Kiel. Vor anderthalb Wochen hat Ibrahim A. willkürlich Menschen in einem Regionalzug niedergestochen. So reagiert Schleswig-Holstein.

Vor allem die Punkte 9 und 10 der „Schlussfolgerungen“, die die schleswig-holsteinischen Regierungsfraktionen CDU und Grünen aus dem tödlichen Messerangriff im Regionalzug nach Hamburg ziehen, offenbaren das ganze Dilemma dieses Falls.

In Punkt 9 geht es darum, behördliche Prozesse zu beschleunigen. „Strafrechtliche Verurteilungen, Inhaftnahmen und Ermittlungsverfahren müssen umgehend dem BAMF und Ausländerbehörden gemeldet werden, damit diese den Aufenthaltsstatus überprüfen und ggf. ein Widerrufsverfahren einleiten können. Die Überprüfung durch das BAMF muss unverzüglich erfolgen können“, heißt es in dem Forderungskatalog der Regierungsparteien.

Messerangriff Brokstedt: Schwarz-Grün präsentiert „Schlussfolgerungen“

Das BAMF, also das Bundesamt für Mi­gration und Flüchtlinge, war in den Monaten vor der Messerattacke auf der Suche nach Ibrahim A., dem Täter aus der vergangenen Woche. Post an ihn kam als unzustellbar von der Kieler Adresse zurück – weil Ibrahim A. in Hamburger Haft saß. Und das BAMF wusste von nichts, dabei hatte es ein Prüfverfahren eingeleitet, um Ibrahim A. gegebenenfalls den Schutzstatus wieder entziehen zu können.

Birte Glißmann, parlamentarische Geschäftsführerin der CDU, und Lasse Petersdotter, Fraktionschef der Grünen in Schleswig-Holstein, forderten am Freitag bei der Vorstellung ihres „10-Punkte-Papiers“, Asylrechts- und Strafverfahren zu beschleunigen. Ziel sei, bei schwerwiegenden Straftaten „konsequent und zügig“ abschieben zu können. Dabei dürfe Staatenlosigkeit kein Hindernis sein. Noch aber sind Abschiebungen von zum Beispiel kriminellen staatenlosen Palästinensern nahezu unmöglich. Schwarz-Grün kündigte deshalb entsprechende Bundesratsinitiativen an.

Der Täter aus dem Zug lebt seit 2014 in Deutschland. Er hatte angegeben, in Gaza geboren und staatenloser Palästinenser zu sein. In den seither mehr als acht Jahren ist es dem BAMF nicht gelungen, die Angaben, also das Abschiebehindernis, zu verifizieren. In der Zwischenzeit ist A. mehrfach verurteilt worden. CDU und Grüne fordern den Bund zur Verfahrensbeschleunigung auf. Ziel müsse sein, rasch zu einer „Aberkennung des Aufenthaltsstatus bei schwerwiegenden Straftaten“ kommen zu können.

Der Fall hat viele Kommunikationspannen zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg offengelegt

Der Fall hat viele Kommunikationspannen zwischen Schleswig-Holstein und Hamburg offengelegt. Wer daran schuld ist – darüber streiten die Nachbarländer. Um solche Pannen künftig möglichst zu verhindern, fordern CDU und Grüne, einen funktionierenden „Zugriff auf Daten zwischen allen relevanten Behörden wie Justiz, Polizei, Gesundheits-, Sozial- oder Ausländerbehörden, insbesondere wenn mehrere Bundesländer involviert sind.“

Als kurzfristig umsetzbare Maßnahme kündigte Glißmann einen „Sicherheitsgipfel an, um das subjektive Sicherheitsempfinden“ von Bahnkunden zu erhöhen. Sie sprach von Waffenverbotszonen, einer Ausweitung der Videoüberwachung und mehr Sicherheitspersonal. Petersdotter kündigte eine verbesserte Gewaltprävention an. Man plane „Gewaltambulanzen nach bayrischem Vorbild“, so der Grünen-Fraktionschef.

Messerattacke Brokstedt: Kritik von der FDP

Kritik kam von Bernd Buchholz , Innenexperte der FDP: „Die meisten dieser Punkte gehen am Problem vorbei. Entscheidend ist ein konsequentes Rückkehrmanagement. Es müssen Regelungen geschaffen werden, wie man Straftäter schneller abschieben kann, und zwar sowohl vollziehbar ausreisepflichtige als auch diejenigen mit einem Schutzstatus.“ Nur habe die Landesregierung für das Rückkehrmanagement im aktuellen Haushalt weniger Geld eingestellt als noch 2022, kritisierte Buchholz.

Für Niclas Dürbrook von der SPD Schleswig-Holstein bleibt „bis jetzt völlig offen, an welcher Stelle die Kausalkette, die zu dieser schrecklichen Tat geführt hat, hätte durchbrochen werden können. Insgesamt ist daher mein Eindruck, dass dem 10-Punkte-Papier etwas mehr Bedenkzeit gutgetan hätte.“

Vorwürfe gehen zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein hin und her

Wer hat wann wen wie informiert? Wer hat welche Mail geschickt? Und: Wo sind diese Mails gelandet? Warum wurde nicht reagiert? Zwischen den Landesregierungen in Hamburg und in Schleswig-Holstein sowie der Stadtverwaltung in Kiel gehen die Vorwürfe hin und her. Zuletzt hatte Justizsenatorin Anna Gallina dem Nachbarland vorgehalten, nicht auf Informationen aus der Hansestadt reagiert zu haben.

Neben den Kieler Behörden hatte zuvor auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Hamburg vorgeworfen, nicht über die Haft von Ibrahim A. in Billwerder informiert zu haben. Nach einem Messerangriff im Januar 2021 saß A. ein Jahr in Hamburg in Haft.

Währenddessen war das BAMF auf der Suche nach dem heute 33-Jährigen, um ihm gegebenenfalls seinen subsidiären Schutz (als angeblich staatenloser Palästinenser) wieder aberkennen zu können. Offen blieb zuletzt, ob Hamburg hier in einer Bringschuld gegenüber dem BAMF war.

Messerattacke Brokstedt: FDP fordert Akteneinsicht von Hamburg

Vor diesem Hintergrund fordert jetzt der FDP-Innenexperte Bernd Buchholz aus Schleswig-Holstein von Hamburg Akteneinsicht. „Wir bitten darum, dass uns Hamburg diese Akten und sämtlichen Mailverkehr zwischen den beteiligten Behörden zur Einsicht übersendet. Es wäre erstaunlich, wenn BAMF und Kieler Behörde nicht erhalten hätten, was Hamburg angeblich geschickt haben will“, sagt der Landtagsabgeordnete.

Für Buchholz steht fest: „Klar ist, dass es ein Behördenversagen gab. Jetzt müssen wir klären, an welcher Stelle es stattgefunden hat.“ Zwischen der grünen Justizsenatorin aus Hamburg und der grünen Sozialministerin aus Schleswig-Holstein stehe Aussage gegen Aussage, so der FDP-Politiker.