Ahrensburg. Umstrittene Skulptur verlässt die Schlossstadt auf dem Anhänger eines Lkw. Wo die Fahrt endet und was nun mit ihr passiert.
Es ist ein Stück Stadtgeschichte, das am Mittwochmorgen in Ahrensburg zu Ende geht: Gegen kurz nach 9.30 Uhr rollt der orangefarbene Lkw der Stadtbetriebe vom Gelände des Bauhofs an der Kurt-Fischer-Straße. Im Schlepptau hat er einen Tieflader, an Bord: der Muschelläufer. Das umstrittene Kunstwerk verlässt die Schlossstadt für immer. „Außer es findet sich ein privater Abnehmer, der ihn sich in den Vorgarten stellen möchte, man weiß ja nie“, sagt Bauhofleiterin Sieglinde Thies zum Abschied mit einem Augenzwinkern.
Mit der Abreise der Skulptur endet in Ahrensburg nach 17 Jahren eine Debatte, die sich immer mehr zur Posse entwickelt hatte. Dass das Werk des Kieler Bildhauers Martin Wolke für Kontroversen sorgen würde, war wie bei den meisten Kunstgegenständen durchaus eingepreist, als es im August 2005 auf dem Rondeel enthüllt wurde. Der Muschelläufer war ein Geschenk des Rotary Clubs Ahrensburg anlässlich seines 25-Jährigen Bestehens. Eine Kommission aus Kunstexperten und Verwaltungsmitarbeitern hatte das 25.000 Euro teure Werk für den zentralen Platz im Stadtzentrum ausgewählt.
Umstrittene Skulptur: Muschelläufer aus Ahrensburg abtransportiert
Doch die Skulptur polarisierte von Beginn an. Was hat ein „Muschelläufer“ im Binnenland verloren, fragten sich viele Menschen. Schon bei der Enthüllung konnte Ahrensburgs damalige Bürgermeisterin Ursula Pepper darauf keine Antwort geben. „Ich hoffe, dass er hier eine Heimat findet“, sagte die Verwaltungschefin damals. Die fand der Mann auf der Muschel, die eigentlich eine Schnecke ist, nie. Viele Ahrensburger finden den Muschelläufer unpassend, gar abstoßend.
Nur wenige Tage nach der Enthüllung beschmieren Unbekannte den Muschelläufer mit rotem und schwarzem Graffiti. In den folgenden Monaten und Jahren wird die Skulptur immer wieder Opfer von Vandalismus. Den Höhepunkt erreicht die Auseinandersetzung im Februar 2010, als Unbekannte einen Böller in der Handmuschel des Kunstwerks detonieren lassen, der das Innere der Plastikhand zerfetzt.
Stadt zahlte mehr als 30.000 Euro für Reparaturen
Mehr als 30.000 Euro hat Ahrensburg ausgegeben, um den Muschelmann immer wieder reparieren zu lassen. Mehrfach befassen sich die Kommunalpolitiker in der Schlossstadt mit einer Versetzung des Kunstwerks. Ein weniger prominenter Standort könnte den Konflikt entschärfen, so die Hoffnung. Doch der Justiziar der Stadt kommt zu der Einschätzung, dass es dazu der Zustimmung Wolkes bedarf, der das Urheberrecht innehat. Mehrere Versuche, den Muschelläufer zu versetzen, scheitern am Widerstand des Künstlers, der auf den Standort auf dem Rondeel pocht.
Im Mai 2010 ziehen Ahrensburgs Politiker die Reißleine und beschließen, künftig kein Geld mehr in die Skulptur zu investieren. Schäden werden nur noch notdürftig von Bauhofmitarbeitern mit Klebeband geflickt. Durch Kinder bespielbar, wie es ursprünglich in der Ausschreibung stand, ist das Kunstwerk da wegen der Beschädigungen schon lang nichte mehr.
Bürgermeister ließ Kunstwerk wegen Sicherheitsbedenken entfernen
Als Gutachter der Verwaltung im November 2019 zu dem Schluss kommen, dass neue Risse in der Fiberglas-Figur deren Standsicherheit beeinträchtigen, ordnet der damalige Bürgermeister Michael Sarach an, den Muschelläufer aus Sicherheitsgründen zu entfernen. Die Statue wird auf dem Bauhof eingelagert, wo sie bis Mittwoch geblieben ist. Experten aus Neumünster kommen zu dem Schluss, dass das Kunstwerk ein Totalschaden ist. Die Kosten für eine Reparatur schätzen sie auf rund 30.000 Euro.
Ahrensburg möchte jedoch nur zahlen, wenn sich Martin Wolke beteiligt, und verweist auf Konstruktionsfehler, welche für einen Teil der Schäden verantwortlich seien. So sei die Skulptur mit Bauschaum ausgefüllt worden, in welchem sich Wasser einlagere, das bei Frost zum Aufplatzen der Fiberglasskulptur geführt habe. Als der Künstler das ablehnt, droht ein Rechtsstreit.
Martin Wolke einigt sich mit Stadt und nimmt Skulptur zurück
Erst in diesem Januar können die Stadt und Wolke den Konflikt beilegen. Der Bildhauer erklärte sich bereit, den Muschelläufer zurückzunehmen, wenn Ahrensburg die Transportkosten in Höhe von 2000 Euro übernimmt und auf das Eigentum und sämtliche Nutzungsrechte an der Skulptur verzichtet. Die Stadtverordneten stimmten der Einigung wenig später zu.
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Bevor es losgeht, heben Bauhofmitarbeiter den knapp vier Meter hohen und 400 Kilogramm schweren Koloss mit einem Kran auf den Anhänger. Anschließend wird das Kunstwerk mit mehreren Gurten verzurrt, damit es während der Fahrt über die Autobahn nicht umfallen kann. Transportiert wird der Muschelläufer nicht auf der Ladefläche des Bauhof-Lkw, sondern auf einem niedrigeren Anhänger. „Sonst bekommen wir wegen der Höhe ein Problem mit den Brücken, wenn wir darunter durchfahren“, sagt Bauhofleiterin Thies.
Der Bildhauer will den Muschelläufer reparieren lassen
Ihr Team hat schon Erfahrung, was den Transport des Muschelläufers anbelangt. Fünfmal haben die Mitarbeiter des Bauhofs das Kunstwerk schon zu Reparaturwerkstätten und Gutachtern gefahren. Diesmal geht es nach Neumünster. „Wir bringen ihn zu einer Spezialfirma, die mit Herrn Wolke zusammenarbeitet“, sagt Thies. Was dort mit der Skulptur geschehe, wisse sie nicht.
Martin Wolke sagt auf Anfrage, der Muschelläufer solle dort repariert werden. Ob das Werk anschließend erneut an einem anderen Ort aufgestellt wird und sich schon ein Abnehmer gefunden hat, möchte der Bildhauer noch nicht preisgeben. Sollte dem so sein, erhielte der neue Eigentümer jedenfalls ein Kunstwerk, das mit Sicherheit nicht zu wenig Aufmerksamkeit bekäme.