Keitum. Ungleichgewicht zwischen Ferien- und normalem Wohnraum muss die Insel selbst auflösen. Dehoga fordert Ende “politischer Ränkespiele“.

Claus Ruhe Madsen bewies gleich zu Beginn Humor. „Ich dachte, es wird ein schöner Grillabend. Aber dann habe ich festgestellt, dass ich das Grillgut bin“, sagte Schleswig-Holsteins Minister für Wirtschaft, Tourismus und Verkehr am Mittwochabend auf dem Podium des Friesensaals in Keitum auf Sylt und lachte. Der Abend, moderiert von Schriftstellerin Susanne Matthiessen, begann mit vielen Späßen. Dabei war das Thema ernst. Sehr ernst. 235 geladene Gäste saßen im Saal. Und warteten auf Antworten des Ministers.

Ruhe Madsen war eingeladen von der Bürgerbewegung „Merret reicht‘s. Aus Liebe zu Sylt“ zu einer mit Spannung erwarteten Podiumsdiskussion. Neben dem 49-Jährigen saßen auch der Stadtentwicklungsexperte Uwe Mantik von der Beratungsgesellschaft Cima, die Keitumer Goldschmiedin Birte Wieda von „Merret reicht‘s“ und Kampens zweiter Bürgermeister und Hotelier Dirk Erdmann auf dem Podium. „Wem gehört Sylt?“ lautete die Frage des Abends.

Sylt: Anteilsmäßig so viele Ferienwohnung wie nirgends sonst in Deutschland

Für Ruhe Madsen war es der erste Besuch auf Sylt, seit er im Juni in die Landesregierung einzog. An den Besuch des Ministers waren große Hoffnungen geknüpft. Schließlich geht es auf der Nordseeinsel um die große Frage: Wie lässt sich das Ungleichgewicht zwischen Ferienwohnungen und Dauerwohnraum auf Sylt lösen?

Dass dieses Ungleichgewicht so groß ist wie an keinem anderen Ort in Deutschland, hatte Stadtentwicklungsexperte Uwe Mantik von der Beratungsgesellschaft Cima deutlich gemacht. Der Lübecker hatte mit seiner Firma im Auftrag der Gemeinde Sylt für 28.000 Euro ein Gutachten über das Verhältnis zwischen touristischem Wohnraum und Dauerwohnraum erstellt. Das Ergebnis: 7500 touristischen Wohnungen stehen nur 11.000 Dauerbewohner gegenüber.

Stadtentwicklungsexperte zu Gutachten auf Sylt: "Ergebnis hat uns umgehauen"

Für Mantik, der bereits touristische Hotspots wie Heidelberg oder Füssen/Neuschwanstein untersucht hat, ein echter Hammer. „Das Ergebnis hat uns umgehauen“, sagte Mantik. „Wir haben festgestellt: Sylt ist gekippt. Das ist eine Entwicklung, die man nicht hinnehmen kann.“ Mantik erzählte, wie er einen Feuerwehrmann aus Rantum getroffen habe. Dieser erzählte ihm, dass er seine Nachbarn nicht mehr kennt, wenn er aus dem Fenster guckt.

Merret reicht's: Die Insulanerin Erika Hansen in der Sylter Friesentracht.
Merret reicht's: Die Insulanerin Erika Hansen in der Sylter Friesentracht. © Henrik Jacobs

Durch den Ausverkauf der Insel an Investoren müssen immer mehr Einheimische Sylt verlassen, insbesondere junge Menschen, die sich keine Wohnung mehr leisten können. „Die Insel geht nicht unter. Aber die Menschen, die hier leben, gehen unter“, sagte Mantik. Seine Botschaft: Das Problem ist groß, aber man kann es lösen – wenn „der politische Wille erklärt wird“.

Minister: "Ich bin nicht hier, um Eure Probleme zu lösen"

Und genau das ist das Problem auf Sylt. Das neue Beherbergungskonzept, das die Zahl von neuen Ferienwohnungen auf Sylt eindämmen soll und über das die Gemeinde Sylt am 12. September entscheidet, ist in der Politik umstritten. Wer nun dachte, dass Tourismusminister Ruhe Madsen zum politischen Retter der Insel aufsteigt, wurde enttäuscht. „Ich bin nicht hier, um Eure Probleme zu lösen. Aber ich kann zuhören und verstehen.“

Und der Politiker versteht die Problematik. Als Oberbürgermeister von Rostock lernte der Däne im Kurort Warnemünde an der Ostsee das Touristen-Phänomen kennen, das er selbst schon als Jugendlicher erlebte. Ruhe Madsen wurde in Kopenhagen geboren, zog aber später mit seiner Familie nach Fjand an die Nordsee und war einer von zwölf Einwohnern. Im Sommer kamen dann jährlich 1000 Touristen in den kleinen Strandort. Aber Sylt ist eben Sylt. Das weiß auch Ruhe Madsen. „Sylt ist die prominente Insel. Wenn hier etwas passiert, schreibt die 'Süddeutsche Zeitung' darüber.“

Ruhe Madsen will nicht in Problemen denken, sondern in Lösungen. Eine Lösung für Sylt aber hatte er an diesem Abend nicht dabei. Sein Appell: „Man braucht ein starkes Team und eine gemeinsame Strategie." Die scheint es auf Sylt nicht zu geben. Der Minister blieb im Bild des Fußballs. „Man sitzt hier noch in der Umkleide und weiß gar nicht, um welchen Sport es geht.“

Insulaner appellieren an den Minister: "Nachbarschaft in allergrößter Gefahr"

In Rostock hat Ruhe Madsen gesehen, wie das Problem zu lösen ist. Im Land Mecklenburg-Vorpommern wurde ein Zweckentfremdungsgesetz für Wohnraum eingeführt. Der Minister will nun auch in Kiel darüber sprechen. Die Umsetzung kann aber noch dauern.

Die Punks aus Westerland kamen am Mittwoch zum Friesensaal nach Keitum.
Die Punks aus Westerland kamen am Mittwoch zum Friesensaal nach Keitum. © Henrik Jacobs

Die Insulanerin Birte Wieda, die von einer „Syltfunktionskrise“ spricht, nahm Ruhe Madsen daher in die Pflicht: „Wir haben keinen Tag mehr zu verlieren. Die lebendige Nachbarschaft ist in allergrößer Gefahr“, sagte Wieda und erntete viel Applaus im Publikum. Dort saßen Gäste aus allen Bereichen Sylts. Politiker, Unternehmer, Anwohner, Kulturschaffende. Vor dem Friesensaal saßen auch die Punks und stellten Transparente auf. Und auch die Bürgermeister von Wenningstedt und Hörnum waren im Saal dabei. Die Bürgermeister von List (Ronald Benck) und der Gemeinde Sylt (Nikolas Häckel) dagegen fehlten.

Dehoga-Chef will ein Ende der "politischen Ränkespiele"

Dirk Erdmann, Dehoga-Chef auf Sylt, sieht ein Problem darin, dass es auf der Insel zu viele politische Entscheider gäbe. „Bei uns in Kampen funktioniert es. Da gibt es keinen Fraktionskrach." Erdmann schlägt für die Insel Sylt das Amtsmodell vor. „Ich wünsche mir, dass die politischen Ränkespiele hinter den Kulissen aufhören. Vielleicht wäre das Amtsmodell besser für die Insel. Es gäbe große Chancen und ein Gremium für alle.“ Erdmann verteidigte sich in seiner Funktion als Hotelier. „Damit das ganz klar ist: Wir wollen nicht mehr Touristen. Wir wollen kein Wachstum. Wir wollen eine stetige Auslastung.“

Minister Ruhe Madsen versuchte auch die Perspektive zu wechseln und aus Sicht der Touristen zu denken. „Man muss auch aufpassen, wie man seine Unzufriedenheit ausdrückt. Diese Insel hat auch viel Reichtum aus dem Tourismus gezogen. Aber wie ist es dazu gekommen, dass die Menschen hier nur gemeldet sind, aber nicht hier leben?“ Eine Frage, auf die an diesem Abend niemand so recht eine Antwort hatte.

Sylt: Experte mahnt richtungsweisende Entscheidung an

Stadtentwicklungsexperte Mantik machte in jedem Fall noch einmal deutlich, dass die Insel vor einer richtungsweisenden Entscheidung stehe. „Entweder man stellt jetzt die Weichen, oder man fährt mit Volldampf so weiter. Das wird Folgen haben und bleibt nicht ohne Schäden.“ Aus eigener Erfahrung weiß er: „Es wird nicht ohne Regeln und Gesetze gehen. Man braucht ordnungsrechtliche Maßnahmen und die muss man auch mal durchsetzen.“ Mantik meint damit auch die Zweckentfremdung von Dauerwohnraum auf Sylt, die vom Kreis Nordfriesland nicht kontrolliert werde.

Der große Wurf für Sylt blieb an diesem Abend aus. Aber das wäre auch zu viel der Erwartungen gewesen. Ruhe Madsen versprach den Insulanern in jedem Fall, die Sylter Problematik mit nach Kiel zu nehmen und dort zu besprechen. Er machte den Menschen Mut und sorgte auch am Schluss noch für einen Lacher. Weil die Sylter 1920 dafür gestimmt hatten, dass die Insel zu Deutschland gehören soll und nicht zu Dänemark, sei er als Däne natürlich nachhaltig enttäuscht. „Aber ich werde trotzdem für Euch kämpfen.“