Westerland. Jeder gegen jeden. Politiker und Bürger streiten sich um Verwaltung der fünf Amtsgemeinden – derzeit ohne Hoffnung auf Besserung.

Die Sitzung im Rathaus von Westerland auf Sylt lief schon eine ganze Weile, da platzte es aus Lars Schmidt (Fraktion Zukunft) heraus. „Es geht hier um Kommunikation, da versagen alle. Wir reden nicht miteinander, sondern gegeneinander, teilweise in einem ätzenden Ton.“ Wie treffend.

Die hitzige Debatte in der Gemeindeversammlung um die Einführung des „Amtsmodells“ auf Sylt, eine Neuordnung der Verwaltung auf der Insel, war geprägt von gegenseitigen Vorwürfen, persönlichen Scharmützeln. Dass ausgerechnet bei dieser wichtigen Sitzung die Lautsprecheranlage den Dienst versagte, passte ins Bild.

Wenn an diesem Abend Einigkeit über etwas bestand, dann über die Uneinigkeit. Jeder gegen jeden. „Das ist kein Aushängeschild, wie wir miteinander umgehen“, rügte auch Versammlungsleiter Frank Zahel. Politisch, das wurde deutlich, ist Sylt eine zerstrittene Insel, derzeit ohne Hoffnung auf Besserung.

Sylt-Zoff: „Was hier abläuft, ist respektlos“

Sieben Fraktionen gehören zur Vertretung der Gemeinde Sylt – doch eigentlich war auch eine achte „Fraktion" anwesend – die 60 Bürgerinnen und Bürger, die verfolgten, ob der Antrag der CDU und der Sylter Wählergemeinschaft (SWG) angenommen wird, die Verwaltung auf der Insel zu reformieren.

Dass viele Zuschauer Sympathisanten des Bürgernetzwerks „Merret reicht’s aus Liebe zu Sylt“ sind, die gegen das sogenannte „Amtsmodell“ sind, wurde durch Wortmeldungen zu Beginn schnell deutlich. Es wurde geklatscht, geraunt, kommentiert – wie bei einer Wahlveranstaltung in einem Festzelt.

„Was hier abläuft, ist respektlos, Klatschen ist hier nicht erlaubt", echauffierte sich Holger Flessau (CDU), „2023 sind Kommunalwahlen. Alle, die glauben, es besser zu machen, können ja antreten. Einfach ungehörig!“ Jeder gegen jeden, das betraf auch Politiker und Einheimische.

Die zentrale Frage an diesem Abend lautete, ob es die Struktur ist, die die Zusammenarbeit auf der Insel zu schwierig macht, oder es die handelnden Personen sind. Von außen betrachtet trifft beides zu. In jedem Fall geht es, wie meistens, um das Ringen um Macht.

Gemeinde Sylt übernimmt Verwaltungsarbeit für die vier anderen Amtsgemeinden

So ist die Konstellation derzeit: Zur „Gemeinde Sylt" gehören die Orte Archsum, Keitum, Morsum, Rantum, Tinnum, Munkmarsch und Westerland. Die Verwaltung der „Gemeinde Sylt" sitzt in Westerland, Chef ist Bürgermeister Nikolas Häckel (parteilos, direkt von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt).

Die vier weiteren Amtsgemeinden List, Kampen, Wenningstedt-Braderup und Hörnum haben eigene Bürgermeister, bilden über das „Amt Landschaft Sylt“ eine eigene Verwaltung. Aus wirtschaftlichen Gründen erfolgt die Verwaltungsarbeit aber durch die "Gemeinde Sylt", federführend also über Häckel.

Die Rufe nach einer insularen Lösung für die 18.000 Einwohner wurden in den vergangenen Jahren immer lauter. Themen gäbe es reichlich, Stichwort Dauerwohnraum, oder die Umsetzung eines Klimaschutzkonzeptes.

Doch zu Inhalten, die verdeutlichen könnten, wie wichtig es wäre, mit einer Stimme zu sprechen, kam es erst gar nicht. Der Vortrag von Catharina Bayerlein, auf der Insel zuständig für Klimaschutz und Nachhaltigkeit, musste verschoben werden angesichts der fortgeschrittenen Zeit. Spätestens um 22 Uhr, so die Vorgabe, muss eine Sitzung beendet sein.

Sylt: Ein-Stimmen-Mehrheit für das Amtsmodell

Mit dem am Donnerstag mit den Stimmen von CDU und SWG angenommenen „Amtsmodell“ soll nach dem Willen der Befürworter nun der erste Schritt hin zu mehr Einigkeit genommen sein. Eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme (13 zu 12) in der Gemeindevertretung gab den Ausschlag.

Laut dem Beschluss soll die Gemeinde Sylt zum 1. Juli 2023 dem „Amt Landschaft Sylt“ beitreten und so mit den anderen vier Gemeinden eine gemeinsame Amtsverwaltung bilden. Dazu soll ein Amtsdirektor installiert werden. Dass dieser aber nur einen Teil der Verwaltungsaufgaben verantworten soll, ist eine weitere Kuriosität der geplanten Struktur. Das Thema Bauen würde beispielsweise nicht in seinen Bereich fallen.

„Hier geht es darum, Häckel zu entmachten"

Ob dies aber tatsächlich so kommt, ist völlig ungewiss. Die vier anderen Gemeinden müssten zustimmen, zudem kündigte Lars Schmidt (Zukunft) an, ein Bürgerbegehren gegen den Beschluss auf den Weg bringen zu wollen: „Die Bürger werden das Ding entscheiden.“ Zudem könnten die Kommunalwahlen neue Mehrheitsverhältnisse im Parlament schaffen.

Nikolas Häckel (parteilos) ist Bürgermeister der Gemeinde Sylt.
Nikolas Häckel (parteilos) ist Bürgermeister der Gemeinde Sylt. © picture alliance/dpa | Lea Sarah Pischel

Dass es ganz einfach auch um Macht in der Verwaltungsdebatte gehen könnte, machte Peter Erichsen (SSW-Fraktion) deutlich: „Hier geht es darum, Bürgermeister Häckel zu entmachten.“ Logisch, dass sich Häckel selbst ablehnend gegen eine neue Verwaltungsstruktur aussprach. Wie auch die SPD, die das Modell als „Humbug" bezeichnete (Gerd Nielsen) und dann höhere Personalkosten anprangerte.

Klar scheint: In einer neuen Konstruktion würde der Amtsausschuss von den gewählten Vertretern aller Gemeinden besetzt werden, die CDU, die ihren Kandidaten bei der letzten Bürgermeisterwahl der Gemeinde Sylt nicht durchbekam, würde über eine satte Mehrheit in einem Amtsausschuss verfügen. „Wir brauchen keinen Amtsausschuss“, sagte Christina Lohmann-Schmidt (Fraktion Grüne/B90), „warum gründen wir nicht irgendein insulares Gremium, wenn es um eine bessere Kommunikation geht?“

„Merret reicht’s“ schießt gegen die CDU

Das Bürgernetzwerk „Merret reicht’s aus Liebe zu Sylt“ sah in dem knappen Abstimmungsergebnis ein Indiz dafür, „dass es kein tragfähiges Fundament für das Installieren einer Amtsverwaltung“ gebe. „SWG und CDU müssen sich nach diesem Abend fragen lassen, ob es ihnen tatsächlich um insulares Miteinander und Kommunikation geht“, hieß es in einer „Merret“-Stellungnahme von Freitag.

Andernfalls hätten sich die Fraktionen dem Gegenantrag von Grünen, SPD, SSW und Zukunft anschließen können. Dieser habe einen „aktiven, ergebnisoffenen Informations- und Dialogprozess bis zu den Kommunalwahlen Mai 2023 vorgeschlagen“ und dafür plädiert, „ein insulares, politisch wirksames Gremium zu installieren, um sich den großen insularen Problemen gemeinsam zu stellen“.

Sylt: 32,4 Millionen Euro Rücklagen und Investionsstau

Über all diesen politischen Streitigkeiten schweben erhebliche finanzielle Probleme. Seit 18 Monaten gibt es für die Gemeinden in Sylt keinen gültigen Haushalt, weil die Anlagenbuchhaltung vom Kreis Nordfriesland nicht akzeptiert wird. Freiwillige Leistungen, auch an Vereine oder soziale Einrichtungen, könnten nicht ausbezahlt werden.

Bei der Sitzung am Donnerstag wurde bekannt, dass die Gemeinde Sylt derzeit über Rücklagen in Höhe von 32,4 Millionen Euro verfügt. Klingt viel, verdeutlicht aber die Problematik. Allein 11,8 Millionen Euro sind zweckgebunden. Zudem mussten aufgrund der Zinsentwicklung Strafzinsen in sechsstelliger Höhe gezahlt werden. Durch die aktuelle Inflation wird es nun viel teurer, längst geplante Investitionen umzusetzen. So ergibt sich ein immenser Vermögensverlust für die Gemeinde.

Keine guten Voraussetzungen für die gute Zukunft auf Sylt.