Sylt. Im Auftrag der Insel hat eine Beratungsfirma Wohnsituation und touristische Beherbergung analysiert. Ergebnisse sind eindeutig.
Der Tourismus auf der Nordseeinsel Sylt boomt. Doch unter dem Ansturm der Urlauber bleiben die Interessen der einheimischen Bevölkerung immer häufiger auf der Strecke. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum und die Belastung durch den Verkehr führen in einigen Orten bereits zu Problemen, weil immer weniger Einheimische für Ehrenämter, soziale Einrichtungen und den Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.
Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Lübecker Cima Beratung + Management GmbH, die im Auftrag der Gemeinde Sylt ein städtebauliches Entwicklungskonzept zur Steuerung von Beherbergungsnutzungen in der Gemeinde und ihren Ortsteilen erstellt hat. Der Entwurf des Berichtes, der am Dienstag in der Sitzung des Bau-und Planungsausschusses der Gemeinde vorgestellt und diskutiert wurde, liegt dem Abendblatt vor.
Sylt: Zu viele Touristen auf der Nordseeinsel?
In ihrer Studie haben die Berater die Situation in zehn verschiedenen Orten auf der Insel analysiert, mithilfe von Daten der Gemeinde Sylt und der Sylt Marketing GmbH und Informationen von Anbieterportalen im Internet. Erfasst wurde die Situation im August des vergangenen Jahres. Zu den untersuchten Orten zählen neben vier unterschiedlichen Bereichen der Stadt Westerland die Orte Rantum, Tinnum, Keitum, Munkmarsch, Archsum und Morsum.
Für die Innenstadt von Westerland stellt die Untersuchung zum Beispiel eine Beeinträchtigung der Wohn- und Arbeitsverhältnisse durch Lärm, Verkehr, Emissionen und Verunreinigungen durch zu viele und ständig wechselnde Besucher fest. Bei den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung ermögliche das hohe Preisniveau der Immobilien selbst Einwohnern mit mittlerem Einkommen kaum Eigentumsbildung.
Zu wenig Wohnraum auf Sylt: Das kann die Gemeinde tun
Für den beliebten Ferienort Rantum sieht das Gutachten bei den Wohnbedürfnissen der Bevölkerung einen "deutlichen Nachfrageüberhang für ortsgebundene Dauerwohnungen". Es bestehe dort ein hoher Anteil von Nebenwohnungen und erheblicher Steuerungsaufwand. Auch im kleinsten Ort der Insel, dem Friesendorf Archsum, ist die Situation bereits prekär. Auch hier habe sich in den vergangenen Jahren ein Übergewicht von kleinteiligen Beherbergungsnutzungen und Nebenwohnsitzen eingestellt.
Im zweiten Teil der Studie geht es darum, wie die Gemeinde Sylt dieser Entwicklung entgegenwirken kann. Denn, so der Büroleiter der Cima am Standort Lübeck: „In der Gemeinde Sylt unterhalten wir uns nicht mehr darüber, ob ein Ungleichgewicht zwischen touristischen und übrigen Funktionen der Gemeindeentwicklung eingetreten ist, sondern nur noch darüber, ob und wie die längst eingetretene Fehlentwicklung wieder eingefangen werden kann.“
Die Berater empfehlen folgende Gegenmaßnahmen:
- Auf absehbare Zeit kein weiteres Wachstum der Beherbergungsnutzungen zulassen.
- Kontrollen und Bußgelder zur Bekämpfung der Zweckentfremdung von Wohnraum intensivieren.
- Kosten für die Beurteilung der städtebaulichen Verträglichkeit neuer Ansiedlungsvorhaben auf die Vorhabenträger umlegen.
Die Gutachter weisen aber auch darauf hin, dass allein durch die Steuerung der Beherbergungsnutzung die Fehlentwicklung nicht zu bremsen sei. In dem Zusammenhang betonen sie die Notwendigkeit einer aktiven Wohnungsbaupolitik und passgenauer Verkehrskonzepte.
Sylt: Parkleitsytem wäre ein erster kleiner Schritt
Der Geschäftsführer der Sylt Marketing GmbH, Moritz Luft, befürwortet die Studie. „Wir sind uns eigentlich alle einig, dass ein ungesteuertes Wachstum bei der Anzahl der Betten nicht einfach so weiter hingenommen werden kann“, sagt er. Die Insel sei an ihrer Kapazitätsgrenze angekommen. „Das bedeutet, wir können nur noch über eine qualitative Veränderung reden, nicht mehr über eine quantitative.“ Die Räume seien auf einer Insel wie Sylt einfach begrenzt. „Da muss also genug Platz für Einheimische und Touristen sein.“ Auch deshalb habe er die Studie unterstützt und Daten geliefert.
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Ein erster kleiner Schritt, um beispielsweise die Verkehrssituation zu Stoßzeiten zu verbessern, sei ein Parkleitsystem. „Ich verstehe nicht, warum selbst kleine Städte so etwas längst haben, wir aber nicht“, so der Tourismuschef. Es sei an der Zeit, dass so etwas nun endlich von der Verwaltung umgesetzt werde. „Das würde hier schon die Lage in der Hochsaison zumindest beim Thema Verkehr deutlich entzerren.“ Nun sei er gespannt, wie die Ergebnisse im Detail aussehen. In der kommenden Woche ist eine Präsentation angesetzt.
Bürgermeister: Sylt im Sommer "viel zu voll"
Für den Bürgermeister der Gemeinde Sylt, Nikolas Häckel, sind die Ergebnisse der Studie keine Überraschung. „Dass wir nicht mehr Gästebetten hier in der Gemeinde Sylt verkraften, war klar“, sagt er. Gerade die Corona-Sommer hätten eines gezeigt: „Es war hier in der Hochsaison subjektiv empfunden viel zu voll.“ Das sei weder für die Einheimischen gut, noch für die Touristen. „Wer will beispielsweise ewig in Westerland im Stau stehen.“ Vielen Insulanern habe die ruhige Phase im Winter richtig gut getan. „Denn wir können auch keine guten Gastgeber sein, wenn hier alles gefühlt zu voll ist.“
Die neue Studie sei als ein weiterer Baustein für das Handeln der Akteure in der Gemeinde Sylt gedacht. Nach der Präsentation gehe es in die Beratungen. „Und dann folgt die Beschlussfassung.“ Das hieße konkrete Maßnahmen zu erarbeiten, wie es mit touristischen Projekten in der Gemeinde weitergehen solle. Schon seit Jahren gebe es eine Tourismusstrategie für die Insel. Diese besage, weniger Masse, dafür mehr Klasse. „Und dieser Baustein, die Studie, passt genau da rein.“
So werde schon jetzt bei den Bebauungsplänen der Versuch unternommen, gegen zu viele touristische Angebote anzusteuern, um den Dauerwohnraum für die Sylter zu erhalten. Doch jetzt müsse es noch darüber hinausgehen, so Häckel. „Und wie das aussehen soll, das werden wir jetzt alle gemeinsam erarbeiten.“ Er persönlich freue sich drauf, sagte der Bürgermeister.