Kreis Pinneberg. Der Kreisvorsitzende der Union will zurück ins EU-Parlament. Doch sein Plan stößt auf Widerstand. Das steckt hinter dem Konflikt.
Rund drei Wochen ist es her, da kündigte der Pinneberger CDU-Kreisvorsitzende Christian von Boetticher an, sich bei der Landesvertreterversammlung am 5. Oktober in Neumünster für Listenplatz 1 seiner Partei für die Europawahl im kommenden Jahr zu bewerben.
Von Boetticher zeigte sich optimistisch. Er habe die Unterstützung des CDU-Kreisvorstandes und ein gutes Gespräch mit CDU-Landeschef und Ministerpräsident Daniel Günther geführt. Allerdings sorgt die Ankündigung nicht bei allen in der Pinneberger CDU für Begeisterung. Im Gegenteil.
Heftiger Streit in Pinneberger CDU: Junge Union gegen von Boetticher?
Nach Abendblatt-Informationen führte dieser Plan sogar zu einem großen Streit zwischen der Kreis-CDU und der Jungen Union (JU) im Kreis Pinneberg, immerhin einer der größten JU-Kreisverbände des Landes. Deren Vorstand soll kurz nach von Boettichers Ankündigung eine Sitzung abgehalten haben, in der sich eine große Mehrheit des JU-Vorstands gegen die Kandidatur des CDU-Kreischefs aussprach.
Das soll nach Abendblatt-Informationen zu einem Streit zwischen JU-Kreischef Leon Lienau und dem Pinneberg Kreisverband der CDU geführt haben. Der Grund: Die Junge Union soll in von Boetticher den falschen Kandidaten für die Europawahl sehen. Denn ihm wird nach Abendblatt-Informationen keine große politische Unterstützung aus Kiel zugerechnet.
Pinneberg JU-Kreisverband bevorzugt einen anderen Kandidaten für EU-Wahl
Die JU soll demnach einen anderen Kandidaten für den ersten Listenplatz für die Europawahl 2024 bevorzugen: Niclas Herbst. Der war 2018 einstimmig vom CDU-Landesvorstand als Spitzenkandidat für die Europawahl nominiert und von Ministerpräsident und Landeschef Daniel Günther vorgeschlagen worden. Es kommt also zu einer Kampfkandidatur um Listenplatz 1 zwischen von Boetticher und Herbst.
Der 50-jährige Herbst sitzt seit 2019 für die schleswig-holsteinische CDU im EU-Parlament. Herbst kann, wie auch Ministerpräsident Daniel Günther, dem liberalen Parteiflügel der CDU zugeordnet werden. Herbst und Günther kennen sich seit Studienzeiten, Günther ist Patenonkel eines der drei Kinder von Niclas Herbst.
Günther-Freund Niclas Herbst will wieder für die CDU ins EU-Parlament
Niclas Herbst hat derweil keinen Grund, seinen Posten in Brüssel freiwillig zu räumen. Im Gegenteil: „Als stellvertretender Vorsitzender des Haushaltsausschusses und als einziges deutsches Mitglied im Fischereiausschuss des Europäischen Parlamentes darf ich wichtige Funktionen ausfüllen, die mir viel Freude bereiten. Ich strebe auch kein anderes Amt oder Mandat an“, so Herbst auf Abendblatt-Anfrage.
„Ich werde mich erneut um die Spitzenkandidatur der CDU Schleswig-Holstein bewerben. Der große Zuspruch aus den Kreisverbänden und Vereinigungen der Partei lassen mich optimistisch auf die Landesversammlung blicken“, sagt der EU-Abgeordnete. Vor von Boetticher hat er keine Angst: „Gegenkandidaturen nehme ich sportlich, sie gehören zur Demokratie.“
„Lolita-Affäre“ bringt von Boetticher 2011 zu Fall
Von Boetticher sieht sich selbst als liberal-konservativ und hat ebenfalls eine gemeinsame Vergangenheit mit Daniel Günther. Allerdings ganz anderer Natur. In Parteikreisen gilt Günther als einer der Wegbereiter der sogenannten „Lolita-Affäre“, welche von Boettichers politischer Karriere 2011 quasi beendete.
Der damalige CDU-Landesvorsitzende aus dem Kreis Pinneberg trat von all seinen politischen Ämtern zurück, nachdem eine frühere Beziehung des damals 40-Jährigen zu einer 16 Jahre alten Schülerin bekannt geworden war. Von Boetticher war seinerzeit nicht nur CDU-Landeschef, sondern auch Fraktionsvorsitzender und Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2012.
2011: Von Boetticher ist für die CDU nach Affäre nicht zu halten
Seitdem wird dem heutigen Ministerpräsidenten Günther und von Boetticher ein angespanntes Verhältnis nachgesagt. Günther war 2011 Landesgeschäftsführer der CDU und gehörte, wie auch andere hochrangige und gut vernetzte Parteifunktionäre der CDU Schleswig-Holstein, zu den innerparteilichen Gegnern von Boettichers.
Als die Affäre bekannt wurde, ging es für von Boetticher rapide bergab, der Rückhalt in der Partei schwand rasch. Anfang August 2011 wurde immer klarer, dass von Boetticher als Spitzenkandidat nicht zu halten sein würde. Am 14. August trat er als Spitzenkandidat und CDU-Landesvorsitzender zurück. Am 15. August auch vom Fraktionsvorsitz.
Hintergründe der „Lolita-Affäre“ im Hamburger Abendblatt veröffentlicht
Sein Mandat als Landtagsabgeordneter behielt von Boetticher noch bis zum Ende der Wahlperiode rund zehn Monate später. So sicherte er die knappe Ein-Stimmen-Mehrheit der amtierenden Koalition aus CDU und FDP. Die Affäre führte aber zum Absturz eines Hoffnungsträgers, eines Shooting-Stars der schleswig-holsteinischen CDU.
Die persönlichen und parteipolitischen Hintergründe, die letztlich zu von Boettichers Rücktritt führten, wurden in einem sehr umfangreichen Dossier im Hamburger Abendblatt veröffentlicht. Die Autoren Ulf B. Christen, Volker ter Haseborg, Karsten Kammholz und Lars-Marten Nagel wurden dafür mit dem Medienpreis des Deutschen Bundestags ausgezeichnet.
Von Boetticher saß schon von 1999 bis 2004 im EU-Parlament
Abgesehen von dieser Vergangenheit sind Günther und von Boetticher auch politisch oft nicht auf einer Linie. Zu all dem passt, dass von Boetticher explizit nicht erwähnt, dass Günther seine Kandidatur unterstützt. Er spricht nur von einem „guten Gespräch“, das ihn darin bestärkt habe, sich als Spitzenkandidat für die Europawahl zu bewerben.
Schon von 1999 bis 2004 war Christian von Boetticher Abgeordneter des Europäischen Parlaments. Anschließend bekleidete er unterschiedliche Ministerposten in Schleswig-Holstein, war Fraktionsvorsitzender, Landesparteichef sowie stellvertretender Ministerpräsident – bis er 2011 von seinen politischen Ämtern zurücktrat.
Junge Union will öffentlich keine Stellung zum Sachverhalt beziehen
Öffentlich will sich weder die Junge Union im Kreis Pinneberg noch der CDU-Kreisvorstand zu dem Sachverhalt äußern. Leon Lienau, Kreisvorsitzender der Jungen Union, teilt auf Abendblatt-Anfrage mit: „Die Junge Union und die CDU arbeiten in vielen Bereich erfolgreich zusammen.“
Lienau: „Innerparteiliche Debatten, inhaltlicher und gerade personeller Art, sind unerlässlich, sollten aber zwischen den Mitgliedern und nicht in der Presse geführt werden.“ Daher werde die Junge Union Kreis Pinneberg und auch er als Kreisvorsitzender keine Stellungnahme zu diesem Thema abgeben.
CDU-Kreisverband schlägt von Boetticher für Listenplatz 1 vor
Der CDU-Kreisverband Pinneberg teilt auf Nachfrage des Abendblattes mit: „Christian von Boetticher kandidiert auf Vorschlag des CDU-Kreisvorstandes.“ Die CDU kommentiere keine unveröffentlichten Debatten aus einer internen JU-Kreisvorstandssitzung.
„Derzeit stellen sich beide Kandidaten bei den Delegierten der Kreisverbände vor. Die Entscheidung fällen am 5. Oktober auf der Landesvertreterversammlung die 245 Delegierten aus 15 Kreis- und Stadtverbänden“, heißt es vom CDU-Kreisverband.
Konflikt zwischen Junger Union und Kreisverband soll schon länger schwelen
Der Konflikt zwischen dem CDU-Kreisverband Pinneberg und dem Pinneberger JU-Kreisverband soll nach Abendblatt-Informationen aber schon länger schwelen. Genauer gesagt seit 2019. Damals forderte Nicolas Sölter aus Elmshorn Christian von Boetticher bei der Wahl zum CDU-Kreisvorsitzenden heraus. Der hatte überraschend erklärt, erneut zu kandidieren. Zuvor hatte von Boetticher den Posten übergangsweise inne.
Es kam zu einem Machtkampf, den von Boetticher auf dem CDU-Kreisparteitag relativ knapp für sich entscheiden konnte. Doch der Riss zwischen den beiden Lagern ging „quer durch alle Ortsverbände“, wie das Hamburger Abendblatt berichtete.
Machtkampf um Kreisvorsitz 2019 Auslöser für den Streit?
Sölter hatte vor dem Kreisparteitag das schlechte Verhältnis zwischen Kreis- und Landespartei kritisiert. Der Kreis Pinneberg habe keine Stimme in Kiel, der Kreisverband müsse besser auf Landesebene eingebunden werden.
Unterstützt wurde Sölter damals unter anderem von Birte Glißmann, die von 2018 bis 2022 Landesvorsitzende der Jungen Union Schleswig-Holstein war, sowie vom Kreisverband der Jungen Union unter Leitung von Justus Schmitt, mittlerweile Mitglied des CDU-Kreisvorstands und Kreistagsabgeordneter.
Junge CDU-Mitglieder unterstützten von Boettichers Gegenkandidaten
Glißmann hatte Sölter 2019 als Kreisvorsitzenden vorgeschlagen und ist seit dem damaligen Kreisparteitag stellvertretende Kreisvorsitzende der CDU im Kreis Pinneberg. Die 30-Jährige ist zudem mittlerweile Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU-Fraktion im Kieler Landtag sowie Mitglied des Landesvorstands und seit 2022 auch des Bundesvorstands der CDU.
Der Kreis von Sölters Unterstützern war groß. Wenn auch nicht groß genug. Für Unmut sorgte seine Kandidatur vor allem bei jenen, die von Boetticher unterstützten oder ihm nahestanden. Wie Natalina di Racca-Boenigk, die lange von Boettichers Wahlkreisbüro leitete. Sie wählte drastische Worte.„Dieser ganze Prozess hat die Partei gespalten“, sagt sie dem Abendblatt damals.
Kampf um CDU-Kreisvorsitz in Pinneberg: Spaltung der Partei?
Eine Spaltung, die sich nach Abendblatt-Informationen nie ganz auflöste. Auch wenn Sölter und von Boetticher damals ein klärendes Gespräch vereinbarten, das auch stattgefunden haben soll. CDU-Kreischef von Boetticher sagte nach dem Kreisparteitag und dem Machtkampf, es sei nun Aufgabe des Kreisvorstandes, die Gräben wieder zuzuschütten.
Das gelang von Boetticher offenbar nicht. Das Verhältnis der Jungen Union zu von Boetticher soll nach Abendblatt-Informationen seitdem zerrüttet sein. Und das äußert sich nun offenbar darin, dass die JU die Kandidatur von Boettichers für den Listenplatz 1 zur Europawahl ablehnt – wenn auch nicht offiziell und öffentlich.
CDU ist die größte Partei im Kreis Pinneberg – Landesparteitag am 5. Oktober
Inwieweit sich das auf die Landesvertreterversammlung der CDU Schleswig-Holstein auswirkt, ist allerdings unklar. Schließlich stimmen auch die Mitglieder der 14 anderen Kreis- und Stadtverbände über den Spitzenkandidaten für die Europawahl ab.
Immerhin: Fast jeder zehnte Delegierte bei der Landesvertreterversammlung in Neumünster dürfte aus dem Kreis Pinneberg kommen, hier ist die CDU mit rund 1700 Mitgliedern die größte Partei. Das dürfte aber kaum ausreichen, um von Boetticher auf Listenplatz 1 zu hieven.
- Kreis Pinneberg: Schwarz-Grün siegt auf Kreisebene – Kreistag größer denn je
- Kreistag Pinneberg: „Sie sind unwählbar!“ AfD-Kandidaten fallen bei Wahl durch
- Schwarz-Grün in Kiel: Es läuft „ganz gut“ -- auch für den Kreis Pinneberg
Kandidatur für EU-Wahl: Von Boetticher muss gegen Niclas Herbst antreten
Zumal sein Gegner kein unbeschriebenes Blatt ist. Der 2018 von Daniel Günther vorgeschlagene und vom CDU-Landesvorstand nominierte Niclas Herbst wurde damals mit 86,3 Prozent der Stimmen zum Spitzenkandidaten für die Europawahl 2019 gewählt. Ein durchaus überzeugendes Ergebnis.
Fünf Jahre später dürfte er erneut gute Chancen haben. Und da Herbst am 5. Oktober wieder kandidiert, könnte die Pinneberger JU mit ihrer Annahme, dass von Boetticher wenig politische Unterstützung aus Kiel bekommt, zumindest nicht ganz falsch liegen. Zumal es ein Kandidat, der auch in seinem eigenen Landkreis nicht volle Rückendeckung genießt, ohnehin schwer haben dürfte.