Wedel. Vincorion ist Zulieferer der Rüstungsindustrie. Der Geschäftsführer war Friedensdemonstrant, setzt nun aber auf die „Zeitenwende“.

Der Überfall Russlands auf die Ukraine vor mehr als einem Jahr brachte den Krieg ins Zentrum Europas. Damit rückten auch scheinbar vergessene Fragen nach Sicherheit und Aufrüstung in Deutschland in den Fokus – nicht grundlos sprach der Kanzler von einer „Zeitenwende“, an der auch eine Firma aus dem Kreis Pinneberg mitarbeitet.

Denn zur Unterstützung der ukrainischen Streitkräfte sind nun auch Panzer in das Kriegsgebiet geliefert worden – mit Technik aus Wedel. Die Firma Vincorion Advanced Systems fertigt elektronische Bauteile für den Panzer Leopard II und den Puma-Schützenpanzer sowie die Panzerhaubitze 2000. Auch in den Raketenabwehrsystemen Patriot und Iris-T steckt Technik dieser Firma aus der Rolandstadt.

Wedeler Technik: Leopard II-Panzer wurde an Ukraine geliefert

Vincorion entwickelt für den Kampfeinsatz Antriebe und Getriebe – dieses Zusammenspiel zwischen Mechanik, Maschinenbau und Elektronik wird als Mechatronik bezeichnet.

Beim Leopard II etwa sorgt die Technik dafür, dass das Zielfernrohr auch bei voller Fahrt im Gelände stabil bleibt und sich der sogenannte Turm im Gefecht zuverlässig und schnell um 360 Grad dreht.

Kampfeinsatz: Höhenantrieb für den Puma-Schützenpanzer

Im Höhenantrieb des Puma-Schützenpanzers – das Kanonenrohr kann einen Schusswinkel von -10 bis 45 Grad erreichen – sind ebenfalls Teile von Vincorion verbaut. Die Firma, die seit drei Jahren unter dem aktuellen Namen produziert, ist ein Zulieferer-Betrieb für die Rüstungsindustrie, der Komponenten für Kampfeinsätze liefert.

„Am Hauptsitz in Wedel haben wir 480 Mitarbeiter, insgesamt sind es 700“, sagt Stefan Stenzel, der seit 13 Jahren Geschäftsführer von Vincorion ist. Weitere Standorte des Unternehmens gibt es in Altenstadt (Bayern) und in Essen.

Vincorion entwickelt Technik für Militäreinsätze

Arbeitet die Firma ausschließlich für das Militär? „70 Prozent der Produkte liefern wir im Bereich Rüstung, 30 Prozent für die zivile Luftfahrt“, erklärt Stenzel. Vincorion entwickelt zudem auch Generatoren, Aggregate für die Stromerzeugung, Stromwechsler und hybride Energiesysteme.

Wedel: An der Feldstraße hat das Technologie-Unternehmen Vincorion seinen Sitz.
Wedel: An der Feldstraße hat das Technologie-Unternehmen Vincorion seinen Sitz. © VINCORION

Durch neue Stromerzeugungsaggregate ließe sich bis zu 40 Prozent Diesel sparen, der sonst etwa in militärischen Lagern für die Stromversorgung genutzt wird. „Das ist schon sinnvoll, wenn ich etwa das Beispiel Ukraine nehme. Dort greift die russische Armee immer wieder das Stromnetz an und es kommt regelmäßig zu Stromausfällen“, sagt der Geschäftsführer.

Vincorion entwickelt Technik für Militäreinsätze

In den vergangenen 20 Jahren sei der Markt innerhalb Deutschlands durch eine „drastische Konsolidierung geschrumpft“. Früher habe es mehr als 2000 Leopard-Panzer in der Bundeswehr gegeben, heute seien es noch 325.

Einst hatte das Unternehmen, das zunächst als AEG-Telefunken 1955 am Standort in Wedel Technik produzierte und später auch ein Teil des Jenoptik-Konzerns war, bis zu 3000 Mitarbeiter in Spitzenzeiten. Teilweise arbeitet sogar die dritte Generation der Mitarbeiter im gleichen Betrieb.

Geschäftsführer Stenzel: „Krieg ist nicht gut. Für niemanden.“

Ist Krieg gut fürs Geschäft? „Krieg ist nicht gut. Für niemanden. Im Endeffekt auch nicht für Vincorion. Niemand wünscht sich einen Krieg. Es geht aber darum, die freiheitlich, demokratische Grundordnung zu verteidigen. Das kann ein Land wie die Ukraine nicht allein. Also unterstützen wir als Partner“, sagt Stenzel, der 1964 geboren wurde.

Geschäftsführer von Vincorion ist Stefan Stenzel
Geschäftsführer von Vincorion ist Stefan Stenzel © Frederik Büll

Er habe einst auch für den Frieden demonstriert und sei als junger Mann gegen den Nato-Doppelbeschluss 1979 gewesen.

Die Demokratie müsse nun beschützt werden vor der russischen Aggression, von der ohnehin nicht klar sei, ob sie andernfalls nicht auch über die Grenzen des angegriffenen Nachbarstaates hinaus gehe.

Zeitenwende: Noch ist in Wedel kein Auftrag eingegangen

Ist die proklamierte „Zeitenwende“ denn aktuell im Rüstungsbetrieb in Wedel spürbar? „Bis heute hat sich für uns seit einem Jahr daraus kein einziger konkreter Auftrag ergeben“, sagt der Vincorion-Chef.

„Zuletzt sind allerdings die Anfragen der Systemhäuser gestiegen“, so Stenzel. Systemhäuser sind Unternehmen, die in der Branche als Schnittstelle zwischen dem Hersteller und dem Anwender des Produkts fungieren.

Ein voll ausgestatteter Leopard II-Panzer kostet 10 Millionen Euro

18 Leopard II-Panzer sind an diesem Montag (27. März) nach langen Diskussionen in die Ukraine geliefert werden, voll ausgestattet kann dieses Modell bis zu 10 Millionen Euro kosten. 19 Stück möchte die Bundesregierung nachbestellen. Stefan Stenzel fordert insgesamt gesehen: viel mehr.

„Aus meiner Sicht geht es um Ausrüstung und nicht um Aufrüstung. Wir gehen davon aus, dass die Bundesregierung ihre Ankündigung wahr macht, und die Bundeswehr so ausstattet, dass sie ihrem Auftrag, nämlich der Landesverteidigung, auch gerecht werden kann. Wir brauchen dafür aber viel mehr Panzer, mehr Luftabwehr und mehr Flugzeuge“, sagt er. Es müssten dringend Lücken gefüllt werden, die es nicht geben sollte.

Vincorion-Mitarbeiter leisten einen Beitrag, „das Leben sicherer zu machen“

Vincorion-Mitarbeiter leisten einen Beitrag, „das Leben sicherer zu machen“, so der 59-Jährige. „In erster Linie das der deutschen Soldaten, die unsere Produkte nutzen. Sie müssen sich auf die Qualität unserer Technik verlassen können.“

Vincorion-Mitarbeiter Marko Schomaker arbeitet an einem Umschaltgetriebe für den Schützenpanzer Puma.
Vincorion-Mitarbeiter Marko Schomaker arbeitet an einem Umschaltgetriebe für den Schützenpanzer Puma. © Frederik Büll

Den deutschen Bürgern sei die Wahrheit über den Stand der Ausrüstung und die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr – schon lange vor vor dem Krieg gegen die Ukraine – vorenthalten worden. Dann kam heraus, dass „die Munition zum Beispiel nur für einen Tag reichen würde“. Nun werde gemeinsam mit anderen NATO-Staaten Material als Unterstützung an die Ukraine abgegeben, aber noch sei nichts nachbestellt worden.

Vincorion: Umsatz lag 2021 bei 150 Millionen Euro

2021 hat Vincorion 150 Millionen Euro Umsatz gemacht. Zahlenmaterial für 2022 liege noch nicht abschließend vor, laut Stenzel ist der Umsatz für das abgelaufene Jahr jedoch rückläufig, er hofft auf einen Anstieg für das Jahr 2023.

Deutschland habe zudem eines der „strengsten Rüstungsexportkontrollgesetz Europas“, nach Bestellungen der Vincorion-Teile könne es bis zu 18 Monate dauern, bis die Exportgenehmigung erfolgt. Auch das schrecke potenzielle Kunden aus dem Ausland bei einer Bestellung ab.

Vincorion Wedel: Direkt in der Montage-Halle kann geprüft werden, ob alles ordnungsgemäß funktioniert.
Vincorion Wedel: Direkt in der Montage-Halle kann geprüft werden, ob alles ordnungsgemäß funktioniert. © Frederik Büll

Sogar das Thema Industriespionage ist bei Vincorion aktuell – es gibt regelmäßige, aber erfolgreich abgewehrte Hacker-Angriffe über das Internet.

Industriespionage; China und Russland haben großes Interesse

„Was die verbaute Militärtechnik betrifft, ist Deutschland Ländern wie China oder Russland überlegen. Das Interesse daran ist groß“, sagt Stenzel.

Es gebe sogar eine Länderliste von Nationalitäten, die hierzulande aus Angst vor möglicher Spionage nicht in der Rüstungsindustrie arbeiten dürfen, auf dieser stehen unter anderem auch Russland und China.

So funktioniert die Vincorion-Technik im Leopard II-Panzer

Ein wenig Umschauen in den Hallen ist dem Abendblatt aber ausnahmsweise erlaubt: „Diese Maschine bestückt die leeren grünen Leiterplatten mit Bauteilen. Es kann bei einzelnen Teilen auch manuell nachgelötet werden. Die fertigen Leiterplatten werden vor Ort auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft. Das fertige elektrische Gerät dient dazu, das Rohr beim Panzer nachzuregulieren“, erklärt Teamleiter Philipp Krone.

Über ein spezielles Belüftungssystem wird sogar die Luftfeuchtigkeit in der Halle konstant gehalten, um statischer Aufladung entgegenzuwirken – damit die sensiblen elektronischen Bauteile nicht beschädigt werden können. so Krone.


Teamleiter Philipp Krone mit einer Muster-Leitplatte. Auf diese werden mit der Maschine die Bauteile gelötet.
Teamleiter Philipp Krone mit einer Muster-Leitplatte. Auf diese werden mit der Maschine die Bauteile gelötet. © Frederik Büll | Frederik Büll

Vincorion-Technik steckt auch im Leopard II-Kampfpanzer

In einer weiteren Halle erfolgt die Endmontage. Die Stromversorgung spielt auch eine große Rolle. „Unsere Komponenten Im Leopard II arbeiten mit der Bordnetzspannung von 24 Volt, die aus zwei großen in Reihe geschalteten Batterien erzeugt wird“, sagt Teamleiter Marco Lienau.

Mitarbeiter Richard Krech schraubt derweil an einem Stellantrieb, der einen Zug in der Kurve neigen lässt. Diese Teile müssen regelmäßig gewartet werden. Marko Schomaker arbeitet an einem Umschaltgetriebe für den Puma-Schützenpanzer. In der Halle werden auch zivile Produkte montiert: In Zusammenarbeit mit Airbus hat Vincorion auch eine Rettungswinde entwickelt.

Doch mehrheitlich geht es beim Zuliefererbetrieb Vincorion um das Thema Rüstung – für die Sicherheit und den Schutz für diejenigen, die als Soldaten aktuell ihr Leben in Kriegen wie jenem in der Ukraine riskieren – oder auch verlieren.