Pinneberg. Es gibt weitaus wichtigeres als den Gehaltszettel, sagen junge Pinneberger. Welche Ansprüche die Generation Z an ihre Arbeitgeber hat.
25-Stunden- oder doch lieber Viertagewoche? Die Künstliche Intelligenz ins Homeoffice einziehen lassen oder einfach Workation machen? Ist das „Work-Life-Blending“, oder kann das weg? Und: Keine Sorge, alle Begriffe werden sich im folgenden Text erschließen.
Das Hamburger Abendblatt hat junge Menschen im Kreis Pinneberg befragt, was sie von Arbeitgebern erwarten, wie die Arbeit der Zukunft aussehen könnte und was dran ist, an den Mythen um die „faule“ Generation Z.
Arbeiten im Kreis Pinneberg: lebensfreundliche Revolution der Arbeitswelt
Die alternde Bevölkerung, der Fachkräftemangel, die unstete Wirtschaftslage: Anders als noch vor einigen Jahrzehnten gibt es derzeit alles andere als ein Überangebot an Arbeiterinnen und Arbeitern. Wo sich früher drei Absolventen um eine Stelle rissen, eifern heute drei Arbeitgeber um eine Auszubildende. Das bringt die Generation Z, also die um die Jahrtausendwende Geborenen, in die Position, Forderungen an den Arbeitgeber zu stellen, die für ältere Semester undenkbar gewesen wären.
Deshalb muss man die junge Arbeitergarde nicht als verwöhnt abstempeln. Vielmehr haben jetzige Auszubildende die Chance, den Arbeitsmarkt lebensfreundlich zu revolutionieren. Denn Fakt ist auch: Stärker als früher und in zunehmendem Maße müssen heutige Angestellte „nebenbei“ Angehörige pflegen.
Außerdem ist es mittlerweile üblich, dass beide Partner einer Arbeit nachgehen, um die Familie finanziell abzusichern. Die Kinder haben allerdings dieselben Bedürfnisse wie in den 1950er-Jahren, als es noch typisch war, dass ein Elternteil – in der Regel die Frau – tagsüber zu Hause bleibt.
Dank „Work-Life-Blending“ Arbeit und Privatleben in Einklang bringen
Forderungen nach einer Arbeitswelt, die Beruf und Privatleben bestmöglich in Einklang bringt, sind also berechtigt – und sie werden auch gestellt. Von Nicola Stelly etwa, noch Personalreferentin in der Kreisverwaltung Pinneberg, aber auf gutem Weg zur Teamleitung.
Den schon reichlich abgenutzten Begriff „Work-Life-Balance“ (dt. „Arbeits-Lebens-Balance“) hält die 30-Jährige zwar für fehlleitend, weil er impliziert, dass Arbeit etwas Negatives wäre, das man in der Waage halten müsse. Allerdings kann sie sich mit dem „Work-Life-Blending“ (dt. „Arbeits-Lebens-Vermischung“) sehr gut anfreunden. „Die privaten Termine mit dem Arbeitspensum in Einklang zu bringen“, das sei ihr Bestreben.
„Bei uns gibt es einen altersübergreifenden Wunsch nach Homeoffice“
„Die jüngere Generation profiliert sich nicht mehr darüber, wer als Erstes kommt und wer als Letztes geht, sondern über die Arbeitsergebnisse“, sagt die Personalreferentin. Weniger wichtig als die Zahl der Arbeitsstunden sei also ein effizientes Arbeiten, bestenfalls mit und dank digitaler Unterstützung. Glücklicherweise gebe es dank der Gleitzeit im Elmshorner Büro „schon jetzt Hunderte Arbeitszeitmodelle, die bei uns gelebt werden können“.
Auch das Homeoffice gehöre unweigerlich zum heutigen, flexiblen Begriff der Büroarbeit – und werde nicht nur von jungen Leuten erwartet: „Bei uns gibt es einen altersübergreifenden Wunsch nach Homeoffice“, sagt Stelly. Sie schätzt es, dass Smartphone und Co. es ihr heute ermöglichen, beispielsweise ein paar Emails zu versenden, während ihr Auto gerade Tüv-geprüft wird.
Denn die Schwierigkeit, Arbeit und Alltag unter einen Hut zu bringen, kennt doch jeder: Kaum hat man Feierabend, sind Post, Friseur, Zahnarzt und Einwohnermeldeamt geschlossen – und wer möchte für die Ausweisbeantragung schon einen Tag freinehmen?
Pinneberg: Bauunternehmer ermöglicht Viertagewoche
Diese Überlegung stellte auch die Groth & Co. Bauunternehmung GmbH mit Sitz in Pinneberg an. Und weil die dortigen Mitarbeiter Straßenbau und Rohrverlegung schlecht vom Home- oder mobilen Office aus bewältigen können, bietet ihnen der Arbeitgeber seit Kurzem zwölf Mal im Jahr eine Viertagewoche an.
Freitags freimachen – um all die Tausend Dinge zu erledigen, die immer wieder liegen bleiben, um selbst morgens einfach mal liegen zu bleiben oder einen Ausflug mit den Kindern zu planen, wie es Kevin Stadie vorhat.
Der 32-jährige Straßenbauer sitzt im Betriebsrat der Bauunternehmung und war an den Verhandlungen um die Viertagewochen beteiligt. Er sieht es als großen Erfolg an, dass Groth-Beschäftigte seit September an jedem letzten Freitag im Monat freimachen dürfen.
„Auf lange Sicht muss man doch einfach was um die Ohren haben“
Die so entfallene Arbeitszeit wird an den anderen Werktagen vorgearbeitet. Ausgangspunkt für das Viertagewoche-Modell des Unternehmens Groth war eine Untersuchung durch Studenten der Fachhochschule Westküste, die umfangreiche Mitarbeiterumfragen durchgeführt haben.
Kevin Stadie erzählt, dass die Arbeit als Straßenbauer für ihn zwar in erster Linie einen Broterwerb darstellt. Würde sie ihm aber keinen Spaß machen und fände er nicht so viel Gefallen an seinen Kollegen auf der Baustelle, hätte er sich schon längt einen anderen Job gesucht.
Einen Beruf auszuüben, bei dem er grandios verdient, den er aber absolut nicht ausstehen kann, käme für ihn nie infrage. Genau so wenig könnte sich Stadie allerdings ein Leben in Arbeitslosigkeit vorstellen. „Auf lange Sicht muss man doch einfach was um die Ohren haben“, sagt er.
Viertagewoche, Sozialleistungen und Job-Fahrräder sollen Nachwuchskräfte locken
Es ist kein Geheimnis, dass auch die Baubranche Schwierigkeiten hat, genug Mitarbeiter anzustellen. Die Viertagewoche, aber auch verbesserte Sozialleistungen und Angebote wie Job-Fahrräder oder vergünstigte Fitnessstudiomitgliedschaften, mit denen Arbeitgeber heute locken, betrachtet Stadie deshalb als sinnvolle Mittel, um Stellen besetzt zu bekommen.
Er, der das Arbeiten an der frischen Luft liebt, versteht andererseits nicht so wirklich, wieso nur wenige junge Menschen ihre Zukunft in der Baubranche sehen. Stadie mutmaßt aber: „Viele wollen ja am liebsten im Büro arbeiten – weil sie denken, dass die Löhne da höher sind und man sauber nach Hause kommt.“
Vielleicht hat er recht damit, sicherlich aber nicht in jedem Fall. Das beweist Maj-Brit Kallauch aus Wedel, die sich derzeit zur Industriemechanikerin ausbilden lässt und in der Regel in voller Schutzmontur an Fräse oder Abkantbank anzutreffen ist. Genau wie Stadie und Stelly sagt die 22-Jährige, dass sie selbst im Falle eines bedingungslosen Grundeinkommens „fast immer arbeiten gehen“ würde, „weil es mir hier Spaß macht und weil ich hier Leute treffe, die ich einfach nett finde“.
„Manche Arbeitgeber dürfen sich nicht wundern, wenn keine Azubis kommen“
Dass sie bei ihrem jetzigen Arbeitgeber, dem Technologieunternehmen Vincorion mit Sitz in Wedel, schaffen geht, hat auch mit den dort gebotenen Arbeitsbedingungen zu tun, erzählt Kallauch: „Ich hatte zwei Verträge zu Hause liegen. Und wenn ich die Auswahl habe zwischen 41 Stunden mit kaum Pausen oder 35 Stunden und Gleitzeit, fällt die Wahl nicht schwer.“
Für sie ist es selbstverständlich, dass Arbeitgeber heute auf die Bedürfnisse ihrer potenziellen Nachwuchskräfte eingehen sollten – das Angebot an Bewerbern ist schließlich deutlich geringer als noch vor einiger Zeit. „Manche Arbeitgeber dürfen sich dann auch nicht wundern, wenn keine Azubis mehr kommen“, sagt sie.
Mit Faulheit haben die Ansprüche der jüngeren Generation nichts zu tun, meint die Auszubildende, die den Dienst am liebsten schon um sechs Uhr in der Früh beginnt: „Ich glaube sehr wohl, dass die Generation Z weiß, was Arbeit ist – wir wissen aber auch, was gesund für uns ist.“ Und dazu gehörten ausreichende Ruhephasen, gerade weil ein unausgeruhter und unzufriedener Arbeiter weniger Leistung erbringen dürfte, als ein motivierter.
Steuerberater aus Schenefeld führt die 25-Stunden-Woche ein
Von diesem Gedanken ausgehend hat Erich Erichsen seine gleichnamige Schenefelder Steuerberaterkanzlei neuorganisiert. Effizienz statt Überstunden: Seit wenigen Jahren ermöglicht der selbst ernannte „Digitator“ sämtlichen seiner Angestellten die 25-Stunden-Woche. Weil das Modell auf größtmöglichem Einsatz von digitalen und automatisierten Prozessen beruht, büßt Erichsen trotz der drastisch verkürzten Wochenarbeitszeit rein finanziell nichts ein.
Im Gegenteil: Im Jahr 2021 erwirtschaftete die Kanzlei trotz gleichbleibender Anzahl der Mitarbeiter 20 Prozent mehr Ertrag. Außerdem ist die Anzahl der Krankheitstage seiner Belegschaft merkbar gesunken und neue Bewerbungen trudeln en masse ein.
„Die Rückkehr der zufriedenen Mitarbeiter“ – mit dieser Losung bewirbt Erichsen seine 25-Stunden-Woche, wenn er Branchenkollegen diesbezüglich coacht. Er macht aber auch deutlich: Gerade weil seine Mitarbeiter nur 25 Stunden in der Woche arbeiten müssen – und das im Übrigen bei gleichbleibendem Lohn –, verlangt er ihnen unbedingten Einsatz ab. „Wir arbeiten sehr stramm, da bist du auch froh, wenn 13 oder 14 Uhr Feierabend ist“, sagt der Steuerberater mit der Rocky-Mentalität.
Kanzlei Erich Erichsen: „Feelgood-Manager“ und gemeinsame Frühstücke im Büro
Das Pläuschchen in der Teeküche fällt also weg. Dennoch gibt sich Erichsen alle Mühe, das soziale Miteinander seiner Angestellten zu fördern, etwa mit gemeinsamen gesunden Frühstücken sowie einem „Feelgood-Manager“, der den Mitarbeitern je 30 Minuten Massage und 30 Minuten Personal Training in der Woche bietet. Auch das nützt seiner Kanzlei: Zufriedenheit, ein Wir-Gefühl und gute Kommunikation sind essenziell für Erichsens Projekt der 25-Stunden-Woche. Nur wer investiert, schöpft ab.
„Klar, mein Modell ist extrem, das muss ich auch ehrlich zugeben“, weiß der Steuerberater. Daher eigne sich die verkürzte Arbeitszeit auch nicht für jeden Mitarbeiter, und von einigen Angestellten musste er sich seit Einführung der 25-Stunden-Woche trennen.
Gerade in puncto Homeoffice „muss man sich genau angucken, ob die Mitarbeiter dafür geeignet sind und ob sie die Reife haben. Es geht nun einmal in solchen Modellen um Vertrauensarbeitszeit.“
Unbegrenzte Möglichkeiten für die Mitarbeiter – wenn es gut läuft
Sieht sich Erichsen in seinem Vertrauen bestätigt, erhalten seine Mitarbeiter im Gegenzug nahezu unbegrenzte Möglichkeiten. „Workation“, also die Kombination aus Arbeit und Urlaub, hält Erichsen im Falle eines vorbildlichen Mitarbeiters nicht nur für denkbar – einer seiner Angestellten reist bereits im VW-Bully um die Welt, während er Mandanten betreut.
„Das sind alles Sachen, die sprechen sich in der Branche rum. Da bin ich der als verrückt Gepriesene – aber es funktioniert ja“, sagt Erichsen. Weil er sich solch einen Namen gemacht hat, hat sich die 25-Stunden-Woche für ihn selbst erledigt. Denn nach seinem Kanzleijob am Vormittag nimmt Erichsen Beratertätigkeiten zum Thema Arbeitszeitverkürzung bei Branchenkollegen wahr – gern allerdings, ist wohl Berufung.
Viele junge Menschen hinterfragen die Sinnhaftigkeit der eigenen Arbeit
Berufung: noch ein Stichwort. Denn ob Steuerberater oder Industriemechanikerin, eine gewisse Sinnhaftigkeit in der eigenen Jobbeschreibung zu erkennen, ist für viele Arbeiter heutzutage nicht nur ein motivierender Pluspunkt, sondern unabdingbar. Besonders spannend ist die Frage nach der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit für Maj-Brit Kallauch, die ihre Ausbildung bei Vincorion absolviert, einem Unternehmen, das Teil der Verteidigungsindustrie ist. Hier werden unter anderem Komponenten für die Panzer Leopard 2 und Puma produziert.
Nicht bei jedem Werkstück, das Kallauch in der Hand hält, denkt sie an dessen späteren Zweck. Manchmal darf Arbeit schließlich ganz pragmatisch sein, sagt sie. Nichtsdestotrotz setzt die Auszubildende sich mit der ethischen Frage nach der Tätigkeit in einem wehrtechnologischen Betrieb auseinander und sagt: „Ich weiß, dass Teile, die ich schon in der Hand hatte, gerade irgendwo ,herumfahren‘ – und ich hoffe, sie retten dort Leben. Gerade in der Ukraine sieht man ja: Sie brauchen Verteidigung.“
Identifikation und Entwicklungschancen wiegen heute schwerer als der Gehaltszettel
Identifikation, Sinnhaftigkeit, Wertschätzung, Entwicklungschancen – auch für Personalreferentin Nicola Stelly sind es die höheren Werte, die einen guten Arbeitgeber ausmachen. Die reine Gehaltsabrechnung wiederum steht bei ihr an zweiter Stelle. Die 30-Jährige würde immerhin auch nach einem Lotto-Jackpot-Gewinn noch gern zur Arbeit kommen, sagt sie. Von einem bloßen Broterwerb kann da kaum noch die Rede sein.
Tendenziell würden junge Mitarbeiter deutlich kritischer hinterfragen, was sie auf der Arbeit eigentlich machen, warum und wie, meint Stelly. Es ist ihr zufolge oft die junge Generation, die „die Sachen noch einmal anders durchdenkt und neue Herangehensweisen fordert“. Arbeitgebern könnte das nützen, sagt sie, weil dadurch eine lang gepflegte Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Einstellung aufgeweicht würde.
Kreis Pinneberg: Wie könnte die Arbeitswelt der Zukunft aussehen?
Und jetzt? Die Arbeitswelt entwickelt sich weiter. Auf Webstuhl folgt Schreibmaschine, folgt Homeoffice folgt … Hologramm-Schreibtisch? Ja, zumindest für Steuerberater Erichsen. Wie im Film „Minority Report“ stellt er sich sein Büro in der Arbeitswelt des Jahres 2050 vor. „Und dass die Arbeit bis dahin nur noch ein Drittel der bisherigen Zeit ausmacht“, das würde er gern erleben.
Kevin Stadie könnte sich wiederum vorstellen, dass die Viertagewoche, an die sich die Groth Bauunternehmung gerade herantastet, zum Standard wird, „und die Technik wird sich weiterentwickeln, dann muss man nicht mehr so schwer heben“, sagt er. Zudem werde der Umweltschutz die Baubranche beeinflussen, mutmaßt der Straßenbauer, denn immerhin laufen die Maschinen heute noch mit massig Diesel.
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Nicola Stelly sieht eine neue Mitarbeiterin ins Büro einziehen: die KI. Angst, überflüssig zu werden, hat sie aber nicht: „Ein Chatbot wird uns Menschen nicht ersetzen, aber das Thema KI kommt auf uns zu und wird unser Supportangebot ergänzen.“