damalige Bürgermeisterin Ursula Pepper darauf keine Antwort geben. „Ich hoffe, dass er hier eine Heimat findet“, sagte die Verwaltungschefin damals. Heute möchte Pepper, selbst Rotarierin und damals große Befürworterin des Kunstwerks, das Aus für den „Muschelläufer“ auf Anfrage nicht kommentieren.

Der derzeitige Präsident des Rotary Clubs, Thomas Rohde, ließ eine Anfrage unserer Zeitung unbeantwortet. Der Verein hatte sich im Juli 2019 im Gespräch mit dem Abendblatt erstmals selbstkritisch geäußert. „Der Muschelläufer war für uns ein PR-Desaster“, gestand Mitglied Stefan Rössle rückblickend ein.

Künstler beharrt auf Standort seines Werks auf dem Rondeel

Denn heimisch wurde das Kunstwerk aus Sicht vieler Bürger nie. Im Gegenteil: Der „Muschelläufer“ blieb ein Fremdkörper. Wegen der massiven Kritik und dem wiederholt gewaltsamen Vorgehen einzelner Gegner der Figur diskutierten Ahrensburgs Politiker mehrfach über eine Versetzung, doch die Pläne scheiterten am Veto Wolkes, der als Schöpfer des Kunstwerks das Urheberrecht innehat. Dieses, so die Einschätzung der Juristen im Ahrensburger Rathaus, beinhalte auch die Entscheidung über den Standort, da der „Muschelläufer“ eigens für das Rondeel konzipiert worden sei. Das Urheberrecht erlischt erst 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers.

Als Gutachter der Verwaltung im November 2019 zu dem Schluss gekommen waren, dass neue Risse in der Fiberglas-Figur deren Standsicherheit beeinträchtigen, zog der damalige Bürgermeister Michael Sarach die Reißleine und ließ den „Muschelläufer“ auf den Bauhof bringen. Schon Jahre zuvor war die eigentlich als „bespielbares Kunstwerk“ gedachte Figur für Kinder gesperrt worden.

Seit 2020 streiten Stadt und Bildhauer über Reparaturkosten

Seit 2020 stritten Stadt und Künstler darum, wer für eine Reparatur des „Muschelläufers“ aufkommen muss. Ahrensburg sah neben den Folgen von Vandalismus auch einen Konstruktionsfehler als Ursache der Schäden, weshalb Wolke sich an den Reparaturkosten beteiligen müsse. Der Kieler Bildhauer lehnte das ab, drohte mit einem Gang vor Gericht.

Seitdem hatte die Verwaltung mit Wolke um eine einvernehmliche Lösung gerungen. Die Verhandlungen gerieten jedoch zwischenzeitlich ins Stocken. Mit dem Wechsel an der Rathausspitze von Sarach zu Boege im Mai 2022 ist offenbar wieder Bewegung in die Debatte gekommen. Boege hat nach eigenen Angaben mehrfach mit Wolke telefoniert. „Wir haben einen guten Austausch gepflegt, und ich bin Herrn Wolke sehr dankbar für seine Bereitschaft“, sagt Boege. Der Hauptausschuss muss dem Vergleich am Montag, 16. Januar, noch zustimmen. Das gilt allerdings als Formsache.

Bürgermeister „seh traurig“ über endgültigen Abschied

Der Bürgermeister zeigt sich erleichtert, dass ein Rechtsstreit nun abgewendet ist. Gleichzeitig bedauert Boege das endgültige Aus für das Kunstwerk. „Ich persönlich bin sehr traurig, dass der Muschelläufer Ahrensburg verlässt“, sagt der Verwaltungschef. Für ihn habe die Figur „wesentlich zu Ahrensburg dazugehört“. Der Bürgermeister betont: „Aus meiner Sicht darf Kunst auch polarisieren.“

Im Fall des „Muschelläufers“ habe es sich aber zum Schluss um ein „wesentlich beschädigtes Kunstwerk“ gehandelt, das der ihm zugedachten Funktion, bespielbar zu sein, nicht mehr gerecht geworden sei. Die materielle Beschaffenheit habe zudem einen „dauerhaften, erheblichen Erhaltungsaufwand“ absehbar gemacht. „Nun hat Martin Wolke die Möglichkeit, sein Werk zu reparieren und anschließend an einem anderen Ort wieder öffentlich auszustellen“, so Boege.

Martin Wolke ist für nicht für eine Stellungnahme erreichbar

Was nach dem Abtransport aus dem „Muschelläufer“ wird, ist unklar. Martin Wolke war am Mittwoch nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Offen bleibt deshalb auch, was den plötzlichen Kurswechsel des Künstlers, der bislang auf eine Rückkehr seines Werks auf das Rondeel gepocht hatte, bewirkt hat.

In der Ahrensburger Politik überwiegt die Erleichterung über die Einigung. „Den Muschelläufer wieder aufzustellen wäre mit Folgekosten verbunden, die wir der Stadt nicht mehr zumuten möchten“, sagt die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Nadine Levenhagen. Das sieht CDU-Fraktionschef Detlef Levenhagen ähnlich. Aus finanzieller Sicht sei aber lange klar gewesen, dass der „Muschelläufer“ nicht dauerhaft auf dem Rondeel habe stehen bleiben können. SPD-Fraktionschef Jochen Proske ist vor allem froh, dass sich Ahrensburgs Politik „nun wieder mit wichtigeren Dingen befassen kann“. Er sagt: „Diese Debatte hat in den vergangenen Jahren sehr viel Zeit beansprucht.“

Unter Ahrensburg Politikern hat die Skulptur auch Befürworter

Doch in der Frage, ob Ahrensburg mit dem „Muschelläufer“ nicht auch ein prägendes Kunstwerk verloren geht, sind die Fraktionen gespalten. „Der Muschelläufer war in aller Munde, dieses Ziel hat er erfüllt“, sagt der CDU-Fraktionsvorsitzende Levenhagen. Der Fraktionsvorsitzende der Linken, Erik Schrader, gibt sich gar als Fan der umstrittenen Figur zu erkennen. „Ich fand den Muschelläufer eigentlich ganz schön, vor allem, als die Kinder noch darauf spielen konnten“, sagt er.

Von FDP und Wählergemeinschaft WAB kommt indes rückblickend auch Kritik am Umgang mit Werk und Künstler in den vergangenen Jahren. „Ich konnte diese kunstfeindliche Diskussion nie nachvollziehen“, sagt WAB-Fraktionschef Peter Egan. Ein Kunstwerk müsse nicht jedem gefallen. Für sein FDP-Pendant Thomas Bellizzi haben alle Beteiligten in der Debatte „kein gutes Bild“ abgegeben.

Händler am Rondeel werden „Muschelläufer“ nicht vermissen

„Über Kunst kann man streiten, aber dafür, dass es sich um ein Geschenk gehandelt hat, war der Umgang damit bedauerlich“, sagt der Liberale. Ahrensburg müsse deutlich machen, dass es sich um einen „Sonderfall“ handele und dies nicht die Weise sei, auf die die Stadt normalerweise mit Geschenke umgehe. „Als Stadtverordnete müssen wir unsere Lehren daraus ziehen uns sehen, dass wir bei künftigen Schenkungen im Vorfeld genauer hinschauen“, fordert Bellizzi. Nichtsdestotrotz begrüßt der FDP-Fraktionsvorsitzende den „längst überfälligen Schlussstrich“ unter der Debatte.

Meinung:Was vom „Muschelläufer“ bleibt – das Vermächtnis einer Plastik-Plastik

Klar ist jedenfalls die Meinung unter den Händlern mit Geschäften am Rondeel, die den „Muschelläufer“ jahrelang direkt vor ihrer Tür hatten. „Das Ding war einfach hässlich“, sagt Claudia Pfnister, Inhaberin des Blumengeschäfts „Blumen & Ambiente“. Sie sagt: „Er hatte schlicht nicht viel mit Ahrensburg zu tun.“ Auch Andreas Werning, der ein Juweliergeschäft am Rondeel betreibt, wird die Skulptur „nicht vermissen“. Der Geschäftsmann sagt: „Ich konnte mit der Figur auskommen, und jetzt kann ich auch gut ohne leben.“

Ein ungeliebtes Geschenk – eine Chronik

13. August 2005: Der Muschelläufer wird im Beisein von Ahrensburgs damaliger Bürgermeisterin Ursula Pepper und Künstler Martin Wolke feierlich enthüllt. Die Statue polarisiert von Beginn an.
27. August 2005: Nur wenige Tage nach der Enthüllung beschmieren Unbekannte den Muschelläufer mit rotem und schwarzem Graffiti. Die Polizei ermittelt wegen Sachbeschädigung. Die Stadt lässt die Schmierereien für 300 Euro entfernen.
24. Oktober 2005: Der Hauptausschuss befasst sich mit der anhaltenden Kritik. Die Politiker entscheiden: Der Muschelläufer bleibt.
28. November 2005: Der Ahrensburger Schriftsteller Harald Dzubilla überreicht Bürgermeisterin Pepper in der Einwohnerversammlung 1600 Unterschriften von Gegnern des Kunstwerks. Auch über eine Versetzung der Skulptur an einen anderen Standort wird debattiert.
26. Januar 2006: Erneut machen sich Unbekannte am Muschelläufer zu schaffen. Gegner des Kunstwerks versuchen, den es mit einer Brechstange vom Sockel zu kippen. Sie demolieren den linken Fuß der Statue. Der Kunststoff platzt auf, ein Riss zieht sich das Bein hinauf.
28. Januar 2006: Der Kinder- und Jugendbeirat veranstaltet den „Muschellauf“. Der sportliche Wettkampf soll die Ahrensburger zur humorvollen Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk anregen.
März 2006: Martin Wolke schaltet sich in die Debatte ein. Er fordert einen Verbleib des Muschelläufers auf dem Rondeel und beruft sich auf das Urheberrecht. Der Muschelläufer wird zur Reparatur in das Atelier Wolkes gebracht. Die Stadt muss für die Kosten in Höhe von 6500 Euro aufkommen. Im Mai kehrt die Statue auf das Rondeel zurück.
Mai 2006: Die CDU bringt einen Bürgerentscheid über den Standort des Muschelläufers ins Gespräch. Doch es stellt sich heraus, dass ein solcher rechtlich nicht zulässig ist.
Februar 2007: Der Bauausschuss spricht sich dafür aus, den Muschelläufer auf den Bahnhofsvorplatz zu versetzen, um den Streit zu entschärfen. Wolke lehnt das ab, das Kunstwerk bleibt auf dem Rondeel.
2008: Erneut wird über einen Umzug des Muschelläufers diskutiert, diesmal ans Ende der Hagener Allee. Wolke stimmt zu. Einzige Bedingung: Auf dem Rondeel sollte künftig nur ein Ersatzkunstwerk aufgestellt werden dürfen, das aus seiner Feder stammt. Die Politiker wollten diese Zusage nur für zehn Jahre geben. Das verärgert den Künstler und er rückt von seiner Zustimmung zu der Versetzung ab.
Mai 2009: Erneut wird der Muschelläufer beschmiert. Grüne Farbe ziert den Fuß des Kunstwerks. Diese zu entfernen, kostet Ahrensburg 300 Euro.
Februar 2010: Unbekannte verüben einen weiteren Anschlag auf den Muschelläufer. Sie deponieren einen Sprengsatz in der Handmuschel, der das Innere der Plastikhand zerfetzt. Es ist eine weitere Eskalationsstufe in dem Konflikt.
Mai 2010: Ahrensburg investiert künftig kein Geld mehr in Reparaturarbeiten am Muschelläufer. Das beschließt der Hauptausschuss. Lediglich notwendige Arbeiten zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit sollen noch vorgenommen werden. Die beschädigte Handmuschel wird notdürftig mit Klebeband geflickt. Nach dem Beschluss wird es für mehrere Jahre ruhig um die Skulptur.
8. Januar 2014: Erneut wird der Muschelläufer Ziel von Vandalismus. Mit Böllern beschädigen Unbekannte die große Muschel. Mitarbeiter des Bauhofs kleben sie provisorisch wieder zusammen.
18. Februar 2020: Überraschend verschwindet der Muschelläufer vom Rondeel. Mitarbeiter des Bauhofs holen die Statue ab und lagern sie auf dem Gelände der Stadtbetriebe im Gewerbegebiet ein. Der Grund: Gutachter waren zu dem Schluss gekommen, dass die Standsicherheit der Skulptur durch neue Risse nicht mehr gewährleistet sei. Bürgermeister Michael Sarach ordnet daraufhin an, das Kunstwerk zu entfernen.
Juni 2020: Experten aus Neumünster kommen zu dem Schluss, dass der Muschelläufer ein Totalschaden ist. Die Kosten für eine Reparatur schätzen sie auf rund 30.000 Euro. Ahrensburg möchte nur zahlen, wenn sich Martin Wolke beteiligt. Dieser lehnt ab, es droht ein Rechtsstreit.
Oktober 2020: Der Bund der Steuerzahler rügt den Muschelläufer in seinem Schwarzbuch als Beispiel für die Verschwendung von Steuergeld und verhilft dem Kunstwerk damit zu bundesweiter Bekanntheit. „Auch ein geschenktes Kunstwerk kann teuer werden für die Stadt“, so der Verein.