Kreis Segeberg. Volle Gaststätten, gut gebuchte Hotels: Warum immer mehr Touristen das Binnenland als Urlaubsziel entdecken.

Das Gastgewerbe und die Hotels im Kreis Segeberg atmen auf: 2022 ist bisher ein großartiges Jahr für den Tourismus zwischen Norderstedt und Bad Segeberg. Nach harten Corona-Jahren freuen sich Gastronomen und Hoteliers über volle Tische und gut gebuchte Zimmer. Etwa 303.000 Übernachtungen von Gästen aus dem In- und Ausland zählte das Statistische Landesamt im Kreis Segeberg – satte 81 Prozent mehr als in der ersten Jahreshälfte 2021. Da galt ja auch zum Teil noch ein Beherbergungsverbot bei Privatreisen.

„Es kam in dieser Saison einfach ein Riesenstrauß an guten Dingen zusammen“, sagt Lutz Frank, Vorsitzender des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) im Kreis Segeberg und Wirt des Restaurants Am Ihlsee in Bad Segeberg. „Das Wetter war einfach gut, die Karl-May-Spiele laufen großartig, die Stadt ist voll mit Tagestouristen.“

Tourismus: Gäste entdecken die Heimat als Urlaubsregion

Frank beobachtet positive Entwicklungen für den Tourismus des Kreises. Diese hängen mit dem Ukraine-Krieg und steigenden Energiepreisen zusammen – im positiven Sinne. Denn die Leute würden sich auf den günstigen Urlaub daheim und die Region besinnen. „Man muss den vielen Touristen danken, die dieses Jahr eben nicht in den Urlaub geflogen, sondern in Schleswig-Holstein geblieben sind und die deutsche Gastronomie und das Hotelgewerbe unterstützt haben.“

Er habe vielfach gehört, dass Gäste sich feste Budgets gesetzt hatten. „2000 Euro – 1000 Euro legst du weg für Gas im Winter. Und vom Rest gönnen die sich Kurztrips an die Küste, zu den Karl-May-Spielen – und in die Restaurants des Kreises. Da darf es dann auch mal ein Spezi mehr sein“, sagt Frank.

Wer an den Küsten nichts bekam, kommt in den Kreis Segeberg

Außerdem profitierte der Kreis vom enormen Andrang an den schleswig-holsteinischen Küsten. „Viele Touristen, die an Ost- und Nordsee nichts mehr bekommen haben, buchten im Binnenland – und kommen auf den Geschmack“, sagt Frank. Sie entdecken den Kreis und seine Schönheit. „Und bis nach Lübeck oder Scharbeutz ist es von hier auch nicht mehr weit – wo ist das Problem?“, so Frank. Er rechnet damit, dass viele dieser Gäste wiederkommen werden.

Es muss nicht immer die Ostsee sein - am Großen Segeberger See ist es auch schön.
Es muss nicht immer die Ostsee sein - am Großen Segeberger See ist es auch schön. © Michael Schick

Nach wie vor angespannt sei die Personalsituation – für Hotels ebenso wie für Gaststätten. Viele Kellner, Köche und Aushilfen wanderten in der Corona-Pandemie aufgrund der Perspektivlosigkeit in andere Branchen ab. „Alle die jetzt noch da sind, müssen schon einen Schlag mehr reinhauen – und sie sind auch bereit dazu“, sagt Lutz Frank.

Mangel an Fachkräften dämpft Stimmung in Hotels und Restaurants

Aus Sicht der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) seien Hotels, Pensionen und Wirtshäuser im Kreis noch weit entfernt von der Vor-Corona-Normalität. Den Unternehmen gelinge es nach Beobachtung der Gewerkschaft kaum, genug Personal für die wachsende Arbeit zu finden. „Dass wieder viel mehr Urlauber und Geschäftsreisende in den Kreis Segeberg kommen, ist für das Hotel- und Gaststättengewerbe eine gute Nachricht – vor allem auch für die Beschäftigten“, sagt Sarah Witte, Gewerkschaftssekretärin der NGG-Region Hamburg-Elmshorn.

Zwar hätten derzeit viele Branchen mit dem Mangel an Fachleuten zu kämpfen, doch im Gastgewerbe falle die Suche nach qualifizierten Kräften besonders schwer. Das liege vor allem an den Arbeitsbedingungen, urteilt Witte. So klagten im letzten DGB-Ausbildungsreport 59 Prozent der angehenden Hotelfachleute und 54 Prozent der Azubis in der Küche, regelmäßig Überstunden machen zu müssen – ein Spitzenwert.

Gewerkschaft kritisiert Arbeitsbedingungen: "Arbeit auf Abruf"

„Wer im Gastgewerbe arbeitet, ist nicht nur spätabends oder am Wochenende im Einsatz. Die Beschäftigten erfahren oft auch erst am Vortag vom Chef, dass sie einspringen sollen. Zum Beispiel, weil sich die Wettervorhersage geändert hat und einen Run auf den Biergarten erwarten lässt. So kann aber niemand seinen Alltag planen – schon gar nicht, wer Kinder hat“, so Witte.

Nach Einschätzung der Gewerkschafterin ist ein erheblicher Teil der etwa 3630 Menschen, die das Gastgewerbe im Kreis Segeberg laut Arbeitsagentur beschäftigt, von dieser „Arbeit auf Abruf“ betroffen.

Der Mangel an Fachkräften sei unverändert groß, sagt Lutz Frank. „Bei den Aushilfen verzeichnen wir eine Verbesserung – viele Abiturienten wollen was für Auslandsreisen oder ähnliches verdienen, da ist positive Bewegung drin. Doch langfristig brauchen wir gute Kellner, Köche und Hotelfachkräfte.“

Jobs müssen attraktiver werden: NGG ruft zu Tariflöhnen auf

Damit die wiederkommen, müsse der Job attraktiver gemacht werden“, sagt Frank. „Es sind wirklich schöne Jobs! Aber wir müssen mehr Freizeit garantieren – und auch mehr zahlen.“ Er habe in seinem Restaurant alle Gehälter erhöht – anders könne man die Leute nicht halten. Und durch die gute Saison hätten manche Gastronomen auch wieder mehr Geld in der Kasse, um das zu stemmen.

Die NGG ruft die Branche dazu auf, Löhne nach dem aktuellen Tarifvertrag für Schleswig-Holstein zu bezahlen. In diesem und nächstem Jahr kommen die Beschäftigten dann in den Genuss von Lohnsteigerungen um bis zu 22 Prozent. Das sei „ein enormer Schub fürs Portemonnaie“, sagt die NGG.

Tourismus: Welche Probleme im zweiten Halbjahr drohen

Doch trotz aller Euphorie über das erste Halbjahr – die nächste Krise steht schon an der Tür zur Gaststätte. „Wenn ich mir die Entwicklung der Betriebskosten anschaue, bereitet mir das Sorgen“, sagt Lutz Frank. Doch er will nicht meckern und sich möglichst viel von dem Optimismus der letzten Monate erhalten. „Trotz Gegenwind bin ich zuversichtlich“, sagt Frank.

Um Energie zu sparen, müsse jetzt eben jeder Wirt und Hotelier sein Angebot überdenken: „ Müssen immer alle Kombi-Dampfer und Waschmaschinen laufen? Sind meine Öffnungszeiten noch nötig? Brauche ich eine Karte mit zwölf Seiten oder mache ich lieber weniger, dafür mehr frische, regionale Sachen? Kann ich mein Lager verkleinern und nicht zwei Kühlräume laufen lassen? Jeder ist jetzt als Kaufmann gefragt“, sagt Frank.