List auf Sylt/Hamburg. Bestsellerautorin Dora Heldt über Punks, die verloren gegangene Leichtigkeit der Insel und ihre Abkehr vom klassischen Sylt-Roman.
Ein gutes Dutzend Bücher hat Dora Heldt geschrieben – alle sehr erfolgreich. Dass einige ihrer Romane und Krimis auf Sylt spielen, ist kein Zufall. Die gebürtige Sylterin verbindet eine lebenslange Liebe mit der Nordseeinsel. Den Namen, unter dem sie einen Bestseller nach dem anderen produziert ("Urlaub mit Papa", "Tante Inge haut ab", "Drei Frauen – vier Leben"), hat sich von ihrer Lister Großmutter ausgeborgt.
Eigentlich heißt sie Bärbel Schmidt und lebt seit vielen Jahren in Hamburg. Trotzdem hat sie keinen Sylt-Aufkleber am Auto. "Das würde ich für kein Geld machen", sagt die 61-Jährige, die einmal im Monat bei ihrer Familie auf der Insel ist.
Im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt spricht sie über das Sylt ihrer Kindheit, das Geschäft mit den Urlaubern und Inselorte, an denen sie Frieden findet.
Hamburger Abendblatt: Sie sind auf Sylt geboren, Sie haben viele Sommer auf der Insel verbracht und besuchen regelmäßig Ihre Eltern. Ihre spontane Einschätzung: In welchem Zustand ist Sylt?
Dora Heldt: Es ist all die Jahre von allem immer ein bisschen viel gewesen. Jetzt schwappt es über. Die Probleme sind bekannt: Wohnungsnot, Personalmangel, Marschbahn. Das ist alles miteinander verknüpft, weil viel zu lange nichts gemacht wurde. Jetzt muss sich etwas ändern. Die letzten Sommer mit dem enormen Andrang auf der Insel nach Corona waren extrem schwierig für Insulaner, aber auch für die Gäste. Es ist einfach viel zu voll.
Heißt das, dass die Besucherzahlen auf Sylt begrenzt werden sollten?
Das geht nicht. Aber es ist in den vergangenen Jahren zu viel gebaut worden. Da ist vieles genehmigt worden, was vor 20 Jahren gar nicht möglich gewesen wäre. Vor zwanzig Jahren war es schon schwierig, für ein Vordach eine Baugenehmigung zu bekommen, weil es Bestandschutz gab. Heute wird auf jeder Ecke gebaut, auf kleinen Grundstücken entstehen gleich mehrere Häuser unterschiedlicher Architektur. Und es wird immer enger. Mein Eindruck ist, dass über die Konsequenzen nicht so genau nachgedacht wurde.
Haben Sie konkrete Lösungsvorschläge?
Man muss über den Verkehr nachdenken. Auch wenn es immer mehr Betten gibt, werden es ja nicht mehr Straßen. Auf Norderney zum Beispiel dürfen Urlauber zu bestimmten Zeiten nicht fahren. Wenn man von der Fähre kommt, hat man eine Stunde, um von der Fähre ins Hotel zu kommen. Dann muss das Auto auf einem Parkplatz abgestellt sein. Dafür ist Sylt sicherlich zu groß, das ging nur mit einem anderen Öffentlichen Nahverkehr. Mit anderen Tarifen und einer anderen Taktung.
Das Bürgernetz „Merret reicht’s“ prangert genau diese Themen an.
Ja, ich bin der Meinung, dass die Insulaner sich mehr zusammenschließen sollten. Ob das über ein Bürgernetz funktioniert, weiß ich nicht. Sie müssten sich wahrscheinlich auch politisch in den Gemeinderäten engagieren, um da die Entscheidungen mitzubestimmen. Wenn man mit der politischen Arbeit auf der Insel unzufrieden ist, kann man es nur ändern, wenn man mitmacht.
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Das ist Innensicht. Sylt bewegt die Menschen auch weit über die Inselgrenzen hinaus. Das hat die Insel gerade mit den Punks erlebt, die im Sommer mit dem 9-Euro-Ticket auf die Insel gekommen sind und bundesweit für Schlagzeilen gesorgt haben. Haben Sie das verfolgt?
Das ist doch nur aufgrund von wirklich dämlichen Schlagzeilen und einer wilden Social-Media-Kampagne entstanden. Natürlich ist es idiotisch, wenn Leute wild campieren, alles vollmüllen und randalierend durch die Straßen ziehen. Aber es waren ja nur einige der angereisten Punks, wirklich nicht alle. Und es ging ohnehin vielleicht um 150 Punks, die im Sommer da waren, was gegen die Zahl von geschätzt 5000 Tagesgästen und vier Millionen touristischen Übernachtungen eher ein Witz ist. Dass es so hochgekocht ist, hat etwas mit Häme zu. Und mit Neid. Jeder kann in den Sozialen Medien seine moralische Meinung rausblasen – gegen die blöden Reichen, die blöden Zweitwohnungsbesitzer, die blöden Prominenten. Das war mir alles zu viel.
Hat die Inselpolitik Fehler gemacht?
Mir tat es leid für die Gastronomen und die Läden, die direkt betroffen waren. Die Verwaltung hätte das anders regeln müssen. Es war ja nicht so, dass die ganze Insel von Randalieren überflutet wurde. Es war nur Westerland betroffen. Aus meiner Sicht war das Ereignis nicht so groß wie die Empörung.
Arm und reich – das ist ja schon ein wichtiges Thema im Moment.
Das ist in Hamburg doch nicht anders. Aber es ist nicht so extrem dicht beieinander, wie auf Sylt. Und es gibt auf der Insel schon ein extrem hohes Gefälle. Da dominiert ein Anwesen wie der Landserhof den Ortseingang von List und die wenigsten kennen Leute, die sich dort einen Aufenthalt leisten können. Mein Eindruck ist allerdings, dass viele, die sich darüber empören, noch nie auf Sylt waren. Es ist ja auch nicht so, dass alle auf der Insel den ganzen Tag Champagner trinken.
Sylt ist ein Sehnsuchtsort, vor allem wegen der einzigartigen Natur. Mit welchem Gefühl kommen Sie auf die Insel?
Ich habe immer noch das gleiche Gefühl wie in meiner Kindheit. Ich bin erleichtert, wenn ich im Zug oder auf der Fähre bin. Und ich bin froh, wenn ich da bin. Es ist das Gefühl: Hier bin ich richtig. Sylt ist eine Konstante in meinem Leben. Und wenn ich auf der Strecke zwischen Westerland und List am Ortsausgang von Kampen das Quermarkenfeuer sehe, geht mir das Herz auf. Diese Insel ist immer noch ein Traum.
Trotz aller Veränderungen?
Es gibt auch Orte, die sich in den vielen Jahren nicht verändert haben. Diese besondere Stimmung am Ellenbogen zum Beispiel. Die ist heute genauso, wie ich es als Zehnjährige erlebt habe. Die Natur ist stärker. Das bleibt für mich, egal wie es mir geht. Ich bin nicht in Kampen, ich gehe nicht auf Promipartys. Schade finde ich nur, dass diese Leichtigkeit verloren gegangen ist, die die Insel früher hatte. Es sind andere Leute, die heute kommen.
Wie meinen Sie das?
Heute kommen viele Urlauber nicht mehr für zwei oder drei Wochen, sondern oft nur ein Wochenende. Die wollen nicht drei Stunden aufs Wasser gucken, sondern andere treffen. Durch diese Umtriebigkeit, wenn alle drei Tage Bettenwechsel ist, wird die Stimmung hektischer. Niemand hat mehr Zeit, alle müssen möglichst schnell möglichst viel erleben. Und wenn das nicht klappt, weil das Restaurant ausgebucht oder das Wetter schlecht ist, entsteht ziemlich schnell schlechte Laune.
Einige Ihrer Bücher haben Sie auf der Insel angesiedelt. Beschreiben Sie darin ein Sylt von früher? Ein Sylt, dass Sie in Erinnerung halten wollen?
Auf Sylt spielen nur zwei oder drei meiner Romane. Und der Grund ist ganz unromantisch. Ich bin sehr recherchefaul. Wenn ich reale Orte beschreibe, ist es für mich auf der Insel einfach. Ich muss nichts nachschlagen, weil ich es kenne. Anders als am Anfang schreibe ich jetzt keine klassischen Sylt-Romane mehr. Ich nenne keine Orte oder Namen. Aber wenn es Familiengeschichten sind, schwingt die Stimmung mit und der Zusammenhalt im Dorf, den ich aus meiner Kindheit von Besuchen bei meiner Großmutter kenne.
Ende November kommen Sie für eine Benefizlesung aus Ihrem Sylt-Weihnachtskrimi-Komödie „Geld oder Lebkuchen“ auf die Insel. Der Erlös geht an die Aktion „Weihnachtspakete für Sylter Kinder“. Was steckt dahinter?
In dem Buch geht es darum, dass ein Filialleiter einer Bank mit Spenden für bedürftige Kinder verschwindet. Mein Protagonist, Rentner Ernst Mannsen, will das Geld wieder beschaffen und überfällt eine Bank. Aber es klappt auch beim dritten Versuch nicht. Letztlich bekommt er das Geld anders zusammen. Das Buch ist im August 2021 erschienen. Zufällig habe ich kurz danach in der Lokalpresse gelesen, dass die Morsumerin Sylta Schmidt Probleme hat, Spenden für ihre Weihnachtspaket-Aktion zusammenzubekommen. Ich dachte nur, dass ist ja genau meine Geschichte. Jetzt denken die, ich hätte die Idee geklaut. Ich habe Frau Schmidt angerufen und so ist die Idee für die Benefiz-Lesung entstanden. Man will es nicht glauben, aber es ist jedes Jahr schwierig, das Geld zusammenzubekommen.
Können Sie sich vorstellen, auf Sylt zu leben?
Mittlerweile nicht mehr. Ich sehe es ja in meiner Familie, sobald es um größere gesundheitliche Probleme geht, muss man aufs Festland, weil vieles auf der Insel nicht geht. Es gibt Nachfolgeprobleme, so dass Läden und Apotheken schließen. Wenn ich nicht mehr Auto fahren kann, bin ich in einigen Orten verloren. Das ist sicherlich nicht anders als in Dörfern auf dem Festland, aber hier könnte es sich auch wieder ändern. Das ist zumindest meine Hoffnung.