Wedel. Vor dem Bürgerentscheid bieten die Investoren vertragliche Zusagen bei strittigen Details an. Und der Verkehr? Sei unproblematisch.
Die Entscheidung über das Baugebiet Wedel Nord naht – entweder es gibt nach dem angestrengten Bürgerentscheid am Sonntag, 8. Oktober, einen zweijährigen Planungsstopp des Mega-Projektes mit bis zu 1000 neuen Wohnungen. Oder aber Politik und die beiden Investoren, die Wohnungsbaufirmen Semmelhaack und Rehder, feilen weiter an der Konkretisierung des Vorhabens. Die Wedeler haben die Wahl.
An die Wedeler Haushalte wird ab kommenden Donnerstag, 14. September, ein Flyer verteilt, der jetzt neue detaillierte Versprechen der Bauherren enthält, inklusive der Bereitschaft, diese in einem städtebaulichen Vertrag auch verbindlich schriftlich festzuhalten. Es geht um insgesamt vier Punkte.
Bis zu 1000 Wohnungen: Wedel Nord – Investoren geben neues Versprechen ab
„Wir bieten an, uns auf insgesamt nur 500 Wohnungen und Eigenheime zu beschränken. Wir wollen, dass ein für die ganze Stadt verträgliches Quartier entsteht“, steht in der Wurfsendung. Dieses Versprechen bezieht sich auf den ersten Bauabschnitt, der im Rahmenplan mit 560 Wohnungen taxiert wird.
Es sollten in jenem Plan 440 Geschosswohnungen entstehen, von denen mehr als 40 Prozent öffentlich gefördert werden. Dazu kämen 50 Reihenhäuser, 40 Doppelhaushälften und 30 Einzelhäuser. In einem zweiten Bauabschnitt sollte die Anzahl der Wohnungen ursprünglich noch nahezu verdoppelt werden.
Laut Hartmut Thede, Mitglied der Geschäftsführung und verantwortlich bei Semmelhaack-Immobilien für die Projektentwicklung, sowie Geschäftsführer Stephan Rehder sei ein zweiter Bauabschnitt – dann wären es 53 Hektar Fläche – lediglich optional.
„Sehr günstiger Wohnraum“ im Baugebiet Wedel Nord – plus Kitas und Schule
Es folgt im Flyer ein weiteres Angebot der Baufirmen, dass „jede zweite Wohnung in unseren Mehrfamilienhäusern mit öffentlicher Förderung“ errichtet werde, um „sehr günstigen Wohnraum zu errichten.“ Auch beim Bau von Kitas seien die Investoren bereit, die in Wedel angespannte Situation zu verbessern: Es sollen zwei Kitas gebaut werden. In der Vergangenheit war von einer oder zwei Kitas die Rede.
Dazu kämen noch eine Pflegeeinrichtung mit Seniorenwohnungen, „großzügige Grünflächen“ und der Bau eines Solarparks. Wie bereits kurz vor dem gescheiterten Abhilfebeschluss im Wedeler Rat kündigen die Investoren Unterstützung beim Bau einer Schule an. Bekanntermaßen hat die Stadt Wedel hohe Schulden und könnte solch ein Angebot durchaus wohlwollend zur Kenntnis nehmen.
Es gibt ein Verkehrsgutachten für Wedel Nord
Im vierten Punkt heißt es,: „Wir planen autoarm mit sicheren Fuß- und Radwegen, Bushaltestellen, Car-Sharing und teilweise Quartiersgaragen.“ Die Wedeler, die aus Investorensicht beim Bürgerentscheid das „Nein“ ankreuzen müssten, könnten die beiden Vorhabenträger beim Wort nehmen.
Eines der Hauptargumente der Bürgerinitiative „Nein zu Wedel Nord“ – ein fehlendes, schlüssiges, aktuelles Verkehrskonzept – wollen die Befürworter entkräften. Für den ersten Bauabschnitt gibt es ein öffentlich einsehbares Gutachten. Das Gutachten ist aus dem September 2020. es sei allen Parteien und der Stadtverwaltung bekannt. Ende des Vorjahres hat es – nicht öffentlich – zudem ein Update mit aktualisierten Zahlen gegeben.
Wedel Nord: Es wird mit etwa 2400 Autos mehr gerechnet – ein niedriger Wert
Dieser erste Bauabschnitt erzeuge bei konventioneller Verkehrsplanung im Mittelwert ein Verkehrsaufkommen von stündlich etwa 100 Kraftfahrzeugen – innerhalb von 24 Stunden wären es circa 2400 Autos. Das Wohngebiet Lülanden käme auf einen Wert von 2700 Autos, den Steinberg durchfahren täglich circa 3500 Autos.
Diplom-Ingenieur Arne Rohkohl, von der verantwortlichen Firma Wasser- und Verkehrs-Kontor GmbH aus Neumünster, fasst die Ergebnisse so zusammen: „Das Verkehrsaufkommen des ersten Bauabschnitts entspricht etwa dem Verkehrsaufkommen eines gut laufenden Discountmarktes. Der erste und zweite Bauabschnitt zusammen entsprechen dem Verkehrsaufkommen eines Einzelhandelsstandortes mit zwei Lebensmittelmärkten.“ Vergleichbar sei dies etwa mit der Situation mit Edeka und Aldi Am Marienhof in Wedel.
Verkehrsaufkommen ließe sich um „mindestens 20 bis 30 Prozent“ reduzieren
Die Verkehrsgutachter „glauben fest daran, dass sich dieses Verkehrsaufkommen mit den angedachten zukunftsweisenden Mobilitätsangeboten gegenüber herkömmlichen Wohngebieten um mindestens 20 bis 30 Prozent reduzieren lässt. Vielleicht ist sogar noch mehr drin.“ Denn Angebote wie etwa Car-Sharing sind in diesem Gutachten noch nicht eingerechnet worden.
Der Neuverkehr werde über die Pinneberger Straße abgeleitet und teile sich bereits frühzeitig in Richtung Nord und Süd auf, so der Experte. In der Spitzenstunde trete dann nur noch ein Auto pro Minute und Richtung als Neuverkehr in den Straßenabschnitten auf. Der Verkehr in der Pinneberger Straße erhöhe sich lediglich um zehn bis 15 Prozent. „Im weiteren Streckennetz vermischt sich der Neuverkehr weiter mit dem Bestandsverkehr und ist dann tatsächlich nur gering bis nicht mehr wahrnehmbar“, prognostiziert Rohkohl.
Wedel Nord: Selbst mit beiden Bauabschnitten würde die Stadt den Verkehr verkraften
Sofern ein zweiter Bauabschnitt entwickelt werde, „ist von einer zweiseitigen Anbindung an die Pinneberger Straße wie auch westlich direkt oder indirekt bis an die Holmer Straße auszugehen. Durch die beidseitige Anbindung und die entstehende Querverbindung ist anzunehmen, dass die Verkehre auch im Umfeld der Holmer Straße zunehmen, aber eben auch nur in der Größenordnung von zehn bis 15 Prozent.“
Stadteinwärts hingegen sei sogar von einer verkehrlichen Entlastung auszugehen, da die neue Querverbindung für den Zentrumsbereich entlastend wirke.
Ein Kreisverkehr soll den Verkehr am Wedel-Nord-Gebiet beruhigen
Auch der geplante Kreisverkehr, inklusive Zebra-Streifen, an der Kreuzung Pinneberger Straße und Flerrentwiete führe zu einer Verkehrsberuhigung. Dort ergebe sich laut Gutachter insbesondere zum Erreichen der Einkaufsmöglichkeiten Am Marienhof und der Bushaltestellen eine deutliche Verbesserung.
Generell sei der Straßenverkehr rückläufig – im Wedeler Stadtumfeld sind es zwischen 2018 und 2022 circa drei Prozentpunkte weniger gewesen, unter anderem wegen der stetig ansteigenden Unterhaltungskosten eines Autos, der Digitalisierung oder der Ausweitung der Tätigkeit im Home-Office.
Minus drei Prozentpunkte: Wedeler hätten Mobilitätswende bereits verstanden
„Durch entlastende Effekte der Mobilitätswende entstehen auf unseren Straßen mehr Kapazitäten für weitere sehr notwendige Wohnbauentwicklung. Die Wedelerinnen und Wedeler können stolz auf sich sein, denn sie haben den Mobilitätswandel bereits verstanden und erfolgreich eingeleitet“, meint Rohkohl. Das Baugebiet Wedel Nord könne aus seiner Sicht ein weiterer Motor dabei sein und als Vorbild für die zeitgemäße Stadtentwicklung in ganz Wedel dienen.
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Die Entscheidung über Wedel Nord liegt nun in den Händen der Wedeler. Ein Abhilfebeschluss der Politik, der den Bürgerentscheid überflüssig gemacht und den Planungsstopp direkt erwirkt hätte, war gescheitert. Die Stimmen der Wedeler Sozialen Inititiative (WSI) und der Grünen reichten nicht, da die Mehrheit aus CDU, SPD, FDP und Linken den Bürgerentscheid favorisierten. Jene Parteien drängen auf den Bau von Wedel Nord. Auch ehemalige Wedeler Politiker sprechen sich wegen der angespannten Wohnsituation in der Stadt dafür aus.
Die Grünen sind für den Planungsstopp: „Zu viele Fragen sind noch offen“
Die Grünen plädieren für einen zweijährigen Planungsstopp. „Wir Grünen haben dem Abhilfebeschluss im Rat zugestimmt. Nicht weil wir plötzlich gegen Wedel Nord sind, sondern weil aus unserer Sicht noch zu viele Fragen offen sind, die zunächst geklärt sein sollten, bevor wir uns in das Großbauprojekt Wedel Nord begeben“, sagt die Fraktionsvorsitzende Dagmar Süß.
Aus Sicht ihrer Fraktion hätten die Kosten für den Bürgerentscheid – circa 50.000 Euro – gespart werden sollen, um dieses Geld in Workshops mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Investoren, der Politik und Verwaltung zu geben.
Dagmar Süß: „Die zwei Jahre Jahre wären nicht verschenkt“
„Die zwei Jahre wären nicht verschenkt, sondern wir hätten die Zeit nutzen können, gemeinsam ein tragfähiges Konzept für ein nachhaltiges und zukunftsweisendes Wohnquartier zu erarbeiten, das dann von einer breiten Mehrheit der Wedeler Bevölkerung mitgetragen wird“, meint Süß.
Mögliche Diskussionsthemen der Bürgerbeteiligung: Mobilitätsplanung oder das Spannungsverhältnis zwischen Siedlungsdruck und Klimawandel bei solch einem Großbauprojekt.
Wedel Nord: Investoren erneuern ihr Versprechen – vor dem Bürgerentscheid
Nach Ablauf der zwei Jahre hätte dann die Politik auf Basis dieser Ergebnisse beraten und entscheiden können. „Viele Fragen wären bereits im Vorwege geklärt, sodass dieses Vorgehen schlussendlich nicht zur Stagnation, sondern Weiterentwicklung von Wedel Nord geführt hätte“, so Süß.
Ihre Partei stehe dafür, Wedel Nord als „einen nachhaltigen und zukunftsweisenden Stadtteil zu denken“, in dem auch nachfolgende Generationen noch gut und gern leben.